Miragoâne ist eine Reise wert, kleines Juwel in der tiefeingeschnittenen Hafenbucht. Das Juwel ist vom Erdbeben des Jahrtausends verschont geblieben, wenigstens weitgehend, selbst die ältesten, baufälligen Häuser sind stehen geblieben. Auch die prächtige Kathedrale, das Wahrzeichen der Stadt, ist unversehrt – keine Fensterscheibe ist defekt. Das uralte, enge Straßensystem muss es weiter tun, das Wunderstädtchen bleibt auch in Zukunft vom Verkehr ausgeschlossen, eine natürlich erzwungene Fußgängerzone.
Man muss oben bleiben, auf dem großen Haupt- und Marktplatz, das Auto dort parkieren und zu Fuß hinuntersteigen. Wenn es einer trotzdem wagen muss oder will, hinunterzufahren in die Stadt, bleibt nach wie vor nur die Möglichkeit über die enge, kaum einbahnige Einbahnstraße. Im Gegenuhrzeigersinn geht es hinunter, eben im Tempo das der Langsamste vorgibt, um den Stadtkern herum, und im Westen desselben wieder steil hinauf zur normalen Straße. Parkieren im Städtchen muss man vergessen, ist auch verboten, die wenigen Seitengassen von Marktständen versperrt und unpassierbar.
Miragoâne ist die Hauptstadt des industrielosen Departements Nippes. Die wenigen Verwaltungsgebäude der Orts-, UNO- und Hafenbehörden sitzen zusammengedrängt um den Stadtkern. Der Clou ist, dass man den Verkehr nicht einfach ausschalten kann. Denn die einzige Zufahrt zum Departement Nippes, wo immerhin größere Städte bestehen, führt durch den Kreisel hinunter, und auf Meereshöhe zweigt die Zufahrt nach Westen ab, fortan als klassische Küstenstraße. Mich interessiert, wie sich eine solche Stadt auf Katastrophen vorbereitet, die ja auch hier nicht für alle Ewigkeit ausbleiben müssen, leider. So suchen wir uns zum Spital durch, eigentlich ein Kunststück und nur über weitere, an sich verbotene Einbahnstraßen möglich.
Das Spital ist offensichtlich ein Neubau aus der Nachbebenzeit, welche Haiti, das sich die Karibikinsel Hispaniola mit der Dominikanischen Republik teilt, nach dem 12. Januar heimgesucht haben. Es liegt gegenüber der Bucht auf einer kleinen Bergterrasse und enthält fast keine Gebäude aus Stein. Die große Eingangshalle bietet Sitzgelegenheiten und Schatten, hier stehen auch die üblichen Warteschlangen vor dem Eintritt in eine solche Einrichtung. Nur sehr wenige Zimmer sind für die tägliche Arbeit der Medizin und Administration eingerichtet, Die Hauptarbeit findet in sauberen Zelten statt.
Vor der Notfallstation ist eben eine Ambulanz losgefahren, eine zweite steht einsatzbereit vor Ort. Durch eine offene Zelttür kann man das Wirken der operierenden Ärzte und ihrer Gehilfinnen beobachten, Hellhäutige aus aller Herren Länder. Zum Glück sind hier nicht Amputationen von Armen und Beinen die Hauptarbeit, wie in all den übrigen Spitälern des Landes, aber man ist auch hier auf alles vorbereitet. Und Notfälle jeder Art kommen auch hier vor, besonders mit Kindern. Jedenfalls zählt Ste-Thérèse zurzeit hunderte von Patienten.
Eine Aufschrift auf jedem Zelt zeigt, wo die Planung herkommt: Urgence Humanitaire France, Humanitäre Dringlichkeitshilfe Frankreich. Die Patienten sind in Zelten untergebracht, organisiert wie in einem normalen Spital. Eigentlich paradox, das Bezirksspital von Miragoâne ist das einzige Zeltlager der Region, obschon hier das Erdbeben glimpflich durchzog und keine Tote, nicht einmal Verletzte hinterließ. Während sonst das ganze Land nur noch aus Zeltstädten besteht, Steinstädte fast ganz fehlen. Nur in der Ferne sieht man hie und da ein Steingebäude, etwa für die sanitären Bedürfnisse.
Man hat eben für die Zukunft, für den Notfall geplant. So wie Spitäler eigentlich sein sollten. Man rechten mit allem, auch mit weiteren Beben: man ist vorbereitet. In der Umgebung stehen Operationstische, medizinisches Ersatzmaterial, potente Stromaggregate, weitere zum Glück noch nicht benötigte Spitalzelte mit Bambusgerüsten und allem was dazu gehört. In einem steinernen, getrennten Nebengebäude sind die Medikamente gut wettergeschützt gelagert, hier muss ja nicht übernachtet werden.
Und wenn es trotz allem auch hier nochmals zum Schlimmsten kommen sollte, dann stehen nicht nur genügend Ärzte, Medikamente und Zelte bereit, dann gibt es ja auch noch den Helikopter-Landeplatz. Und mit dieser knatternden Errungenschaft unserer Zeit lassen sich dann auch allfällige Nottransporte zum schwimmenden amerikanischen Militärspital, das in solchen Momenten zur Stelle ist, in Minuten erledigen.
Alles in allem schon wieder ein wertvoller Tag, der in eindrücklicher Weise zeigte, wie kompetent die Weltgemeinschaft die Fülle der Probleme angeht, die hier hoffentlich nie gelöst werden müssen. Und all den Meckerer-„Journalisten“ und Großmäulern aus gewissen Nachbar-Ländern gehört eigentlich einmal mehr eins aufs Maul. Aber ich bin ja im Grundsatz gegen Gewalt…
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