Mehr als 500 Staudämme und Wasserkraftanlagen sind in Schutzgebieten wie Nationalparks, indigenen Schutzgebieten, Naturschutzgebieten oder Ramsar-Gebieten geplant oder bereits im Bau. Über 1240 größere Staudämme existieren dort bereits. Das berichtet ein internationaler Verbund von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, darunter Michele Thieme vom WWF, in der Fachzeitschrift „Conservation Letters“. Der WWF Deutschland nennt die Zahlen „alarmierend“, die jeweiligen Projekte gehörten auf den Prüfstand. Bei bereits bestehenden Anlagen sollten Möglichkeiten zum Rückbau geprüft werden.
Aktuell wird mitten im UNESCO-Weltnaturerbe des Selous ein Staudammprojekt vorangetrieben. Am Rufiji-Fluss soll ein gigantisches Wasserkraftwerk entstehen. Auf einer Fläche von rund 1.200 Quadratkilometern wird dann die bisher unberührte Wildnis aus Flusswäldern, Savannen und Feuchtgebieten in einem riesigen Stausee versinken. Gleichzeitig hat die Regierung Tansanias aber einen Teil des Selous-Wildreservats einschließlich der Fläche des neuen Stausees zum Nationalpark hochgestuft. Ein Mega-Kraftwerk mitten in einem Schutzgebiet der höchsten Kategorie widerspricht internationalen Standards und nationalen Gesetzen, so der WWF.
Für die Umweltstiftung ist das Vorhaben ein „ökologisches wie wirtschaftliches Himmelfahrtskommando“. Massive Sprengungen, großflächige Abholzungen und umfangreiche Baumaßnahmen haben bereits schwere Schäden verursacht. Die Heimat von Elefanten, Löwen, Wildhunden und anderen bedrohten Arten wird massiv beschnitten und zerstört. Die Umweltschützer vom WWF befürchten außerdem negative hydrologische Folgen für den Unterlauf des Rufiji bis zu dessen Mündung in den Indischen Ozean. Feuchtgebiete, Altwasserseen und Mangrovenwälder stehen dann auf dem Spiel und mit ihnen die Lebensgrundlage tausender Menschen, die auf das Flusssystem als Wasser- und Nahrungslieferant angewiesen sind.
Der ökonomische Nutzen des Staudamms ist umstritten. Die kalkulierten Baukosten sind noch nicht gedeckt. Und die tatsächliche Stromproduktion der Wasserkraftanlage wird laut WWF deutlich geringer und unsicherer ausfallen als angenomen. Denn schon heute führt der Rufiji durch die Auswirkungen des Klimawandels zeitweise erheblich weniger Wasser – ein Trend, der sich mit den zunehmenden Dürren in der Region weiter verstärkt. Mittlerweile sind die Kosten pro Kilowattstunde Strom aus Solarenergie und Windkraft oftmals geringer als solche von Wasserkraftanlagen, so der WWF, der für dezentralere Ansätze in der Stromversorgung Tansanias wirbt.
Auch jenseits von Schutzgebieten sind intakte Flusssysteme ein Win-Win für Natur und Mensch: Sie sind wichtige Lebensräume für Tier- und Pflanzenarten, mildern Wetterextreme wie Dürren ab und bieten Nahrungssicherheit. Die Flussfischerei versorgt weltweit rund 160 Millionen Menschen – in vielen Ländern wie dem Kongo- oder Amazonasbecken ist sie die wichtigste Eiweißquelle. Das durch Dämme veränderte Fließverhalten verschlechtert die Sedimentfracht, Flussdeltas schrumpfen und einige der produktivsten Fischbestände gehen verloren, warnt der WWF. Einem kürzlich erschienenen Bericht zufolge sind Staudämme einer der Hauptfaktoren für den 76-prozentigen Einbruch der weltweiten Bestände wandernder Süßwasserfische seit 1970.
Zur Methodik des Fachartikels in „Conservation Letters“:
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verwendeten die World Database on Protected Areas, globale Staudammdaten von Global Dam Watch und Daten des PADDDTracker zur Ermittlung der Zahlen. Schutzgebiete sind definierte geographische Räume, die anerkannt, gewidmet und verwaltet werden, um durch rechtliche oder andere wirksame Mittel den langfristigen Erhalt der Natur mit den damit verbundenen Ökosystemleistungen und kulturellen Werten zu erreichen. Dazu gehören unter anderem Naturschutzgebiete, RAMSAR-Gebiete, indigene Gebiete und Nationalparks. Die Weltnaturschutzunion IUCN hat sechs Schutzgebiets-Kategorien definiert
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