Abholzung im südamerikanischen Gran Chaco entzieht traditionellen Bevölkerungsgruppen die Lebensgrundlage

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Der Gran Chaco im Herzen Südamerikas hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einem globalen Hotspot der Umweltzerstörung entwickelt (Foto: TVScreen)
Datum: 27. Oktober 2021
Uhrzeit: 12:49 Uhr
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Autor: Redaktion
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Während Umweltzerstörungen durch tropische Entwaldung breite Aufmerksamkeit erfahren, bleiben die sozialen Auswirkungen oft im Verborgenen. Ein Hauptgrund: der Mangel an Daten darüber, wo Menschen in den Wäldern der Tropen und Subtropen leben. Eine Studie zeigt nun, wie diese Bevölkerungsgruppen und ihre Lebensgrundlagen kartiert werden können. Erstmals wurden mit Hilfe von Satellitenbildern menschliche Siedlungen innerhalb der Wälder des gesamten südamerikanischen Gran Chaco erfasst. Die Analysen zeigen, dass traditionell riesige Waldgebiete von Menschen genutzt werden. Wo die Landwirtschaft voranschreitet, kommt es zur „ökologischen Marginalisierung“ traditioneller Bevölkerungsgruppen. An nur wenigen Orte auf der Welt werden momentan tropische Wälder so schnell zerstört wie im Gran Chaco. Das ist eine Trockenwaldregion im Herzen Südamerikas, dreimal so groß wie Deutschland. Abgeholzt wird dort vor allem für die Produktion von Rindfleisch und Sojabohnen für internationale Märkte, auch für Deutschland. Die weitreichende Umweltzerstörung und global relevanten Kohlenstoffemissionen sind wissenschaftlich umfassend dokumentiert worden. Die sozialen Auswirkungen der Rodungen jedoch bleiben oft unklar, obwohl im Chaco eine Vielzahl traditioneller Bevölkerungsgruppen lebt, unter ihnen auch die letzten völlig isolierten indigenen Völker Südamerikas außerhalb des Amazonasgebiets.

Forscher des Geographischen Instituts der Humboldt-Universität zu Berlin sowie Wissenschaftler aus Argentinien, Kanada und den Niederlanden erstellten in einer Studie, die in der Zeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences veröffentlicht wurde , erstmals eine Karte dieser von den Wäldern des Chaco abhängigen Menschen. Mit Hilfe von hochauflösenden Satellitenbildern digitalisierte das Team die Siedlungen in den Wäldern des Chaco und verfolgte, was mit diesen Siedlungen über die letzten Jahrzehnte geschah. „Wir schätzen, dass es 1985 etwa 28.000 Siedlungen gab, die sich fast über die Hälfte der Wälder des Chaco verteilten“, erklärt Dr. Christian Levers, ehemaliger Postdoktorand an der HU Berlin und jetzt Professor an der VU Amsterdam und Hauptautor der Studie. „Das war ein überraschendes Ergebnis und es zeigt, dass die Wälder des Chaco alles andere als menschenleer sind.“ Die von den Forschern kartierten traditionellen Gemeinschaften nutzen die Wälder des Chaco rund um ihre Siedlungen auf vielfältige Weise, zum Beispiel für Brenn- und Bauholz, als Viehweide, zur Subsistenzjagd oder zum Sammeln von Honig. Den Forschern zufolge übt die Ausbreitung der industriellen Landwirtschaft enormen Druck auf diese Bevölkerungsgruppen aus. „Seit 1985 sind mehr als 5.000 Siedlungen verschwunden“, erklärt Levers. „Aber noch wichtiger ist, dass viele dieser Siedlungen einen Großteil der Wälder in ihrer Umgebung verloren haben – Wälder, von denen diese Gemeinschaften abhängig sind.“

Ein zentrales Ergebnis der Studie ist weiterhin, dass die Entwaldung zu einer zunehmenden ökologischen Marginalisierung der vom Wald abhängigen Bevölkerungsgruppen führt. „Was wir damit meinen ist, dass die Menschen vor Ort durch die Abholzungen eine massive Erosion ihrer Lebensgrundlage erfahren“, erklärt Prof. Tobias Kümmerle von der Humboldt-Universität Berlin, Koautor der Studie. „Wir konnten erstmals zeigen, dass Siedlungen, die verschwunden sind, oft in landwirtschaftlich gut geeigneten Gebieten lagen. Andererseits finden sich neue oder fortbestehende Siedlungen oft in weniger gut geeigneten Gebieten. Auch das ist eine Form von Marginalisierung,“ fasst Kümmerle zusammen.

Besonders viele Siedlungen verschwanden dort, wo die Agrarindustrie sich am stärksten ausbreitete. „Dies zeigt deutlich, wie sich unser Konsum auf die von Wäldern abhängigen Menschen auswirkt. Bevölkerungsgruppen, die besonders vulnerabel und arm sind“, erklärt Dr. Alfredo Romero-Muñoz, Forscher am Geographischen Institut der HU und Mitautor der Studie. „Die industrielle Landwirtschaft breitet sich in vielen tropischen Trockenwäldern weltweit aus, und wir müssen die Auswirkungen dringend ernst nehmen, die dies auf lokale, von Wäldern abhängigen Bevölkerungsgruppen hat,– zusätzlich zu den schon bekannten negativen Auswirkungen von Entwaldung auf die Artenvielfalt und den Klimawandel.“ Den Forschern zufolge ist die Kartierung dieser Bevölkerungsgruppen ein erster und dringend notwendiger Schritt, um sie bei der Landnutzungsplanung und politischen Diskussionen angemessener zu vertreten.

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