Trotzig blickt er mit seinem verschmutzten Gesicht und den darin leuchtenden Augen in die Kamera. Oder ist es Stolz? Leidenschaft und Selbstbewusstsein? Oder doch Verzweiflung? Sebastião Salgado präsentiert uns diese Momentaufnahme eines Arbeiters vor über 30 Jahren in der Serra Pelada in Brasilien. Es ist die weltbekannte Grube, in denen lehmverschmierte Männer zu tausenden tagtäglich Säcke mit Erde über wackelige Leitern nach oben trugen in Hoffnung auf ein bisschen Gold.
Dieses kleine Bild in einer Collage auf Seite 317 ist bezeichnend für den grandiosen Bildband des brasilianischen Fotografen, der in diesem Jahr seinen 80. Geburtstag feiert und sein von vielen Kritikern als Opus Magnum bezeichnetes Werk Arbeiter nach gut drei Jahrzehnten erneut herausbringt. 400 Seiten dick und fast 3 Kilogramm schwer zeigt es auf großformatigen Seiten die Macht der Hände und der daraus entspringenden Arbeit. Und lässt uns dabei manchmal fragend zurück.
Denn es zeigt den Willen der Menschen, sich in der industriellen Welt mit Muskelkraft zu behaupten und mit Würde den damit verbundenen Schmerz zu ertragen. Die Protagonisten wissen, ob jung oder alt, dass es für die Arbeit mit bloßer Hand längst Alternativen gibt. Doch sie machen ihren Job manchmal sogar noch mit Methoden, die sich seit der Steinzeit erhalten haben. Diese schwierigsten Bedingungen zu meistern, oft über viele Jahre, verdient Respekt. Und Salgado kann diesen in seinen kontrastreichen Schwarzweiss-Bildern transportieren ohne die Seele zu entblößen.
Natürlich hat sich seit der Erstausgabe 1993 auf der Welt einiges verändert. Und das ist auch gut so. Doch taucht man mit diesem Ansatz in das imposante Werk ein, dann schlagen zwei Herzen in der Brust. Zum einen weiß man, dass die Menschen mit Stolz ihr Tagwerk verrichtet und so sich damals das Leben und Überleben gesichert haben. Man sieht aber auch die Qual und hofft, dass dies Leid sich inzwischen gelindert hat. Dann natürlich meistens durch moderne Maschinen, die den Menschen zugleich die Arbeit aus den Händen nahmen. Und sie vielleicht damit in ein ganz andere Not gebracht haben.
Der Brasilianer, der zuletzt durch sein nicht minder imposantes Werk Amazônia von sich reden machte, entführt uns in 6 Kapiteln in 26 Länder rund um den Erdball. Auch Lateinamerika ist Schauplatz seiner monochromen Kompositionen. Neben den zu Beginn erwähnten Aufnahmen von den Goldgräbern in Brasilien war er im größten Land Südamerikas auch auf Zuckerrohrfeldern sowie Tabak- und Kakaoplantagen unterwegs. Zudem beobachtete er die Menschen in der Tabakverarbeitung auf der Karibikinsel Kuba.
Die Kapitel selbst zeigen Szenen aus Landwirtschaft, Tierverarbeitung, Fertigung, Bergbau, Ölförderung und dem Bau von Infrastruktur. Von Indien in die USA, von Kuweit bis China, auch Europa ist mit Spanien, Frankreich, Italien, Polen und England vertreten. Also selbst in der 1. Welt haben Arbeiter in modernen Fabriken zu Beginn der 90er Jahre noch täglich an ihre Grenzen gehen müssen. Wo andere mit bloßen Händen Netze aus dem Wasser ziehen oder mit Hämmern tiefe Gräben ins Gestein schlagen. Salgado ehrt, so ist auf dem Buchrücken zu lesen, „jene Männer und Frauen, die sich ihren unbeugsamen Geist und ihre Würde selbst unter härtesten Arbeitsbedingungen bewahren“.
In der heute selbstredend längst aufgegebenen Serra Pelada hat sich der Arbeiter auf dem Bild das Hemd vor dem Bauch zusammengeknotet. Ein Grinsen scheint auf seinem Gesicht zu liegen und man kann förmlich spüren wie er wieder hinabsteigen will – nur um einen neuen Sack Erde hinauf zu schaffen. In der Hoffnung auf ein bisschen Glück. Man kann den Schweiß riechen, den Schmerz spüren. Ist der Mann leichtsinnig? Bestimmt die Gier sein Handeln? Oder ist es seine einzige Option auf ein besseres Leben? Salgado bewertet seine Protagonisten nicht – er würdigt einfach ihre harte Arbeit!
Sebastião Salgado. Arbeiter. Zur Archäologie des Industriezeitalters
Hardcover, 24.5 x 33 cm, 2.85 kg – 400 Seiten – 80 Euro – Taschen Verlag
alle Fotos: taschen Verlag
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