Sie zählen zu den kleinsten, aber auch wendigsten Vogelarten der Welt: die auf den beiden amerikanischen Kontinenten beheimateten Kolibris. Häufig kaum größer als ein Daumen, können sie als einzige Vogelart nicht nur vorwärts, sondern auch rückwärts und seitlich fliegen. Möglich macht dies ihr charakteristischer Schwebeflug, der jedoch extrem energieaufwändig ist. Ein internationales Team von Wissenschaftler*innen unter der Leitung von Prof. Michael Hiller vom hessischen LOEWE-Zentrum für Translationale Biodiversitätsgenomik (LOEWE-TBG) untersuchte nun in einer im Fachjournal „Science“ veröffentlichten genomischen Studie, welche evolutionären Anpassungen des Stoffwechsels die besonderen Flugkünste der Kolibris ermöglicht haben könnten.
Während ihres Schwebeflugs, für den Kolibris so bekannt sind, schlagen ihre Flügel in einer Sekunde bis zu achtzig Mal. Keine Fortbewegungsart im Tierreich verbraucht mehr Energie – entsprechend läuft ihr Stoffwechsel auf Hochtouren und ist aktiver als bei jedem anderen Wirbeltier. Ihren hohen Energiebedarf decken Kolibris mit dem Zucker aus Blütennektar. Diesen nehmen sie besonders schnell auf, sie besitzen hochaktive Enzyme und können Fruktose ebenso effizient verstoffwechseln wie Glukose – anders als zum Beispiel Menschen.
Dem Zusammenhang, wie dies den Zellen der Flugmuskulatur zugutekommt, die den Schwebeflug der Kolibris ermöglichen, sind nun Forscher*innen unter anderem aus Frankfurt und Dresden auf die Spur gekommen. Für ihre Studie sequenzierten sie das Genom des Langschwanz-Schattenkolibris (Phaethornis superciliosus) und verglichen dieses sowie die Genome weiterer Kolibriarten mit dem Erbgut von 45 anderen Vogelarten, darunter Hühner, Tauben und Adler. Dabei entdeckten sie, dass das Gen für das Muskelenzym Fructose-Bisphosphatase 2 – kurz: FBP2 – in allen untersuchten Kolibris fehlte. Interessanterweise zeigten weitergehende Untersuchungen, dass es bereits im gemeinsamen Vorfahren aller Kolibris verlorenging, und zwar während eines Zeitraums, in dem sich der typische Schwebeflug entwickelte und die vorrangige Ernährung von Blütennektar begann – vor rund 48 bis 30 Millionen Jahren.
„Wir konnten mit Hilfe von Experimenten in Muskelzellen zeigen, dass das gezielte Ausschalten des FBP2-Gens den Zuckerstoffwechsel steigert. Weiterhin ergaben unsere Analysen, dass parallel dazu auch die Anzahl und die Aktivität der für die Energieproduktion wichtigen Mitochondrien steigen. All dies wurde bereits in Flugmuskeln von Kolibris beobachtet“, erläutert die Erstautorin der Studie, Dr. Ekaterina Osipova, derzeit Postdoktorandin an der amerikanischen Harvard University und zuvor Wissenschaftlerin am Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden sowie am LOEWE-Zentrum TBG in Frankfurt. „Da das Gen für FBP2 ausschließlich in Muskelzellen vorkommt, deuten unsere Ergebnisse darauf hin, dass der Verlust dieses Gens in den Vorfahren der Kolibris vermutlich einen wichtigen Schritt für Anpassungen des Muskelstoffwechsels darstellt, der für den Schwebeflug erforderlich ist“, ergänzt Studienleiter Michael Hiller, Professor für Vergleichende Genomik am LOEWE-Zentrum TBG und der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung in Frankfurt.
Neben dem Verlust des FBP2-Gens erfolgten vermutlich weitere genomische Veränderungen in Kolibris. So haben Selektionsprozesse bei mehreren anderen Genen, die im Zuckerstoffwechsel eine wichtige Rolle spielen, zu Veränderungen von Aminosäuren bei Kolibris geführt. „Die Bedeutung dieser Genänderungen für die evolutionären Anpassungen im Stoffwechsel der Kolibris können sicherlich weitere Studien und Experimente klären“, so Hiller.
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