Evangelische Pastorin gründet erste Trans-Kirche in Brasilien

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Jaqueline Chanel ist Aktivistin und Förderin der Rechte von Trans-Menschen in Brasilien und auch evangelische Pastorin (Fotos: Twitter)
Datum: 08. Juni 2021
Uhrzeit: 09:58 Uhr
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Die frisch zur evangelischen Pastorin geweihte 56-jährige Jacqueline Chanel ist gerade zur Gründerin der ersten Kirche für Transmenschen in Brasilien geworden. Der Weg zu dem, was sie als den größten Segen ihres Lebens bezeichnet, begann, als sie gerade einmal elf Jahre alt war und von ihrer Familie an der Tür einer Kirche ausgesetzt wurde. Schon in diesem frühen Alter zeigte sie, dass sie anders war und begann die systematische Ablehnung zu spüren, der sie ihr Leben lang ausgesetzt sein würde. „Meine Mutter nahm schon wahr, dass ich ein verweichlichter Mensch war und wollte keine Probleme mit mir haben. Es war zum Verzweifeln“, erklärte Jaqueline in einem Interview. Sie lebte in der Stadt Belém, die im Amazonasgebiet des südamerikanischen Landes liegt (Bundesstaat Pará). Dort war auch die Kirche, vor der sie ausgesetzt wurde und in der sie jahrelang unter der Obhut eines Pfarrers lebte, den sie schließlich als Vater betrachtete. In diesen Jahren erhielt sie eine Ausbildung und lernte Gott zu dienen. Im Alter von neunzehn Jahren veränderte ein weiterer harter Schlag ihr Leben. Der Pastor der Kirche wurde erschossen und Jaqueline wurde wieder obdachlos. Sie versuchte Hilfe bei ihrer Familie zu suchen, wurde erneut abgewiesen und begann ihren eigenen Weg zu gehen. Im Alter von dreiundzwanzig Jahren begann sie ihre Geschlechtsumwandlung und mit achtundzwanzig Jahren beschloss sie, auf der Suche nach einer besseren Zukunft und einem vorurteilsfreieren Umfeld nach São Paulo, der größten Stadt Brasiliens, zu ziehen.

Aber dort war alles noch schlimmer und sie wurde aus der „Universellen Kirche“ ausgestoßen, wohin sie auf der Suche nach geistiger Zuflucht gekommen war. Außerdem war es trotz ihres betriebswirtschaftlichen Hintergrunds fast unmöglich – aufgrund ihres Aussehens – einen Job zu bekommen, so dass sie schließlich in Schönheitssalons arbeitete. „Als ich in der Kirche war dachten sie ich sei eine Frau, aber als ich sie ansprach, identifizierten sie mich als Transvestit und ich wurde sofort ausgegrenzt. Vor zwanzig Jahren war dieses ganze Thema sehr stark und ich habe wegen der Ablehnung durch die Kirche sehr gelitten“, klagt Jaqueline. Diese ständige Suche, ihren Glauben ausdrücken zu können, führte sie schließlich vor etwa zehn Jahren zu einer „inklusiven Kirche“, die hauptsächlich homosexuelle Männer akzeptiert. Der erste Schritt war die Gründung des „Zippora-Projekts“, benannt nach Moses‘ Frau in der Bibel, das Transsexuelle und Transvestiten aufnimmt die in anderen Kirchen abgelehnt werden. Die Initiative wird heute von der „Comunidad Metropolitana“ (ICM) unterstützt, einer religiösen Bewegung, die 1968 in den Vereinigten Staaten von dem homosexuellen Pastor Troy Perry gegründet wurde. Diese Bewegung ist heute in fast vierzig Ländern vertreten und heißt Gemeindemitglieder willkommen, die sich mit allen Arten von Sexualität identifizieren.

Jaquelines Initiative brachte fast zweihundert Transfrauen zusammen, die meisten von ihnen Sexarbeiterinnen mit einem hohen Grad an Verletzlichkeit. Das ist nicht verwunderlich, denn Brasilien ist einer der feindlichsten Orte der Welt für Transgender-Menschen. Nach Angaben der Nationalen Vereinigung der Transvestiten und Transsexuellen (Antre) wurden allein im Jahr 2020 in Brasilien einhundertfünfundsiebzig Transsexuelle ermordet, das heißt, alle zwei Tage ein Tötungsdelikt. Damit ist das größte Land Südamerikas der tödlichste Ort für Transmenschen weltweit. Dieselbe Organisation warnt, dass das Problem viel ernster ist, da es keine offiziellen Zahlen gibt die alle gewaltsamen Todesfälle gegen Trans-Personen erfassen, so dass ihre Aufzeichnungen nur eine begrenzte Momentaufnahme einer viel komplexeren Situation sind. Von den im Jahr 2020 erfassten Opfern waren sechsundfünfzig Prozent zwischen fünfzehn und neunundzwanzig Jahren alt und siebenundvierzig Prozent der Straftaten wiesen Anzeichen dafür auf, dass sie durch das unterschiedliche Geschlecht der Opfer motiviert waren. Schläge oder Schussverletzungen an bestimmten Körperteilen wie Gesicht, Kopf, Brüsten oder Genitalien sind Hinweise darauf.

In São Paulo, wo Jaqueline ihre Kirche gründete, gab es die höchste Zahl an Tötungsdelikten (29) an Transmenschen. Mit dieser diskriminierten, verarmten und verletzlichen Bevölkerung, begann Jaqueline eine Arbeit der Begleitung, geistlichen Führung und humanitären Hilfe. Sie begann Essen für die Betroffenen zuzubereiten, ihnen einen Platz zum Waschen, Umziehen oder Ausruhen anzubieten und so einen sicheren Ort für sie zu schaffen. Als die Corona-Pandemie ausbrach, wurde die Kirche geschlossen und damit auch „Zippora“. Jaqueline setzte ihre humanitäre Arbeit jedoch zusammen mit einer Gruppe von Freiwilligen fort, mit denen sie sich organisierte um weiterhin Essen auf der Straße zu verteilen und organisierte sogar ein Crowdfunding zur Finanzierung der Aktion. All diese Arbeit über die Jahre hinweg machte sie würdig für ihre Weihe zur Pastorin und sie erhielt die Erlaubnis, einen unabhängigen Dienst innerhalb der „Iglesia de Comunidad Metropolitana“ zu gründen um Trans-Personen weiterhin spirituelle Unterstützung zu bieten. „Es ist eine Auszeichnung für all das, was ich erlebt habe und für die Arbeit, die ich geleistet habe um meine Gemeinschaft, die in Verletzlichkeit lebt, einzubeziehen und willkommen zu heißen. Die meisten von ihnen wurden von zu Hause vertrieben, von ihrem Glauben ausgeschlossen und von den traditionellen Kirchen verteufelt“, bekräftigt Jaqueline.

In den kommenden Jahren wird Brasilien höchstwahrscheinlich ein gefährlicher und feindseliger Ort für Trans-Personen bleiben, deren Lebenserwartung im Land nicht mehr als fünfunddreißig Jahre beträgt (nationaler Durchschnitt bei fünfundsiebzig Jahren). Arbeiten wie die von Jaqueline Chanel sind jedoch unerlässlich, damit sich diese harte Realität zu ändern beginnt.

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