Provinzposse in Ecuador: Der Putsch, der keiner war!

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Datum: 10. Oktober 2010
Uhrzeit: 17:10 Uhr
Ressorts: Editorial
Leserecho: 11 Kommentare
Autor: Dietmar Lang
Sprachkurs Spanisch (Südamerika)
► Auch mit Theatralik kann man die "Bürgerrevolution" vorantreiben

„Putschversuch“, „Umsturzplan“, „möglicher Staatsstreich“, „Aufstand“, „Rebellion“, „gewalttätiger Protest“, „Demonstration“: die Terminologie der Ereignisse in Ecuador vom 30. September ist lang und verworren. Und die Klassifizierung selbiger ist den Medien und Regierungen international sehr schwer gefallen. Denn Informationen gab es nur von zwei Seiten, wobei die eine als durchweg subjektiv angesehen werden musste. Wenn „Betroffene“ versuchen, das Erlebte als Wahrheit zu definieren, dann sollte man erst recht vorsichtig sein. Wie im Fall von Staatspräsident Rafael Correa.

Es ist sein gutes Recht, die Vorfälle zu interpretieren. Er darf auch Vermutungen anstellen. Aber müssen die Medien dem folgen? Wohl eher nicht. Besonders dann, wenn die angebliche Antwort mehr Fragen aufwirft, als vorher da waren. Und betrachtet man die Fakten, dann kann es nur eine Antwort geben, und die hat mit den Äußerungen des ecuadorianischen Staatsoberhauptes nun gar nichts gemein. Denn einen Putschversuch hat es in Ecuador am 30. September 2010 nicht gegeben. Und ich sage Ihnen auch, warum!

Es waren einmal Polizisten, die haben sich ungerecht behandelt gefühlt. Ursache dafür war ein Gesetz, welches die Beförderungen einschränkt und Gehaltszulagen kürzt. Eine Provinzposse, die Correa zu einem Staatsstreich hochstilisiert hat. Ohja, die Protestler haben sich neuralgische Punkte ausgesucht wie den wichtigsten Flughafen des Landes. Denn dort kann man die Wirtschaft treffen, wenn das wichtigste Exportgut – sensible Schnittblumen – am Verlassen des Landes gehindert wird. Und man kann versuchen, den staatlichen Fernsehsender abzuschalten, der im Tagesverlauf nach Präsidentenerlass zur einzigen legalen Informationsquelle erklärt wurde.

Und man kann sich noch bevor ein Stein geflogen oder eine Tränengasgranate explodiert ist, wie Correa zum einem Wutanfall hinreissen lassen und die Demonstranten anschreien: „Meine Herren, wenn Sie den Präsidenten töten wollen, hier ist er!“ Und sich dabei theatralisch das Hemd aufreissen. Bloss um zu zeigen, dass man keine schutzsichere Weste trage. Respekt. Das hinterher der Jähzorn des Präsidenten gebührend mit einer Tränengasgranate aus Polizeibeständen belohnt wird, ist tragisch. Aber es ist genauso wenig ein Putschversuch wie die im Mai 1991 auf Helmut Kohl geworfenen Eier und Tomaten. Auch der damalige Kanzler schäumte vor Wut, sah sich jedoch keineswegs in seinem Regierungsamt bedroht.

Kritiker mögen nun den Vergleich an den Haaren herbeigezogen fühlen, aber mal Hand aufs Herz: was wollte der Eierwerfer wirklich? Man könnte genauso viel hinein interpretieren wie der aufbrausende Correa, rasend vor Wut im Polizeikrankenhaus. Telefonieren kann er, mit lokalen TV-Stationen genauso wie mit südamerikanischen Amtskollegen. Richtig verletzt ist er nicht, frei bewegen kann er sich auch. Auch Befehle kann er noch perfekt erteilen, wie die Erklärung des Ausnahmezustandes oder die Einschränkung der Medienfreiheit. Und er kann beständig wiederholen, es sei ein Staatsstreich im Gange, man trachte nach seinem Leben. Als Beweis werden später Funkaufnahmen veröffentlicht, auf denen irgendjemand sagt, man solle „den Hurensohn Correa“ umbringen. Schön!

Als dann schliesslich Spezialtruppen der Polizei eintreffen und den Präsidenten „befreien“, wird die Botschaft endlich deutlich. Über eine Stunde habe ich persönlich die Gefechte über einen Internet-Livestream verfolgt, obwohl das Staatsoberhaupt faktisch kurz nach dem ersten Schuss schon das Krankenhaus verlassen hatte. Am Ende der endlosen Gewehrfeuer kam dort angeblich eine Person ums Leben. Lediglich. So grausam es klingt. Aber „Krieg“ sieht nun einmal anders aus. Das Fernsehen hat sogar noch Zeit, zwischen der gewohnt energischen Rede des Chávez-Zöglings und dem Kampf ums Krankenhaus hin und herzuschalten oder per Switch-Screen die Öffentlichkeit über die parallel verlaufenen Geschehnisse zu informieren. Eine Provinzposse mit Leuchtspurmunition und verwackelten Aufnahmen inklusive.

Danach ist Friede, Freude, Eierkuchen angesagt. Der „Putsch“ wurde vereitelt, die Demokratie hat gesiegt, der Polizeichef nimmt seinen Hut. Der Ausnahmezustand bleibt für die kommenden Tage bestehen, Militär triumphiert in den Strassen. Und auch jetzt, mehr als eine Woche nach den Vorfällen, herrscht in der Hauptstadt Quito weiterhin auf „unbestimmte Zeit“ der Ausnahmezustand. „Der Putsch ist noch nicht vorbei“, so die lapidare Begründung Correas, der zum einen die Opposition und korrupte Medien hinter dem vermeintlichen Staatsstreich sieht, zum anderen aber auch paramilitärische Gruppen innerhalb der Polizei. Und um die Demokratie des Landes zu stärken, will der linksgerichtete Präsident, dem nur zwei Tage vor der international eher als „Meuterei“ klassifizierten Ausschreitungen aufgrund eines Bildungsgesetzes die Wut einer marxistisch-leninistischen Studentenbewegung eiskalt ins Gesicht wehte, seine „Bürgerrevolution“ noch stärker vorantreiben.

Dass sich dieses Vorhaben jetzt umso einfacher verkaufen lässt, steht ausser Frage. Weil es ja schon einen Putschversuch gab. Sagt zumindest Correa. Wenn man seiner Theatralik denn Glauben schenken mag.

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Die Kolumne von latinapress Herausgeber Dietmar Lang – Gedanken und Erfahrungen über das Leben in Lateinamerika und der täglichen Berichterstattung von Nachrichten aus Südamerika und der Karibik.

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Kommentarbereich

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  1. 1
    togo

    2009 in Honduras gab es auch keinen Putsch, 2002 in Venezuela auch nicht. 1973 in Chile auch nicht. Ja, ja, ja!

    • 1.1
      Dietmar Lang

      Man möge mir die Fähigkeit nicht absprechen, dies differenzieren zu können. Selbstverständlich waren die angesprochenen Beispiele Staatsstreiche, die ich keineswegs gutheiße. Auch einen Putsch in Ecuador hätte ich verurteilt. Selbst heute einen erneuten Putsch in Venezuela scharf kritisieren. Aber in Ecuador gab es eben keinen Putsch oder einen dahingehenden Versuch, sondern nur die Dramatisierung eines jähzornigen Mannes.

    • 1.2
      Geugi

      Jedenfalls sind alle Möglichkeiten nach wie vor offen. Ich lese jeweils Nachrichten von verschiedensten Seiten und habe auch Beziehungen zu verschiedenen Ecuadorianer(innen).
      Aufgrund von Umfragen im Volk darauf zu schliessen, wie es nun wirklich war…? Gerade auf solchen Instrummenten bauen langfristige Pläne, um Regierungen „völlig legal“ zu stürzen.

      Mine These: es war kein Putsch; sondern ein Baustein in der Reihe anderer, um eine Regierung gezielt in Misskredit zu bringen. Denn auch Leute, die an einem Putsch interessiert sind, lösen ihre Probleme lieber ohne offiziellen Putsch, sondern durch gezielte Einzelattacken.

      Jedenfalls ist meine Ansicht immer noch diese: eine Reierung, die von beiden Seiten angegriffen wird, ist meistens in der Mitte.

  2. 2
    Chris

    Einen Flughafen und Medien zubesetzten sind immer die ersten Schritte fúr einen Putschversuch. Da fehlen eindeutige Hintergrundinformationen welche latina-press anscheinend auc nicht hat und somit nur Behauptungen und Vermutungen veröffentlicht.
    Daher wiederhole ich meine Frage : wer finanziert Latina-Press ? Wer steht dahinter , das konnte mir bisher auch niemand sagen …

    • 2.1
      Dietmar Lang

      1. Medien wurden nicht besetzt. Ausser Sie meinen den Versuch von 20 Zivilisten, die von 3 Sicherheitsbeamten und einer Glastür aufgehalten wurden. Und dies erst abends, als nur noch das Staatsfernsehen senden durfte.
      2. Angenommen, ich stelle in meiner Kolumne nur Behauptungen und Vermutungen auf: etwas anderes wurde und wird von Correa auch nicht praktiziert.
      3. Interessant sind auch die Äusserungen von Florencio Ruiz (mittlerweile Polizeichef), der bereits am 30.9. um die Mittagszeit mehrfach betont hat, die Proteste richteten sich keinesfalls gegen Correa per se.
      4. latina press refinanziert sich, auch wenn dies in diesem Zusammenhang nichts zur Sache tut, ausschliesslich durch seine Leser über Einnahmen aus der auf den Seiten sichtbaren Werbung.
      5. Dahinter stehen ich, Dietmar Lang sowie mein Freund und Partner Michael Unsleber, der auch die Idee für dieses Portal hatte. Unterstützt werden wir von zahlreichen teilweise ehrenamtlich arbeitenden Autoren. Weitere Informationen diesbezüglich findet man im Impressum.

      • 2.1.1
        Chris

        Ok , hier wurde in den Raum gestellt das die Yankees einen teil der Finazierung übernehmen , somit wurde das nun aus der Welt geschafft , auch wenn mir alle immer erzáhlen wollen das es nichts zur Sache tut.
        Leider ist es sehr schwer entsprechende Hintergrundinformationen zu bekommen. Die Geschichte wird ja bekanntlich immer von den „Siegern “ geschrieben , man lásst auch nur durchsickern was vo Vorteil ist oder die entsprechenden Personen in einem guten Licht darstehen lassen .auch logisch. Um alle Hintergründe und Tatsachen zu erfassen wáre eine lange Investigation nötig , dazu ist es noch zu frúh.

  3. 3
    Joern

    Das ist vielleicht auch gar nicht wichtig, lieber Chris. Wer finanziert Chavez und Co.? Diese Frage sollte man sich vielleicht viel eher stellen.

    Aber ich weiss es, wer finanziert – von den Yankees. Kann es sein, dass Du unter der selben Krankheit, wie Chavez, Castro, Morales und dem iranischen Atommännchen leidest?

    Fast hätte ich noch den nordkoreanischen Zwerg vergessen aufzuzählen, der sich gerade am vergangenen Wochenende ja wieder richtig feiern ließ, incl. seines neuen, diktatorischen Nachfolgers, der heimlich ins Disneyland nach Paris fährt, damit auch er einmal spielen darf. Reichlich Knast hatte er dafür von seinem Vater ja bekommen!! Naja, sein armes Volk hat das Recht nicht, an Westware heranzukommen. Die wird gleich an der Grenze abgefangen, damit die Staatsgetreuen, und nur diese damit bedient werden.

    Was willst DU mir hier eigentlich erzählen. Fidel Castro läuft mit Adidas rum, sein Volk auf der Straße mit nachgemachten DDR-Boots!!

    • 3.1
      Chris

      Wenn Du der Meinung bist das es vielleicht garnich so wichtig ist wer was finanziert dann fehlt Dir eindeutig der Überblick. Es geht immer nur um GELD , wo auch immer.
      Liess mal : “ Hiltler ganó la Guerra “ wenn Deine Spanischkenntnisse das zulassen sollten.

  4. 4
    Chris

    Habe nie gesagt das ich ein Anhánger vom Ignoranten Castro , Diktator Chavez oder Eiertreter Morales bin ! Und über diese Nortkoreanische Verbrecherfamilie brauchen wir erst garnicht nachzudenken. Ich lehne jedes extrem ab , ob rechts , links oder wo auch immer eine Diktatur sich angesiedelt meint. Es konnte sich auch keiner Extrem-Herrschaft lange an der Macht halten.

    Das Castro und dessen Söhne dicker Mercedes fahren weiss ich seid ein Bekannter von mir vor einigen Jahren nach Havana beordert wurde um dort die Benzfiliale zuleiten. Es ist auch kein Geheimnis das dieser kubanische Möchtegern-weltveránderer im Drogenhandel beteiligt ist , seinen Absatzmarkt hat er ja vor der Haustür.

    Chavez hat das grosse Glück auf dem Erdoelzusitzen , auch wenn es nur schlechte Qualitát ist , sonst wúrde sich niemand auf der Welt fúr ihn oder sein Volk interessieren , wie es in Haiti passiert.

    Morales ist ein Dorn im Auge weil der zusehr an Chavez klebt, den retten wieder Erdgas und Bodenschátze, er vertritt die Mehrheit des Volkes da er aus ihren Reihen stammt, was er auch gelegentlich unter beweis stellt. Was wir alle nicht ándern oder verhindern können ist der starke Meinungsbildende Einfluss einiger weniger. Und bevor Du jetzt hier über mich herfállst : vleleicht hast Du mal etwas von Walter Graziano zu diesem Thema gelesen …. Viele Grüsse aus Argentinen chris

  5. 5
    regina -g

    Ich habe – ausgiebig – Berichte von Leuten aus Ecuador gelesen . Die meissten von ihnen sehen es genauso – es war KEIN Putsch .
    Es war ein Theaterstück – schon fast lächerlich .

    Wie gut Medien die Menschen manipulieren können , wissen wir doch alle selbst … egal ob die privaten oder die staatlichen . NUR letztere informieren nicht mehr – sie betreiben Gehirnwäsche

    Indoktrination :
    bedeutet die gezielte Manipulation von Menschen durch gesteuerte Auswahl von Informationen, um ideologische Absichten durchzusetzen oder Kritik auszuschalten.
    Die Form der Informationsdarbietung ist einseitig verzerrt, die Gesamtheit der verfügbaren Informationen wird zensiert, die der Ideologie widersprechenden Angaben werden zurückgehalten,

    Chavez seine Reden beispielsweise – man muss sie sich nur lange genug anhören , und man könnte ihm echt Glauben schenken ,
    – er macht das ziemlich gut –
    wenn ,
    ja wenn – man es nicht besser wüsste

  6. 6
    Dietmar Lang

    Inzwischen kommen immer mehr Details ans Licht. Ich bleibe dabei, das war kein Putsch. Und sogar amerika21.de – die haben von Beginn an von Putsch geschrieben – beschäftigt sich ganz aktuell in einer Analyse mit den Ungereimtheiten!

    Lesenwerter Artikel: http://amerika21.de/analyse/15781/ecuador-ungereimtheiten

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