Ein neues Kommunikationsnetz verspricht eine viel größere Effizienz in den industriellen Prozessen. Damit wird nicht nur Geld, sondern auch natürliche Ressourcen gespart. Doch paradoxerweise sagen Experten voraus, dass eine höhere Effizienz zu einem höheren Energieverbrauch und einer größeren Umweltbelastung führen wird. 5G ist vergleichbar mit der Dampfmaschine, die die industrielle Revolution Mitte des 18. Jahrhunderts einleitete. Ultraschnelle Breitbandverbindungen, ultrazuverlässige Kommunikation mit geringer Latenz, maschinenähnliche Massenkommunikation, hohe Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit sowie geringer Stromverbrauch werden nicht nur eine nahtlosere Interaktion zwischen Menschen ermöglichen, sondern auch einen Wandel in der industriellen Produktion auslösen, der nach Schätzungen des Brancheninformationsunternehmens „IHS Markit“ bis 2035 ein sozioökonomisches Wachstum von 13,2 Billionen US-Dollar auslösen wird. Aber dieser industrielle Wandel und der Übergang zu 5G-Netzen bleibt nicht ohne Folgen – und eine davon ist die Umwelt. Einerseits sind 5G-Netze neunzig Prozent energieeffizienter als das 4G-Netz, wie Untersuchungen von „Nokia“ und „Telefónica“ zeigen. Mit anderen Worten: Mit der Technologie der fünften Generation können mehr Daten pro Kilowatt Energie übertragen werden. Trotz dieser Effizienz haben die für 5G-Netze erforderlichen hohen Frequenzen nicht den gleichen Abdeckungsbereich wie die niedrigeren Frequenzen.
Aus diesem Grund wird das 5G-Netz eine dichtere Aufstellung von Antennen erfordern, um eine ähnliche Abdeckung wie bei früheren Generationen zu erreichen. „Jede einzelne Antenne hat einen geringeren Stromverbrauch, aber multipliziert mit mehr Knotenpunkten wird mehr Energie benötigt“, erklärt Daniel de Vinatea, Sales Operations and Delivery & Execution Director bei „Vertiv Latinoaméric“, dem Infrastrukturanbieter für IT- und Kommunikationssysteme. Die Einführung von 5G wird nicht nur höhere Energiekosten verursachen, sondern auch dazu führen, dass mehr Daten über das Netz fließen, was wiederum mehr Server und Rechenzentren zur Verarbeitung der Informationen erfordert, deren Betrieb hauptsächlich Energie verbraucht. Laut einer Studie von „Vertiv“ wird 5G den Gesamtstromverbrauch des Netzes bis 2026 um einhundertfünfzig bis einhundertsiebzig Prozent erhöhen. Nach Angaben der „Boston Consulting Group“ wird der weltweite Datenverkehr um etwa sechzig Prozent pro Jahr zunehmen. Um den gesamten Verkehr zu bewältigen, wird die Informations- und Kommunikationstechnologiebranche, die derzeit für etwa drei bis vier Prozent der weltweiten Kohlendioxidemissionen verantwortlich ist, bis 2040 auf vierzehn Prozent ansteigen.
Durchbrechen der Energiekurve
Im Jahr 1865 stellte der Wirtschaftswissenschaftler William Stanley Jevons fest, dass weitere Innovationen bei der Effizienz der Dampfmaschinentechnologie nicht zu einem geringeren, sondern zu einem höheren Kohleverbrauch führen würden. Damals war der Autor besorgt, dass Großbritannien seine Energiequelle versiegen könnte, aber heute gilt dieses Paradoxon für das Verständnis der Umweltschäden, die die Innovation mit sich bringen könnte. Angesichts dieser Situation gibt es im Falle von 5G offenbar zwei Möglichkeiten: den Energieverbrauch zu senken oder das Wachstum zu verlangsamen. „Bis zum Jahr 2050 wird prognostiziert, dass wir mehr als neun Milliarden Menschen sein werden, wir werden aufgrund unserer Kultur mehr konsumieren und diese Nachfrage wird natürlich befriedigt werden“, verteidigt Carlos Sanchez, Qualcomms Direktor für Geschäftsentwicklung in Lateinamerika. „Wenn ein höherer Verbrauch in Zukunft unvermeidlich ist, stellt sich die Frage, wie wir diese Nachfrage effizienter decken können“, fügt er hinzu. Marina Martinelli, Forscherin an der Abteilung für Wissenschafts- und Technologiepolitik der Universität Campinas in Brasilien, antwortet auf diese Frage, dass dies durch einen innovativen und nachhaltigen Ansatz erreicht werden muss, bei dem Fachwissen kombiniert wird, um die Energieeffizienz der Netze zu erhöhen. Außerdem weist sie darauf hin, dass im Telekommunikationsbereich der Energieverbrauch und die energiebedingte Umweltverschmutzung bereits zu einem wichtigen betrieblichen und wirtschaftlichen Problem geworden sind.
„Energie und Effizienz haben in letzter Zeit eine eigene Rolle als Leistungsmaßstab und Designvorgabe für 5G-Kommunikationsnetze gewonnen“, sagt Martinelli. „Dies begünstigt die Entwicklung neuer Formen von elektronischen Kommunikationsdiensten zur Unterstützung des Energiemanagements und des Energieverbrauchs“, fügt sie hinzu. „Vertiv“ strebt beispielsweise Lösungen an, wie Stromversorgungsgeräte, die 5G-Energie nutzen und so wenig Verluste wie möglich während des Umwandlungsprozesses haben: „Die Idee ist, dass wir eine nahezu 100-prozentige Übereinstimmung zwischen Eingangs- und Ausgangsleistung haben“, erklärt Daniel de Vinatea. Nicolás Malinovsky, Direktor des Observatoriums für Energie, Wissenschaft und Technologie (OECYT), fügt hinzu, dass die Umgestaltung der Kommunikationsinfrastruktur und die damit einhergehende Umgestaltung des Produktionssystems mit einer Umstellung auf umweltfreundlichere Energieformen wie Solar-, Wind- und Wasserkraft sowie Kernkraft einhergehen muss. „Die größten Unternehmen, darunter 5G-Führer wie Google, AT&T, Verizon und Microsoft, sind diejenigen, die seit dem Jahr 2000 am meisten auf grüne Energie gesetzt haben“, sagt Malinovsky, der auch auf die Möglichkeiten hinweist, die in Lateinamerika bestehen, um strategische Ressourcen für erneuerbare Energien wie Lithium bereitzustellen.
5G und Nachhaltigkeit
Die 5G-Aussichten für das nachhaltige Szenario sind nicht ganz so düster. Im Gegenteil, Carlos Sanchez zufolge führt die 5G-Technologie selbst zu einer verbesserten Energieeffizienz und geringeren Umweltauswirkungen der industriellen Prozesse, die sie umwandeln soll, insbesondere durch weniger Abfall und einen effizienteren Ressourcenverbrauch. „In einer perfekten Welt, in der ich über präzise Informationen verfüge, wüsste ich genau, wo ich schneiden muss, wie viel ich lagern, verbrauchen und produzieren muss, damit kein Abfall entsteht“, erklärt Sanchez. „Und 5G bringt spezielle Technologien mit sich, wie z. B. ultrazuverlässige Kommunikation mit geringer Latenz, die zu einer höheren Genauigkeit führen wird“, fügt er hinzu. In der Landwirtschaft beispielsweise werden Fotos, die von 5G-fähigen Drohnen aufgenommen wurden, über Mobilfunkverbindungen an eine Software gesendet, die in Echtzeit genau erkennt, welche Flächen mit Pestiziden behandelt werden müssen, wodurch die Menge und Häufigkeit des Sprühens verringert und die Pestizidrückstände auf dem Boden reduziert werden. Darüber hinaus kann laut der Accenture-Studie „The Impact of 5G on the European Economy“ der Einsatz von Drohnen mit Fernerkundung und der Fähigkeit, Pestizide auf Plantagen zu verteilen, zu einer Verringerung der ausgebrachten Pestizidmenge um fünfzig Prozent führen.
Laut Sanchez ermöglicht 5G die Optimierung der Energienutzung in verschiedenen Industriebereichen, insbesondere bei intelligenten Netzen. Ein mit 5G-Sensoren ausgestattetes Netz wird Nachfragespitzen erkennen und darauf reagieren, wodurch die Gefahr von Stromausfällen oder Spannungsabfällen verringert wird. Laut der Studie „The value of 5G for cities and communities“ des Mobilfunknetzbetreibers „O2“ werden mit 5G verbundene intelligente Stromnetze ihren Gas- und Stromverbrauch um zwölf Prozent senken. Die Einführung von 5G ist demnach unumgänglich, wenn ein Unternehmen in einem Bereich wettbewerbsfähiger sein will, in dem die Energiekosten steigen, die Vorschriften geringere Emissionen und Umweltverschmutzung vorschreiben und die Kunden stärker auf ihre Nachhaltigkeit achten werden. „Kein Unternehmen wird aufgefordert, ein wirtschaftliches Opfer zu bringen, um umweltfreundlicher zu werden. Einfach ausgedrückt: Durch die Einführung dieser Technologien erhalten sie einen größeren Wert für ihr Geschäft und infolgedessen auch ein besseres Verhältnis zur Umwelt“, bekräftigt Sanchez.
Die Nutzung von 5G in Lateinamerika
In Lateinamerika gibt es bestimmte Hindernisse für die nachhaltige Einführung der neuen Kommunikationsgeneration, nicht nur aus ökologischer, sondern auch aus sozialer Sicht. Insbesondere große Gebiete mit geringer Bevölkerungsdichte und geringer Rentabilität für Telekommunikationsunternehmen, die diese abgelegenen Gebiete anbinden. Bei 4G oder früher gab es die Möglichkeit, Netze über Satelliten oder Gemeinschaftsnetze zu verteilen. 5G erfordert allerdings Glasfaserverbindungen zwischen den Funkstationen. Das Erreichen von 5G-Spezifikationen wie Latenzzeiten im Millisekundenbereich oder Tausende von angeschlossenen Geräten pro Quadratmeter ist der Region deshalb aufgrund der Gegebenheiten nur sehr schwer möglich. Ebenfalls sind die Voraussetzungen für den Zugang zu Konnektivität und digitaler Kompetenz für die gesamte Bevölkerung noch nicht gegeben. Auf diese Weise könnte 5G die Region noch mehr trennen und noch ungleichere Bedingungen schaffen. Nach Angaben der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) gehören beispielsweise achtzig Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe in Lateinamerika zur Familienlandwirtschaft und etwa sechzig Prozent der Einheiten gehören zur Kategorie der Subsistenzbetriebe, die auf den Eigenverbrauch ausgerichtet sind und nicht über ausreichende Produktionsmittel und Einkommen verfügen. Im Gegenteil, ein industrieller Landwirtschaftsbetrieb wird durch private 5G-Netze von einer größeren wirtschaftlichen und ökologischen Effizienz profitieren können. Laut der Capgemini-Studie „Accelerating the 5G Industrial Revolution“ ist die 5G-Einführung über private Netzwerke für fünfunddreißig Prozent der Industrieunternehmen das bevorzugte Modell. Große Unternehmen, die die Technologien beherrschen, Zugang zu den Netzen haben und die Informationen verarbeiten können um effizienter zu werden, werden am meisten profitieren, während andere Produzenten zunehmend bestraft werden.
Angesichts dieser Situation ist ein umfassender 5G-Fahrplan erforderlich, an dem nicht nur Technologieanbieter und Telekommunikationsunternehmen beteiligt sind, sondern auch der Staat, der eine wichtige Rolle spielen muss, um das neue Netz demokratisch zu verbreiten. Eine Vorzeigerolle spielt Chile, das einen nationalen Plan für die Einführung von 5G und den technologischen Wandel hat. Darin sind nicht nur die Frequenzbänder aufgeführt, die den Betreibern für die Verbreitung von 5G zur Verfügung stehen werden, sondern auch die Abdeckung und der Zeitplan. Darüber hinaus hat die chilenische Regierung ein Projekt zur Bereitstellung von Glasfaser-Backbones von Norden nach Süden sowie ein weiteres Projekt zur Anbindung an den Rest der Welt über Unterwasserkabel ins Leben gerufen.
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