Kolumbien – Venezuela: Bewaffnete Gruppen kontrollieren Alltag an der Grenze

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Bewaffnete Gruppen wenden brutale Gewalt an, um das tägliche Leben der Menschen in der Provinz Arauca im Osten Kolumbiens und dem benachbarten venezolanischen Bundesstaat Apure zu kontrollieren (Foto: ScreenshotYouTube/hrw)
Datum: 22. Januar 2020
Uhrzeit: 12:41 Uhr
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Autor: Redaktion
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Bewaffnete Gruppen wenden brutale Gewalt an, um das tägliche Leben der Menschen in der Provinz Arauca im Osten Kolumbiens und dem benachbarten venezolanischen Bundesstaat Apure zu kontrollieren, so Human Rights Watch in einem am Mittwoch (22.) veröffentlichten Bericht. Der 64-seitige Bericht „The Guerrillas Are the Police’: Social Control and Abuses by Armed Groups in Colombia’s Arauca Province and Venezuela’s Apure State“ dokumentiert Menschenrechtsverletzungen durch die Nationale Befreiungsarmee (ELN), die Patriotischen Kräfte der Nationalen Befreiung (FPLN) und durch eine Gruppe, die aus den demobilisierten Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (FARC) hervorgegangen ist. Menschenrechtsverletzungen wie Mord, Zwangsarbeit, Rekrutierung von Kindern und Vergewaltigung sind oft Teil ihrer Strategie, um das soziale, politische und wirtschaftliche Leben in Arauca und Apure zu kontrollieren. In aller Regel bleiben die Verantwortlichen für solche Menschenrechtsverletzungen straffrei.

„Die Einwohner von Arauca und Apure leben in Angst: Bewaffnete Gruppen rekrutieren Kinder und zwingen den Menschen Regeln auf, bedrohen die Bewohner und bestrafen diejenigen, die sich nicht an diese Regeln halten. Menschen werden sogar ermordet oder zu monatelanger Arbeit auf den Feldern gezwungen“, sagte José Miguel Vivanco, Leiter der Abteilung Mittel- und Südamerika bei Human Rights Watch. „Die Gruppen operieren auf beiden Seiten der Grenze nahezu ungestraft, und besonders in Venezuela machen sie bisweilen gemeinsame Sache mit den Sicherheitskräften und den lokalen Behörden.”

Im August war Human Rights Watch vor Ort in Arauca und führte Interviews mit 105 Personen, darunter Gemeindeführer, Opfer von Menschenrechtsverletzungen und ihre Angehörige, Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, Menschenrechtsbeauftragte, Justizbeamte und Journalisten. Human Rights Watch schickte zudem Schreiben mit der Bitte um Informationen an die kolumbianischen und venezolanischen Behörden und konsultierte eine Reihe von Quellen und Dokumenten.

Die Recherchen von Human Rights Watch ergaben, dass bewaffnete Gruppen in beiden Ländern eine Vielzahl von Regeln aufgestellt haben, die für gewöhnlich von den Regierungen auferlegt werden und welche die Gruppen brutal durchsetzen. Dazu gehören Ausgangssperren, Verbote von Vergewaltigung, Diebstahl und Mord sowie Regelungen für alltägliche Aktivitäten wie die Fischerei, die Abzahlung von Schulden und die Schließzeiten von Bars. In einigen Gebieten verbieten bewaffnete Gruppen, Motorradhelme zu tragen, damit sie die Gesichter der Motorradfahrer sehen können. Die Gruppen erpressen routinemäßig Geld von praktisch jedem, der Geschäfte macht.

Die Gruppen haben Menschen in Arauca ermordet, darunter Menschenrechtsverteidiger und Gemeindeführer. Im Jahr 2015, als die FARC einen Waffenstillstand erklärte, um die Friedensgespräche mit der kolumbianischen Regierung voranzutreiben, verzeichneten die Behörden 96 Morde in Arauca. Seitdem hat die Zahl der Morde zugenommen. Zwischen Januar und Ende November 2019 waren es 161. Für die meisten dieser Tötungsdelikte sind bewaffnete Gruppen verantwortlich.

Human Rights Watch hat zudem glaubwürdige Anschuldigungen zu Tötungen durch bewaffnete Gruppen in Apure erhalten. Die venezolanischen Behörden haben jedoch keine verlässlichen und umfassenden Statistiken veröffentlicht.

Mindestens 16 Leichen von Zivilisten, die 2019 in Arauca gefunden wurden, hatten Papierfetzen bei sich, auf denen sie als „Informanten“, „Vergewaltiger“, „Drogenhändler“ oder „Diebe“ bezeichnet wurden . Einige wurden von der in der Region operierenden FARC-Guerillagruppe unterzeichnet.

Bewaffnete Gruppen in Arauca und Apure bestrafen die Bewohner auch mit Zwangsarbeit, indem sie manchmal monatelang ohne Lohn arbeiten, Landwirtschaft betreiben, Straßen säubern oder in den Lagern der bewaffneten Gruppen, die sich oft in Venezuela befinden, kochen müssen.

„Hier tust du entweder, was sie sagen, oder du stirbst“, so eine Bewohnerin, die aus ihrer Stadt floh, nachdem sie von bewaffneten Gruppen bedroht worden war. „Die Regeln lauten… du darfst nicht mit der Armee reden, du darfst das Haus nicht spät nachts verlassen… Wer sich nicht an die Regeln hält, der wird mit dem Tod bestraft.“

In Arauca leben etwa 44.000 Venezolaner. Die meisten sind seit 2015 auf der Flucht vor der verheerenden humanitären, politischen und wirtschaftlichen Krise in ihrem Heimatland. Die Venezolaner in Arauca leben oft in Armut, schlafen auf der Straße oder in provisorischen Siedlungen. Tausende sind auch zu Fuß aus der Grenzregion aufgebrochen, oft im Unwissen darüber, welche Gefahren auf dem Weg lauern, einschließlich der Bedrohung durch räuberische bewaffnete Gruppen.

Menschen aus Venezuela sind auch Opfer von Menschenrechtsverletzungen geworden, die nicht in direktem Zusammenhang mit bewaffneten Gruppen stehen. Es gibt glaubwürdige Berichte darüber, dass Frauen verschleppt, sexuell ausgebeutet und zur Prostitution gezwungen werden. In einigen Fällen werden ihnen, sobald sie in einem Bordell in Arauca ankommen, ihre Dokumente weggenommen und sie erhalten Kleidung, Essen und „Unterkunft“, für die sie mit Sex bezahlen müssen.

Venezolaner sehen sich zudem in Arauca mit Fremdenfeindlichkeit konfrontiert und werden von den Einwohnern oft für begangene Verbrechen verantwortlich gemacht.

Die kolumbianischen Behörden haben versucht, den bewaffneten Gruppen die Macht zu entreißen. Schwere Menschenrechtsverletzungen bleiben jedoch nach wie vor in aller Regel straffrei und der Schutz der Einwohner ist begrenzt. Bis September hatte die kolumbianische Staatsanwaltschaft für nur acht der mehr als 400 Morde, die seit 2017 in Arauca begangen wurden, Verurteilungen erwirkt. Keine dieser Verurteilungen betraf die bewaffneten Gruppen. Auch hat die Regierung seit 2017 keine Mitglieder von bewaffneten Gruppen für andere Verbrechen wie Vergewaltigung, Bedrohung, Erpressung, Kinderrekrutierung, Zwangsumsiedlung oder den Straftatbestand des „Verschwindenlassens“ verurteilt.

In Venezuela scheinen sich bewaffnete Gruppen noch freier zu fühlen. Sie verschleppen Menschen in Arauca und bringen diese in Lager in Venezuela. Einwohner, Gemeindeführer, Journalisten und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen in Apure sagten, dass zumindest in einigen Fällen bewaffnete Gruppen in Absprache mit den venezolanischen Sicherheitskräften und lokalen Behörden operieren.

Die Ergebnisse der Recherchen von Human Rights Watch deuten darauf hin, dass sich die Situation in Arauca kaum verbessern wird, solange die kolumbianische Regierung weiterhin das Militär dort einsetzt, ohne gleichzeitig das Rechtssystem zu stärken, den Schutz der Bevölkerung zu verbessern und einen angemessenen Zugang zu Wirtschafts- und Bildungsmöglichkeiten sowie zu öffentlichen Versorgungsleistungen zu gewährleisten. Umgekehrt könnten lokale Entwicklungsprogramme – insbesondere solche, die sich auf die Stärkung des Justizwesens, den Schutz von Gemeindeaktivisten und die Bereitstellung von Wirtschafts- und Bildungsmöglichkeiten beziehen – dazu beitragen, die Macht bewaffneter Gruppen zu untergraben und weitere Menschenrechtsverletzungen in Arauca zu verhindern.

Eine im September 2019 eingerichtete Erkundungsmission der Vereinten Nationen, welche die Gräueltaten in Venezuela überprüfen soll, sollte die Menschenrechtsverletzungen durch bewaffnete Gruppen in Venezuela genau untersuchen. Die Sicherheitskräfte sollten eine solche Untersuchung dulden oder ihr zustimmen.

„Erhöhter internationaler Druck auf das Maduro-Regime bleibt der Schlüssel, um Menschenrechtsverletzungen zu verhindern und dafür zu sorgen, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden“, sagte Vivanco. „Die Regierungen in ganz Amerika und Europa sollten gezielte Sanktionen wie das Einfrieren von Vermögenswerten und Reiseverbote gegen hohe venezolanische Beamte verhängen, die sich an Menschenrechtsverletzungen durch bewaffnete Gruppen auf venezolanischem Territorium beteiligt haben.”

Ausgewählte Fälle aus „‘The Guerrillas Are the Police‘“.

Am 27. April 2018 entführten bewaffnete Männer María del Carmen Moreno Páez von ihrer Farm im ländlichen Arauquita, Kolumbien, so zwei ihrer Angehörigen gegenüber Human Rights Watch. Die Entführer schickten ihrer Familie Videos und Fotos von Moreno Páez mit verbundenen Augen. Daraufhin verlangten sie Geld für ihre Freilassung, töteten sie aber bereits einige Stunden nach der Entführung. Die Feuerwehr fand ihre Leiche fünf Tage später. Bald darauf erschien in den sozialen Medien ein Video, das zwei Männer mit gefesselten Händen und Ketten um den Hals zeigte, die die Entführung und den Mord gestanden haben. Später am selben Tag wurden ihre Leichen gefunden. Auf einem Zettel stand: „Dies sind die Entführer und Mörder von Maria… Wir lassen Gerechtigkeit walten. FARC-EP. Die Volksarmee.“

Lina und Natalia (Namen geändert), beide 15, fuhren an einem Tag im April 2019 mit dem Bus von der Schule im ländlichen Arauca nach Hause. Als sie aus dem Bus ausstiegen, überzeugten Mitglieder der ELN die Mädchen, in ein Guerillacamp zu gehen, um Kämpferinnen zu werden. Linas Mutter fuhr sofort ins Lager, als sie davon erfuhr, begleitet von einem Gemeindeleiter. Sie konnte den Kommandanten zwar überzeugen, ihre Tochter freizulassen, nicht jedoch Natalia. Der Kommandant erklärte, dass Lina, sollte sie jemals zu den Guerillas zurückkommen, lebenslang dortbleiben würde. Nach Angaben von Regierungsbeamten, die mit Lina sprachen, fragten Guerillamitglieder die beiden Mädchen, ob sie Jungfrauen seien und fotografierten sie in Unterwäsche. Lina und ihre Mutter flohen später aus Arauca.

Miguel Escobar (Name geändert), ein 31-jähriger Venezolaner, berichtete Human Rights Watch, dass er im Mai 2019 in ein FARC-Lager in Venezuela gerufen wurde, um mit „Jerónimo“, dem Kommandanten, zu sprechen. Escobars Frau hätte der Gruppe erzählt, dass er sie misshandelt habe, sagte er. Escobar sagte, dass er nach einer kurzen Diskussion mit „Jerónimo“ gezwungen wurde, ohne Bezahlung als Koch im Lager der FARC mit zwei anderen Zivilisten, die sich in der gleichen Lage befanden wie er, zu arbeiten. Nach zwei Monaten teilte ihm ein Kommandant mit, dass sie ihn dort zwei Jahre festhalten wollten. Kurz darauf gelang Escobar die Flucht.

Rafael Ortíz (Name geändert), 20, arbeitete für eine lokale Gemeindeorganisation in Arauca. Anfang 2019 riefen ihn Mitglieder der FARC an und sagten, dass er zur Verantwortung gezogen würde, wenn ein Mitglied seiner Organisation aus der Reihe tanzen würde. Später brachten ihn ELN-Mitglieder gewaltsam in ein Dorf im ländlichen Arauca, wo ihm ein Kommandant 700.000 kolumbianische Pesos (etwa 210 US$) für jedes Kind ab 12 Jahren anbot, das er für die Gruppe rekrutierte. Als er das Angebot ablehnte, sagte ihm der Kommandant, er müsse „die Konsequenzen tragen“. Ortíz beendete das Treffen und floh sofort aus Arauca.

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