Lateinamerika führt erneut die Rangliste der fünfzig gewalttätigsten Städte der Welt an. Das Ranking wurde von der mexikanischen Nichtregierungsorganisation „Consejo Ciudadano para la Seguridad Pública y Jurisdicción Penal“ (Bürgerrat für öffentliche Sicherheit und Strafgerichtsbarkeit) erstellt. Der Bericht weist darauf hin, dass das größte Hindernis für die Durchführung von Untersuchungen „die mangelnde Transparenz der Regierungen mehrerer Länder mit Städten in der Rangliste“ ist. „Aber im Laufe der Jahre hat die Transparenz in den meisten Ländern zugenommen, auch wenn es in anderen Ländern Rückschläge gegeben hat“. Die Nichtregierungsorganisation stellte außerdem klar, dass der Bericht keine Städte in Ländern mit offenem Krieg wie Syrien, Sudan oder Jemen berücksichtigt: „Die meisten gewaltsamen Todesfälle entsprechen nicht der allgemein anerkannten Definition von Mord, sondern sind auf Kriegseinsätze zurückzuführen (gemäß der Klassifizierung der Weltgesundheitsorganisation)“. Die in dem Bericht enthaltenen Daten lassen in Lateinamerika erneut die Alarmglocken schrillen, denn Gewalt ist nach wie vor eine der größten Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt. Am besorgniserregendsten ist der Fall Mexikos, das sich im dritten Jahr in Folge als weltweites Epizentrum der mörderischen Gewalt in den Städten etabliert hat.
Im Jahr 2021 waren die acht Städte mit den höchsten Mordraten mexikanisch: Zamora, Ciudad Obregón, Zacatecas, Tijuana, Celaya, Juárez, Ensenada und Uruapan. Das Land hat auch die höchste Anzahl an gewalttätigen Städten in der Welt: achtzehn von fünfzig. Von den vierzehn jährlichen Ausgaben dieses Rankings waren die gewalttätigste Stadt der Welt in acht Fällen mexikanisch (2008, 2009, 2010, 2017, 2018, 2019, 2020 und 2021). Neben den in der Liste aufgeführten Städten gibt es noch weitere mexikanische Städte, die nicht die 300.000-Einwohner-Grenze erreichen, aber eine Mordrate von mehr als 100 Tötungsdelikten pro 100.000 Einwohner aufweisen. Dazu gehören Fresnillo, Manzanillo, Guaymas und Tecate. Zu diesen besorgniserregenden Zahlen kommt noch die hohe Rate an verschwundenen Personen in Mexiko hinzu, die vor allem seit 2007 zunimmt. Offiziellen Angaben zufolge wurden im vergangenen Jahr 9.473 Personen als vermisst gemeldet. Viele dieser Menschen wurden ihrer Freiheit beraubt und dann von Killern krimineller Vereinigungen und Drogenhändlern ermordet, obwohl ihre Leichen noch immer unauffindbar sind.
Der Bürgerrat für öffentliche Sicherheit und Strafgerichtsbarkeit (Consejo Ciudadano para la Seguridad Pública y Jurisdicción Penal) schreibt einen Großteil der Verantwortung der Regierung von Andrés Manuel López Obrador zu. Laut der NGO wendet der mexikanische Präsident 2019 und 2021 „die schlimmste Verbrechensbekämpfungspolitik“ an, die als „Umarmungen, nicht Kugeln“ bezeichnet wird. Die Organisation erinnerte daran, dass der Präsident vor seinem Amtsantritt eine umfassende Amnestie für Kriminelle, insbesondere Drogenhändler, versprochen hatte. „Er hat das Amnestiegesetz nicht als Initiative vorgelegt, sondern de facto angewandt, allerdings mit katastrophaleren Folgen als bei einer formellen Amnestie. Während eine Amnestie in der Regel Verbrechen begnadigt, wenn die Verantwortlichen im Gegenzug aufhören, Verbrechen zu begehen, hat die De-facto-Amnestie, die Politik der ‚Umarmungen, nicht der Kugeln‘, dazu geführt, dass kriminelle Gruppen weiter morden, Menschen verschwinden lassen und erpressen können, und zwar ohne Ende und mit fast absoluter Straffreiheit“.
Der Bundesstaat, in dem dieser Trend am deutlichsten zu beobachten ist, ist Michoacán im Süden des Landes, wo seit Oktober 2019 „kriminelle Gruppen einen Krieg führen, bei dem auch schwere Waffen, gepanzerte Fahrzeuge und Drohnen eingesetzt werden“. Die Armee hat erst vor wenigen Wochen eingegriffen, aber die Gewalt geht unvermindert weiter. Die Straffreiheit, mit der diese Banden operieren, ist schockierend. Vor zwei Wochen tauchte in einer Kleinstadt in diesem Bundesstaat eine Gruppe von Killern bei einer Totenwache auf und erschoss siebzehn unbewaffnete Zivilisten. „Darüber hinaus erpressen kriminelle Gruppen in großem Umfang landwirtschaftliche Erzeuger, was sich bereits in hohen Preisen für Avocados und Zitronen im ganzen Land niedergeschlagen hat“. „InSight Crime“, eine Non-Profit-Organisation (gemeinnützige Organisation für Journalismus und Ermittlungen) die sich auf die organisierte Kriminalität in Lateinamerika und der Karibik spezialisiert hat warnt auch davor, dass die Gewalt zwischen rivalisierenden Gruppen und deren Interessen „rücksichtsloser geworden ist“, mit Schießereien an Stränden und Morden am helllichten Tag. Ferienorte wie Cancún sind zu Anziehungspunkten für kriminelle Netzwerke geworden. Laut der vom Nationalen Institut für Statistik und Geografie (INEGI) veröffentlichten Nationalen Erhebung zur öffentlichen Sicherheit in den Städten meldeten die Einwohner dieser Stadt im Jahr 2021 eines der höchsten Sicherheitsempfinden (85 Prozent).
Das Land mit der zweithöchsten Zahl an gewalttätigen Städten nach Mexiko ist ebenfalls ein lateinamerikanisches Land. Es ist Brasilien, mit elf Städten (Feira de Santana, Mossoró, Manaus, Salvador, Fortaleza, Natal, Recife, Teresina, Caruaru und Macapá). Laut „Insight Crime“ hat die Gewalt im gröten Land Südamerikas seit 2016 infolge der blutigen Auseinandersetzungen zwischen dem Ersten Hauptstadtkommando (PCC) und dem Roten Kommando (CV), den wichtigsten im Land operierenden kriminellen Gruppen, die erhebliche personelle und finanzielle Ressourcen für die Kontrolle des Nordostens bereitgestellt haben, zugenommen. Diese Gruppen sind jedoch auch mit dem Widerstand anderer krimineller Banden konfrontiert. In Salvador zum Beispiel, der Stadt auf Platz achtundzwanzig, sieht sich das Rote Kommando mit einer kriminellen Vereinigung namens „Tropa do A“ konfrontiert, die für mehrere Morde im Bundesstaat Bahia verantwortlich ist. Auch in der Hafenstadt Natal, dem wichtigsten Absatzmarkt für Kokain in der Region, kommt es zu Zusammenstößen. Die anderen lateinamerikanischen Länder, die in der Rangliste der gewalttätigsten Städte der Welt vertreten sind, sind Kolumbien (vier), Honduras (zwei), Puerto Rico, Haiti, Ecuador und Jamaika mit jeweils einer Stadt.
Der Bürgerrat für öffentliche Sicherheit und Strafgerichtsbarkeit verglich die hohen Mordraten in Mexiko mit denen in Städten wie Medellín und Cali in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren, als die Drogenhändler unter der Führung von Pablo Escobar „ihren Krieg gegen den kolumbianischen Staat und die Morde zwischen rivalisierenden Gruppen auf ein Maximum eskalierten“. Heute hat Kolumbien diese Rekorde deutlich gesenkt, aber es gibt immer noch einige betroffene Gebiete. Buenaventura ist die Stadt mit der höchsten Mordrate (über neunundfünfzig), gefolgt von Cali, Palmira und Cúcuta. Die ersten drei befinden sich im Departement Valle del Cauca, einem strategischen Gebiet für kriminelle Gruppen, da es an die Pazifikküste und das Departement Cauca, einen wichtigen Koka-Erzeuger, grenzt. „Insight Crime“ berichtet, dass die Stadt Buenaventura zum Schauplatz ständiger krimineller Auseinandersetzungen geworden ist, die sich um einen Ausgangspunkt für Handelsrouten nach Asien, in die Vereinigten Staaten, nach Mittelamerika und Südamerika drehen.
Die Realität in Ecuador ist eine andere, denn es ist das erste Mal, dass eine Stadt in einem Ranking der mexikanischen NGO auftaucht. Besorgniserregend für die lokalen Behörden ist jedoch, dass die Mordrate in dem Land im Jahr 2021 „schneller anstieg als in jedem anderen Land Lateinamerikas und der Karibik“. Da der Bandenkrieg eskaliert, haben sich die Morde im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt. Gustavo Zúñiga, Präsident der Gesellschaft für Bürgersicherheit von Guayaquil (CSCG), stellte klar, dass Guayaquil keine gewalttätige Stadt sei, sondern ein „Opfer des Drogenhandels“. Im vergangenen Jahr gab es in Guayaquil sechshunderteinundzwanzig gewaltsame Todesfälle.
Eines der Länder, das am stärksten von Gewalt betroffen ist und in dem es Berichte über eine verstärkte Mobilisierung durch Drogenhändler und Guerillagruppen gibt, ist schließlich Venezuela. In diesem Jahr sind keine venezolanischen Städte in der Rangliste vertreten. Die mexikanische NGO stellte jedoch klar: „Keine Stadt wurde aufgenommen, nicht weil die Gewalt in diesem Land plötzlich und auf wundersame Weise verschwunden ist, sondern weil es einfach keine Möglichkeit gibt, sie zu messen“.
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