Krise in Venezuela: Zusammenbruch einer ganzen Ideologie?

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Am 27. Februar 1989 brachen in der venezolanischen Hauptstadt Caracas Unruhen aus, die Chávez als Vorläufer seiner "Bolivarischen Revolution" bezeichnete (Foto: Latinapress)
Datum: 01. Februar 2019
Uhrzeit: 10:18 Uhr
Leserecho: 5 Kommentare
Autor: Carlos Moreno, Cúcuta (Leser)
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In diesen Tagen ist die politische Krise im südamerikanischen Venezuela in eine äußerst akute Phase getreten, das Pulverfass kann jederzeit explodieren. Das Tauziehen um die Macht ist überall spürbar: Auf der Ebene des Präsidenten, des Parlaments und der Justiz gibt es gegensätzliche Politiken und Institutionen. Diese Krise wurde nicht nur in der Region, sondern auch in der Weltpolitik zu einem wichtigen Ereignis. Die Länder der Welt sind in ihrer Einschätzung der aktuellen Ereignisse sehr deutlich und aufschlussreich gespalten. Diese Kontroverse wird auf dem Podium des UN-Sicherheitsrates ausgetragen.

Zusätzlich zu den politischen (und militärischen) Ergebnissen erinnert diese Krise an das ideologische Erbe des verstorbenen venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez, der nach ihm „Chavismo“ genannt wurde. Aus der Sicht der ideologischen Symbolik des Chavismo ist der Zeitpunkt der Ereignisse äußerst wichtig – die aktuelle politische Krise in Venezuela begann am Vorabend des Monats Februar. Im Februar fanden mehrere wichtige Ereignisse der jüngsten venezolanischen Geschichte statt, was Hugo Chávez in seinen Reden immer wieder betonte.

Am 27. Februar 1989 brachen in der venezolanischen Hauptstadt Caracas Unruhen aus, die Chávez als Vorläufer seiner „Bolivarischen Revolution“ bezeichnete. Am 4. Februar 1992 führte Chávez selbst einen militärischen Aufstand gegen den damaligen Präsidenten des Landes an. Am 2. Februar 1999 übernahm er das Amt des Präsidenten. Am 15. Februar 2009 wurden von Chávez Änderungen der Verfassung des Landes beschlossen. Darüber schrieb Hugo Chávez 2009: „Februar, Februar, Februar wieder! Seit vielen Jahren habe ich das Gefühl, dass mein Leben eng mit diesem Monat der Blüte verbunden ist: 27. Februar, 4. Februar, 2. Februar! Und jetzt am 15. Februar!“

Daher wäre es keine Übertreibung zu sagen, dass der Februar für Chavistas die gleiche Bedeutung hat wie der Oktober für die sowjetischen Bolschewiki. Und die Tatsache, dass die Macht der Chavistas am Vorabend des heiligen Monats Februar kurz vor dem Zusammenbruch steht, macht die aktuellen Entwicklungen ideologisch reich und kompromisslos für alle gegnerischen Seiten. Die Entwicklungen in Venezuela könnten als Symbol für den fast vollständigen Zusammenbruch der berühmten „Linkskurve“ in Lateinamerika (nach Argentinien, Brasilien, Chile) bezeichnet werden, wenn es nicht den jüngsten Sieg des linken Kandidaten Andrés Manuel López Obrador bei den Präsidentschaftswahlen in Mexiko gäbe. Es zeigte sich, dass die Ursachen für die soziale Unzufriedenheit mit der neoliberalen oder rechten Politik in Lateinamerika nicht verschwunden sind und es ist deshalb noch zu früh, um die „Linkskurve“ zu begraben.

Der Chavismo ist allerdings eine andere Sache. Es war die Politik der linken venezolanischen Regierungen, die vielleicht die radikalste aller Länder der linken Wende Anfang der 2000er Jahre war. Sie drückte sich auch in Chávez‘ engen Beziehungen zu aufständischen Gruppen in Kolumbien, im „militärischen Erfahrungsaustausch“ mit ihnen aus. Chavismo wird auch mit militarisierten Formen der sozialen Organisation der Gesellschaft in Verbindung gebracht. Beispiel sind die „sozialistischen Bataillone“ von Chávez, die als Volksgarde zur Verteidigung der „Partei“ dienten, an ihre „Befreiungsmissionen“ in den Regionen und Dörfern usw. In anderen Ländern der „Linkskurve“ gab es keine solchen frühen sowjetischen oder gar maoistischen Formen der sozialen Mobilisierung.

Auch die ideologische Rhetorik wurde militarisiert. So wurde beispielsweise der Wahlkampf von Chávez zu den oben genannten Verfassungsänderungen im Jahr 2009 von ihm als Strategie des „Double Tank Assault“ bezeichnet. Chávez‘ globales Mediencharisma resultierte auch auf seine äußerst kompromisslosen Aussagen gegen den in der Welt weit verbreiteten „amerikanischen Imperialismus“. Schließlich hatten auch seine Projekte zur Reorganisation nicht nur der nationalen, sondern auch der Weltwirtschaft (Ölfonds für die Rohstoffversorgung armer Länder zu Präferenzpreisen, die Idee einer gemeinsamen Bank von „antiimperialistischen“ Ländern) eine globale Reichweite.

In diesem Aspekt ist er vielleicht nur mit Gaddafi unter den jüngsten „antiimperialistischen“ Führern zu vergleichen. Und in Lateinamerika selbst erlangte nur Lula in Brasilien mit seiner Unterstützung für die Anti-Globalisierungsbewegung einen breiten globalen Ruf – obwohl durch viel mildere Formen von Projekten zur „gerechten Umverteilung des Weltvermögens“ als Chavez. Keiner der Führer der „Linkskurve“ – weder Morales in Bolivien noch die Kirchners in Argentinien, noch Correa in Ecuador oder Raul Castro auf Kuba – hatte eine ähnliche globale Dimension seiner Politik wie Chávez. Von allen linken Präsidenten der Region (ohne Kuba) war es Hugo Chávez, der am offensten einen Kurs zur Schaffung des „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ proklamierte. Gleichzeitig lehnte er sowohl die sowjetische als auch die chinesische „Erfahrung“ im Aufbau des Sozialismus ab. Chávez kombinierte seinen „eigenen“ Sozialismus.

Letztendlich erwiesen sich die wirtschaftlichen Ergebnisse des venezolanischen Sozialismus (unabhängig davon, wer dafür verantwortlich ist) als die bedauernswertesten aller Länder der „Linkskurve“. Gaddafi nutzte seinen Ölreichtum, um ein effizientes Sozialversicherungssystem zu schaffen und wurde nicht wegen der Wirtschaft, sondern wegen politischer und tribalistischer Proteste (auch wenn wir die externe Intervention beiseite legen) gestürzt. Die Vorteile der sozioökonomischen Politik von Lula gleichen ihre Nachteile aus, unter ihm wurde Brasiliens Ölreichtum in einen wachsenden globalen Einfluss umgewandelt. Unabhängige Schätzungen gehen davon aus, dass die venezolanischen Öleinnahmen in den letzten 18 Jahren bei über eine Billion US-Dollar lagen. Mit den Chavistas an der Macht liegt Venezuela allerdings im wirtschaftlichen Chaos. Es ist eine Tatsache und unabhängig davon, wer in der venezolanischen Krise gewinnt, zeigt die moderne globalisierten Welt eine radikale Grenze der linken Politik auf.

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  1. 1
    Peter Hager

    Ein ausgezeichneter Artikel. Bravo! – Nur in einem zentralen Punkt bin ich anderer Ansicht: Chávez war an Projekten zur „gerechten Umverteilung des Weltvermögens“ nicht mehr interessiert, als ein Geier an einem Kohlkopf. Ich sehe in ihm einen skrupellosen, egozentrischen Verbrecher, der über unzählige Leichen ging, um sich und seine Sippe maßlos zu bereichern und seinem Ego zu frönen. Soziale Projekte initiierte er mehr zum Schein als zum Wohle anderer, oft rein zum Zweck der Geldwäsche aus geraubtem Volksvermögen, oder um sich mit billigem Mineralöl die Unterstützung schwacher Nationen zu erkaufen. Da sehe ich selbst in den von Kuba ins Leben gerufenen und kontrollierten Drogen- und Terrorgangs, FARC und ELN, eher noch einen Funken von Glaubwürdigkeit in Sachen sozialem Engagement, obwohl natürlich auch das nur ein vorgeheucheltes Alibi ist.

    • 1.1
      noesfacil

      Na Gott sei Dank, sind Sie Herr Hager, alias Martin Bauer ja völlig frei jedweder Heuchelei!
      Der Artikel ist allerdings und hier stimme ich Ihnen auch gerne zu, gut recherchiert und trifft den Kern der Sache.
      Ihre sonstigen Ausführungen, gleich unter welchem Pseudonym, wie immer leider weitgehend widerlich.

    • 1.2
      Matthias Gysin

      Chavez wurde nicht arm bestattet – und Maduro und seine Schergen wollen es auch nicht. Das ist für mich in einem Satz der „Sozialismus“ von Venezuela. Das hat mit einem „gesunden“ Sozialismus nix zu tun, denn eigentlich ist es eine Monarchie .. Maduro als König oder Hofnarr je nach befinden. Sonst gehört der Artikel zu den besseren, die ich aktuell lese. Gruss aus Barquisimeto.

      • 1.2.1
        noesfacil

        Was für ein Sozialismus soll das denn gewesen sein?
        Ich geb mir seit 1999 redlich Mühe diesen in Venezuela, beim jeweiligen Machthaber zu finden,……. allerdings da fangen die Schwierigkeiten richtig an! Ich finde nämlich NICHTS außer einer noch nie in der Venezolanischen Geschichte da gewesenen Unfähigkeit, gepaart mit völlig ungehemmter Kleptokratie. Darüber hinaus unfassbare, maßlose Gewalt, Betrug, Raub, Mord und Totschlag, Diebstahl jeder Art.
        Das ist der Sozialismus des 21. Jahrhunderts, oder?
        Steht aber in der einschlägigen Bibel von H. Dietrich ganz anders! Wer hat da wohl was, offenbar völlig falsch verstanden???
        (Wer Ironie findet darf sie behalten).

      • 1.2.2
        Matthias Gysin

        Wir sind uns einig – eben keiner :). Das ist modernes Raubrittertum an einem Land unter einem Deckmäntelchen. Mit gesundem Sozialismus meine ich Sozialpartnerschaften, Konkordanzregierungen etc. und damit hat es definitv nix zu tun.

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