An Handwerk ist noch niemand gestorben. Aber dieser seltene Vertreter der Alphabeten hat dank seiner Schreib- und Lesekünste wenigstens einen Job gefunden, für sein ganzes Leben und darüber hinaus. Denn er wird es nicht mehr erleben, die zehn Millionen Bürger gezählt zu haben, die nach vorsichtigen Schätzungen noch zwischen den Trümmern umherirren. Hoffentlich hat er noch ein paar effiziente Kollegen.
Zurzeit als ich in die Schule ging, herrschten ähnliche Verhältnisse in China. Ich meine nicht bezüglich Trümmer und Erdbeben, sondern betreffend Informationen zu demographischen Fakten und Ähnliches. Mit solchen Dingen hielten sich die Machthaber im Reich der Mitte hermetisch zurück, und im Fach „Luftbildinterpretation“ fassten wir die interessante Aufgabe, aufgrund von Satellitenaufnahmen zuhanden der UNO die demographischen Geheimnisse der Chinesen herauszuarbeiten. Das Ergebnis waren etwa Bevölkerungsdichte- und ähnliche Karten, über deren Genauigkeit wohl die Chinesen am meisten staunten.
Im November sind Präsidentschaftswahlen, vorher noch solche der Senatoren und Abgeordneten. Das muss so sein, denn zurzeit hat das Land ja keine Regierung, oder eine sehr unvollständige. Wahlausweise und Identitätspapiere sind schwer erhältlich und bestehen nur aus losen, zerknitterten Blättern. Für bessere, zum Beispiel Identitätskarten, hat sich ein schwarzer Markt entwickelt. Wer genug Geld hat, wird bedient, muss sich das allerdings 100 US$ kosten lassen.
Bin gespannt, was das diesjährige, besonders reich bestückte Wahlbeobachter-Gremium im November herausfinden und der Weltgemeinschaft rapportieren wird. Bin besonders gespannt, nach was für Kriterien heuer beobachtet und beurteilt wird, gibt es doch von alldem nichts mehr, was sonst sein muss.
Gestern hat sich eine Handvoll Präsidentschaftskandidaten vorgestellt, alle fernsehgerecht inszeniert, aber jeder auf seine Weise. Der Hiphopper wurde von einer jubelnden Menge auf einen hohen Sockel gehievt, sah aus wie ein Denkmal schon zu Lebzeiten. Dort oben schwenkte er ein rotes Tuch wie ein Torero, die Stiere blieben einstweilen aus, um ihn wohl später auf die Hörner zu nehmen. Während ich den Ansprachen seiner Widersacher nicht viel abgewinnen konnte, blieb die seine wenigstens angenehm kurz. Wirkung generierten vor allem ein paar herausgeschriene, zu Sprechchören umfunktionierte patriotische Floskeln, die natürlich von der frenetisch-rhythmisch schreienden Menge augenblicklich verstanden und erwidert wurden. Dazu wabbelte er ein paar Tanzschritte, sodass ich fast glaubte, Michael Jackson sei auferstanden. Fast wäre er darob vom Sockel gefallen.
Das lebende Denkmal und Idol erinnerte mich eher an Demagogie als an Politik, hatten wir doch auch schon, im Nationalpalast! Ich glaube, dass die Zielgruppe dieses Jahr anders wird als schon gehabt, das Establishment ist ausgezogen und bewirbt sich kaum mehr um das selbstmörderische Amt, wer möchte sich denn da noch Finger und Seele verbrennen ?