Lederhosen im Amazonas: Eine österreichisch-deutsche Enklave in Peru hält Traditionen am Leben

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Mit seinen sauber eingezäunten Vorgärten und geordneten Alleen ist es klar, dass die österreichischen und deutschen Auswanderer, die sich hier im 19. Jahrhundert niederließen, ein Zuhause fern der Heimat schaffen wollten (Fotos: ScreenshotYouTube)
Datum: 29. Oktober 2023
Uhrzeit: 10:26 Uhr
Ressorts: Peru, Welt & Reisen
Leserecho: 1 Kommentar
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Jedes Jahr feiern die Nachfahren der Auswanderer aus dem 19. Jahrhundert in Pozuzo ihre einzigartige Geschichte mit Tänzen, Dirndln und Bier. Wenn man die Augen zusammenkneift, könnte man meinen, man befinde sich in einer Stadt in den Tiroler Alpen auf dem Höhepunkt des europäischen Sommers: rote Giebeldächer auf eleganten, holzverkleideten Häusern vor der Kulisse grüner Berge. Aber wenn man die Augen ganz öffnet, verraten die Palmen und die vorbeifliegenden Papageien, dass die Szene mehr als 10.000 km von Österreich entfernt ist, in einem Tal in Peru, wo die Anden auf das Amazonasbecken treffen. Mit seinen sauber eingezäunten Vorgärten und geordneten Alleen ist es klar, dass die österreichischen und deutschen Auswanderer, die sich hier im 19. Jahrhundert niederließen, ein Zuhause fern der Heimat schaffen wollten, und bis heute ist die Stadt Pozuzo eine tadellos erhaltene Enklave österreichisch-deutscher Kultur an einem ungewöhnlichen Ort.

Jedes Jahr feiern die Nachkommen dieser österreichischen und deutschen Auswanderer, die heute vier oder fünf Generationen nach den ersten Ankömmlingen leben, ihre einzigartige Geschichte beim Pozuzofest, einem Spektakel mit traditionellen Tänzen und Musik, deutschem Bier, Würstchen und Schnitzel. Die Frauen tragen Dirndl und Blumen im Haar, die Männer Lederhosen und klatschen energisch auf die Oberschenkel. „Es geht um Unterhaltung, Freude und Spaß, das ist die Idee des Pozuzofestes … und um viel Bier“, sagt Berenice Alas Richle, 36, die Organisatorin der Veranstaltung. Die Veranstaltung zieht Tausende von Touristen an, die die 12-stündige Fahrt von Perus Hauptstadt Lima aus auf sich nehmen. Andere kommen von weiter her, dank der Austauschprogramme mit Gemeinden im österreichischen Tirol und in Süddeutschland. Josua Leibhammer, 20, ein deutscher Freiwilliger im Regenwald, nahm an einem Wettbewerb im Holzsägen teil: „Es ist wirklich seltsam, die wunderschöne Landschaft des Amazonas-Regenwaldes in Kombination mit Traditionen aus der Heimat zu sehen.“

Nach der Covid-19-Pandemie, die Peru besonders hart getroffen hat, boomt der Tourismus wieder, und die Bräuche von Pozuzo – die einst seltsam anachronistisch und unpassend für das moderne Peru schienen – sind zu einem wichtigen Anziehungspunkt geworden, der die weitgehend landwirtschaftlich geprägte Wirtschaft dieses österreichisch-deutschen Dorfes ankurbelt. „Früher hatten wir nur an besonderen Feiertagen Touristen, jetzt kommen sie jeden Tag“, sagt Mariana Schmidt, die in ihrem familiengeführten Restaurant im Nachbardorf Prusia arbeitet. Schmidt tanzt traditionelle Polkas für die Gäste, während ihr Bruder eine Melodie auf dem Akkordeon spielt. Dann spielt sie auf einem Tisch voller Kuhglocken, eine immer seltener werdende Tiroler Tradition. „Der Tourismus gibt uns viele Möglichkeiten, er gibt vielen jungen Leuten Arbeit, die sich selbstständig machen wollen und Unternehmen gegründet haben: Brauereien, Wurstwaren, Honig, Eiscreme. Dank des Tourismus sind wir immer noch hier“, sagt sie. Pozuzo rühmt sich, die „einzige österreichisch-deutsche Kolonie der Welt“ zu sein: Im Gegensatz zu anderen teutonischen Vorposten ist es ein Ort, an dem sich Österreicher aus Tirol und Deutsche aus Bayern gemeinsam niederließen.

Auf der Flucht vor der großen wirtschaftlichen Not in Europa machten sich Bauern und Handwerker auf Einladung des damaligen Präsidenten Ramón Castilla auf den Weg, um in Peru ein neues Leben zu beginnen. Castilla schätzte ihre landwirtschaftlichen Methoden und verhandelte mit dem deutschen Baron Damian Schütz von Holzhausen über die Gründung einer europäischen Kolonie im peruanischen Dschungel. Die ersten 304 Auswanderer kamen 1857 an der peruanischen Pazifikküste an. Angeführt von einem Priester, Josef Egg, und verstärkt durch eine zweite Einwanderungswelle im Jahr 1868 gründeten sie nach einer zweijährigen Odyssee durch die peruanischen Anden Pozuzo und das Nachbardorf Prusia in dem abgelegenen Tal.

Mit Hilfe der Yanesha-Indios bauten sich die ersten Siedler in dem abgelegenen Tal ein Leben als Holzfäller und Viehzüchter für Rindfleisch und Milchprodukte auf. Sie überlebten Gelbfieberepidemien und andere Krankheiten, und 1891 machte sich eine Gruppe auf die Suche nach neuem Land und ließ sich 80 km weiter südlich in einem Tal namens Oxapampa nieder. Andere Siedler gründeten Villa Rica, das heute für seine Kaffeemarke bekannt ist. „Pozuzo war mehr als 100 Jahre lang von jeglicher Unterstützung isoliert“, sagt Hans Köhel, 52, ein Bewohner von Pozuzo in der vierten Generation, der ein Gästehaus betreibt und dessen Vorfahren bis in die österreichischen Orte Zams und Pfunds zurückreichen. Er erinnert sich daran, wie sein Dorf 1975 durch eine teilweise asphaltierte Straße mit der Außenwelt verbunden wurde. Bis dahin war die nächstgelegene mittelgroße Stadt, Huánuco, ein Dreitagesmarsch auf einem Maultierpfad. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Stadt bereits begonnen, ihre europäischen Traditionen zu vergessen.

„Die Tänze und die traditionelle Kleidung gingen verloren, die Menschen verloren das Interesse, weil sie keinen Sinn mehr ergaben“, so Köhel. „Aber als Pozuzo begann, neue Verbindungen zu seinen Herkunftsorten herzustellen, begann es, seine Bräuche wieder aufzuwerten. „Der Tourismus ging Hand in Hand mit der Wiederbelebung der Tänze. Wenn wir sie verlieren, würden wir aufhören zu existieren“, fügte er hinzu. Seine jüngere Schwester Cecilia leitet ein Familienmuseum mit Schwarz-Weiß-Fotos, alten Kleidungsstücken, antiken Mundharmonikas und Akkordeons sowie rudimentären Werkzeugen. „Vier Generationen, die in Peru geboren wurden, sind durch unser Haus gegangen, zusätzlich zu denen, die aus Österreich kamen“, sagt sie. „Wenn ich über Geschichte spreche, bedeutet das für mich, mich in die Vergangenheit zu begeben und all das zu spüren, was meine Vorfahren durchmachen mussten. Sie mussten ihre Städte verlassen und sich für immer von ihren Familien verabschieden“.

Im Laufe der Jahre haben sich einige Traditionen an die Gegebenheiten in Amazonien angepasst. Da es keine Äpfel gab, wandelten die ersten Siedler das traditionelle Dessert in Bananenstrudel um. Aber andere Bräuche haben überlebt, lange nachdem sie in Europa verschwunden waren, sagt Mariana Schmidt. „Wir verwenden einige Wörter, die es in Österreich, abgesehen vielleicht von dem, was die Großeltern sagen, nicht mehr gibt. Wir sind stolz, nicht weil wir eine österreichisch-deutsche Kultur haben … sondern weil Pozuzo eine sehr, sehr große Anstrengung darstellt. Was Sie jetzt sehen, ist eine blühende, schöne, saubere und ordentliche Stadt. Das hat eine Menge Arbeit gekostet“, betont sie.

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  1. 1
    Andreas Schulze

    Ich denke schon seit Langer Zeit darueber nach, deutsch besiedelte Orte in Suedamerika zu besuchen, z.B. in Brasilien, Venezuela, Paraguay, Chile, oder Bolivien. Jetzt habe ich auch Peru mit auf der Liste.
    Ich war schon 4 mal in Suedamerika (Brasilien, Paraguay und Venezuela). Doch das letzte Mal war 2003, schon lange her. Aber ich moechte unbedingt noch einmal dort hin reisen. Dann mit dem Schwerpunkt der deutschstaemmigen Gegenden. Bis dahin muss ich mein verkuemmertes SPANISCH wieder aufbessern.

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