Nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten im Deutschen Reich im Jahre 1933 wurde deren Einfluss auch in Österreich in Form von Bombenterror und unverhohlenen Auftritten von paramilitärischen Kampforganisation der NSDAP spürbar. Um den Nazis zu entgehen, flüchtete der österreichische Schriftsteller und Jude Stefan Zweig 1940 nach Brasilien und schrieb für die Vargas-Regierung im Tausch gegen ein Dauervisum ein Buch zugunsten Brasiliens. „Brasilien – ein Land der Zukunft“ ist bis heute ein Weltbestseller – sechs Monate nach Vollendung des realitätsfremden Klassikers beging Zweig Selbstmord. Die Brasilianer erkannten die Ironie der Geschichte und erfanden einen Slogan, der seit 60 Jahren wiederholt wird und längst zum Witz verkommen ist: „Brasilien ist das Land der Zukunft und wird es immer bleiben“.
Der in Italien geborene Ökonom Domenico de Masi veröffentlichte ein Buch mit dem Titel „O Futuro Chegou“ (In der Zukunft angekommen) und die Brasilianer nahm es ernst. Reich an Rohstoffen wie Eisen und Erz, Soja und Fleisch – zusätzlich zu Öl – war die Nation in der Lage, die immer unersättlichere chinesische Nachfrage zu befriedigen. Dieser erhöhte Bedarf an Gütern führte dazu, dass China die Vereinigten Staaten als den größte Handelspartner Brasiliens ablösten. Der Warenaustauch zwischen Peking und Brasília lag im Jahr 2000 bei zwei Milliarden US-Dollar und erreichte im Jahr 2013 rund 83 Milliarden Dollar.
Die Geldschschwemme brachte auch Subventionen für die Armen, Programme wie „Bolsa Familia“ holten 40 Millionen Brasilianer aus ihrer Armut. Jim O’Neill, ehemaliger Chefökonom bei Goldman Sachs, prägte den Begriff der BRIC-Länder und prognostizierte den vier größten Schwellenländern der Welt: Brasilien, Russland, Indien und China eine blühende Zukunft. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Brasiliens wuchs und erreichte im Jahr 2010 spektakuläre 7,6%. Entwicklungsexperten sprachen bereits vom „Brasilianischen Modell“, welches auf andere Schwellenländer übertragen werden sollte. Die brasilianische Wirtschaft ist die weltweit achtgrößte Volkswirtschaft der Welt, die Fülle an Dollar führte zu einer Überbewertung der Landeswährung. Es war teurer in São Paulo zu leben, als in New York. Der Größenwahn hielt Einzug und brasilianische Beamte betonten bei ihren Treffen mit internationalen Investoren, dass das Land in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren durchschnittlich pro Jahr um 4,5% wachsen werde.
Die Regierung von Luiz Inácio „Lula“ da Silva sprach vom privilegierten Handel mit China, blockierte das von den Vereinigten Staaten unterstützte amerikanische Freihandelsprojekt „Area de Libre Comercio de las Americas“ (ALCA) des größten Handelsblocks der Welt. Die Hausse hielt bis zum Jahr 2011 an, als die chinesische Nachfrage sich verlangsamte und die Preise der wichtigsten lateinamerikanischen Rohstoffexporte sanken. Vierzig Prozent der brasilianischen Exporte gehen nach China, das Abhängigkeitsverhältniss traf die Wirtschaft ins Mark. Dies war allerdings nicht der einzige Grund für die Verschlechterung der brasilianischen Wirtschaft in den letzten vier Jahren, aber mit dafür verantwortlich.
Das BIP Brasiliens sank in der zweiten Hälfte des laufenden Jahres um 1,9 Prozent und dürfte nach Meinung von Experten am Jahresende bei 2,4 Prozent liegen. Die Kontraktion wird voraussichtlich die nächsten zwei Jahre anhalten – die längste seit 30 Jahren. Lag der Handelsüberschuss im Jahr 2010 noch bei 20 Milliarden US-Dollar, erreichte er im Juli 2015 ein Defizit in Höhe von 40 Milliarden Dollar (letzte 12 Monate). Brasilianische Schuldpapiere sind dabei, in den Bereich der Junk Bonds zu fallen. Den zwei Millionen neuen Arbeitsplätzen im Jahr 2010 stehen aktuell 150.000 Arbeitsplätze gegenüber, die pro Monat verloren gehen. Millionen Brasilianer, die der Armut entkommen waren, entdecken inzwischen wie einfach es ist, zu ihr zurückzukehren. Zum Dilemma kommt ein Korruptionsskandal pharaonischen Ausmaßes hinzu. Seit etwa 18 Jahren hat der halbstaatliche Ölkonzern Petrobras Bestechungsgelder von mehreren Milliarden US-Dollar an Unternehmen im Austausch für Aufträge für öffentliche Projekte gezahlt. Der Betrug war Teil der „Business as Usual-Philosophie“ in den acht Jahren (2002 bis 2010), als Präsidentin Dilma Rousseff Vorstandsmitglied bei Petrobras war.
Die katastrophale Wirtschaftslage und der Fall Petrobras haben dazu geführt, dass Rousseff aktuell nur noch 7% Unterstützung bei der Bevölkerung hat. Dies ist der niedrigste Stand, den ein Staatsoberhaupt in Brasilien jemals verzeichnen musste. Zwei von drei Brasilianern sind für eine Amtsenthebung, eine rechtliche Grundlage dafür gibt es bisher noch nicht. Politikwissenschaftler gehen davon aus, dass die wirtschaftlichen Probleme des Landes Rousseff viel eher zu einem Rücktritt bewegen könnten. Das Staatsoberhaupt hat einige der strukturellen Probleme, die ein nachhaltiges Wachstum verhindern, nicht angepackt und Brasilien zu einem hypertrophen Staat gemacht. Mehr Ministerien als gebraucht werden, eine protektionistische Zollregelung, eine Arbeitsgesetzgebung, die Beschäftigung abhält, allzu großzügige Renten für Beamte und das weltweit komplizierteste Steuersystem sind nur einige der Probleme. Bis zum Jahr 2014 wies das Regierungsprogramm von Rousseff keine Lösungsmöglichkeiten auf, heute blockiert der Kongress ihre Initiativen aus politischen Gründen. Dilma Rousseff hat möglicherweise noch drei Jahre Zeit, Reformen umzusetzen. Ansonsten ist Brasilien kein Land der Zukunft, sondern Niemandsland.
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