Haiti entgeht doch keiner Katastrophe. Soeben wütet Tomas über dem Land, einer der größten Wirbelstürme aller Zeiten für das von Erdbeben und Cholera total gebeutelte Land. Er hat einen Haken nach Nord geschlagen und spurtet jetzt exakt durch die Meerenge zwischen Haiti und Kuba, die Dominikanische Republik bleibt weitgehend verschont. Der Start ist glimpflich verlaufen, weil wenigstens die erwarteten Böen von 80 bis 140 Stundenkilometern abgeflauft sind. Aber der Regen ist da, mit den ersten Todesopfern, bald wird die neue Katastrophe die Cholera überholen. An Geschwindigkeit und an Toten.
Haiti schnallt sich fester vor der Ankunft des Wirbelsturms. Die ganze Insel mitsamt den benachbarten Ländern und Eiländern sind in knallrotem Alarmzustand, einige wie Jamaica haben es „nur“ auf Blau gebracht. Die Wetterfrösche quaken immer noch 600 mm Niederschläge voraus, etwa die Hälfte des Regens der in der Schweiz im ganzen Jahr fällt.
Die Schifffahrt ist verboten, der Wellengang kann mehrere Meter erreichen, auch das Meeresniveau wird bis zu 270 cm steigen. Es regnete denn auch seit Freitag 15 Uhr für die nächsten 24 Stunden, teilweise wolkenbruchartig. Dann folgt eine erste, kurze Regenpause, und etwa drei Tage wird es so weitergehen. Dass die in der Hauptstadt bereitgestellten 41 Zivilschutzhallen tausende von Menschen fassen sollen, ist unvorstellbar.
Zudem sind es Millionen von Obdachlosen, die in Zelten oder unter zerrissenen Tüchern ausharren müssen. In der Verwandtschaft von Umrainern berichtet man bereits von ersten Toten, Näheres ist noch nicht bekannt. Schulen, Banken und wohl die meisten Geschäfte sind seit gestern geschlossen, Autos sieht man keine, die Menschen verkriechen sich in den Häusern, wenn solche zur Verfügung stehen. Hunderttausende werden allein in der Hauptstadt betroffen sein, Millionen im ganzen Land, unvorstellbar was mit denen in den Flüchtlingslagern geschieht.
Es werden Überschwemmungen größten Ausmaßes folgen, durch den gestiegenen Meeresspiegel, durch Flüsse die alles überfluten werden, durch verstopfte Entwässerungssysteme, Erdrutsche und Bergstürze, die Hanghäuser und ganze Quartiere in die Tiefe reißen werden, man hat schon von den ersten gehört. Das Straßennetz wird wieder arg zerzaust, Lebensmittel- und medizinische Versorgung wird einmal mehr mit Helikoptern erfolgen müssen.
1,5 Millionen Bewohner der Küstenstriche werden durch zwei und drei Meter hohe Sturzwellen bedroht und teils weggeschwemmt – das ist zu der Zeit wohl schon traurige Vergangenheit. Man hört auch aus Telefonanrufen, sämtliche Straßen- und Häuserbauten in Jacmel und den anderen Küstenstädten dort drüben seien in einem erbärmlichen Zustand, fast wie nach dem 12.Januar. Nigel Fisher, der Koordinator der humanitären Hilfe der UNO, erklärte, das Schlimmste sei an allem, dass die Menschen von einer doppelten Gross-Katastrophe gleichzeitig geschlagen seien, vom Hurrikan Tomas mit seinen Erdrutschen und Überschwemmungen und von der Cholera, die jetzt noch rascher explodieren werde.
Seit Donnerstag evakuieren die Kräfte der UNO, der haitianischen und kommunalen Behörden Tag und Nacht x-tausende von Menschen aus gefährdeten Siedlungen, vor allem aus den Zeltstädten der Obdachlosen. Washington hat schon Dienstag wiederum einen Helikopterträger nach Haiti entsandt, um die erste Hilfe zu bringen.
Und um den zu erwartenden Leserstimmen zuvorzukommen, die bald sagen werden „die Regierung, der Präsident soll doch, die sollen doch mal endlich“, muss ich antworten, nach meiner Wahrnehmung haben die in den letzten Nächten nichts als getagt und gemacht, stundenlang in den Medien gewirkt. Préval ist in den letzten Tagen im Helikopter in alle größeren Städte geflogen, hat geplant und örtliche Behörden mobilisiert, und-und-und – und tausende von ausländischen Hilfskräften arbeiten ebenfalls schon seit Wochen am Tomas-Problem, und jetzt sind wieder mal die Amis gut genug. Aber gegen eine solche Natur sind sogar die ohnmächtig.
Eines ist sicher: im Moment hat Tomas die Cholera überholt. An Zeit und an Toten.
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