Hamsterkäufe: Versuch der Rebellion gegen die eigene Hilflosigkeit

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Leere Straßen in vielen Städten Lateinamerikas (Foto: Archiv)
Datum: 30. März 2020
Uhrzeit: 21:13 Uhr
Leserecho: 0 Kommentare
Autor: Redaktion
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Ein Forschungsteam aus dem Bereich Marketing der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Uni Köln hat mithilfe einer Umfrage herausgefunden, dass Käuferinnen und Käufer derzeit besonders oft Ängste als Gründe für vermehrtes Kaufverhalten angeben. Die aktuelle Coronavirus-Krise bestimmt derzeit unseren Alltag. Dazu gehören auch durch Hamsterkäufe leergekaufte Regale. Die Marketingwissenschaftler Professor Dr. André Marchand, Juniorprofessor Dr. Martin Fritze und die Doktorandin Friederike Gobrecht gehen diesem Phänomen und seinen Ursachen nach.

Die Brisanz der Thematik wird mit Blick auf aktuelle Daten des Statistischen Bundesamtes (Destatis) deutlich: Laut diesem stiegen die Verkaufszahlen für ausgewählte Produkte in der Woche vom 16. bis 22. März 2020, wie schon in den drei Wochen zuvor, auf ein extrem hohes Niveau. Beispielsweise war die Nachfrage nach Seife mehr als vier Mal so hoch wie in den sechs Monaten zuvor (+337 Prozent), während die Nachfrage nach Toilettenpapier mehr als drei Mal so hoch lag (+211 Prozent). André Marchand erläutert: „Es gibt zahlreiche theoretisch plausible Gründe für das derzeit stattfindende Hamsterkaufverhalten. In unserer Studie wollten wir herausfinden, was die Konsumentinnen und Konsumenten selbst über ihr mögliches eigenes Hamsterkaufverhalten und das anderer Menschen denken.“

Für die Umfrage befragte das Team 250 zufällig ausgewählte Personen in Deutschland am 23. März 2020 anonym und online. Das Alter der Befragten lag dabei bei 18 bis 71 Jahren (Mittelwert: 37), 44 Prozent weiblich, 56 Prozent männlich. Knapp 40 Prozent der Befragten wohnte zur Zeit der Umfrage in einer Großstadt, ähnlich viele in einer Kleinstadt und der Rest auf dem Land. Nur 21 Prozent der Teilnehmer gaben an, selbst mehr Toilettenpapier als üblich gekauft zu haben. Professor Marchand erklärt dazu: „Da das sogenannte Hamsterkaufen gesellschaftlich nicht erwünscht ist und als unsolidarisch wahrgenommen wird, könnte an dieser Stelle die Scham eine ehrliche Antwort verhindert haben. Mit für die Teilnehmer nicht eindeutigen Fragen zu anderem, sozial erwünschtem Verhalten, konnten wir solche Verzerrungen jedoch weitestgehend herausfiltern.“

Der am häufigsten genannte Grund bei etwas mehr als 50 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die selbst mehr als sonst gekauft hatten, war Sorge um die Verfügbarkeit. Die Forscher und Forscherin erklären diese Sorge durch die vielen Fotos leerer Regale und Hamsterkäufer und -käuferinnen in sozialen Netzwerken und sonstigen Medien. „Wenn die Menschen im Supermarkt nach den einprägsamen Bildern auf Social Media dann selbst vor leeren Regalen stehen, ist das aufgrund der Fläche, die Toilettenpapier einnimmt, besonders auffallend. So lassen sich mehr Menschen von den Hamsterkäufen anderer quasi anstecken, da sie den Eindruck bekommen, besser jetzt auch möglichst mehr zu kaufen, bevor die Produkte wieder vergriffen sind“, sagt Professor Marchand.

Die Hälfte der Konsumentinnen und Konsumenten, die selbst hamstern, führen als Gründe die Angst an, dass Supermärkte geschlossen werden könnten, oder die generelle Machtlosigkeit in der derzeitigen Situation. Von den übrigen Befragten, die selbst angeben nicht zu hamstern, glauben sogar 82 Prozent daran, dass dies ein Grund für das Hamstern bei anderen Menschen ist. Weitere, von „Hamsternden“ genannte Gründe, sind die lange Haltbarkeit von Toilettenpapier, zusätzliche Käufe für Verwandte und Freunde sowie das Bedürfnis nach mehr Sicherheit und Kontrolle durch Hamsterkäufe.

„Interessanterweise fanden wir keine Unterschiede beim Alter, jedoch bei der individuellen Mortalitätssalienz, also der individuellen Einschätzung und Sorge, dass man bald sterben könnte. Dies kann, muss aber nicht, vom Alter oder von Vorerkrankungen abhängig sein“, sagt Juniorprofessor Martin Fritze. Diejenigen Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Studie, die angaben, selbst nicht mehr als sonst zu kaufen, vermuteten, dass es hauptsächlich am Herdentrieb liege, also sachlich unbegründet sei.

Mehr als die Hälfte der befragten Hamsterkäuferinnen und -käufer gaben auch an, andere Produkte wie Nudeln, Konserven und Hygieneartikel mehr als üblich gekauft zu haben. Bei den Ausgaben für digitale Dienstleistungen konnte das Team allerdings keine signifikanten Unterschiede im Kaufverhalten feststellen.

Professor Marchand zieht ein Zwischenfazit zur bisherigen Untersuchung, die noch ausgebaut werden soll: „Unsere Studie hat bereits spannende Einblicke über die Beweggründe der Hamsterkäufer in Deutschland gegeben. Derzeit ist geplant, die Befragung auf andere Länder auszudehnen, um mehr über kulturelle und regionale Unterschiede zu lernen und nach der Coronakrise zu wiederholen.“ Eine Veröffentlichung der gesammelten Studienergebnisse soll danach folgen. In einer weiteren Studie untersucht das Forschungsteam aktuell außerdem die Auswirkungen von Ausgangssperren auf den Konsum.

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