Haiti: Sie spüren das Erdbeben voraus

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Datum: 22. November 2010
Uhrzeit: 11:20 Uhr
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Autor: Otto Hegnauer
Sprachkurs Spanisch (Südamerika)

Wie man indessen weiß, war das noch nicht genug des Schreckens. Das nächste Erdbeben ist schon programmiert, nur weiß noch niemand wann. Es wird wieder sein wie das Monsterbeben oder noch schlimmer, denn die Spannungen in der Erdkruste hätten sich keineswegs abgebaut, verkünden die Auguren. Die ganze leidgeprüfte Bevölkerung dieses Katastrophenstaates ist irritiert, denn jedermann weiß das. Eigentlich müsste man umsiedeln in eine erdbebensichere Zone, und nochmals neu anfangen. Schwerste Betonbrocken mit Erdbebengarantie bis 9 Richtergrade aufpflanzen oder superleichte Häuser aus Palmblättern, die einen nicht erdrücken können, oder ebenerdige Notausgänge rundum, die innert 10 Sekunden praktikabel sind. Wie der Palast der 365 Türen, der von Henry Christophe I. erbaut wurde. Das ist aber keine Lösung wenn wiedermal etwas wie Tomas los ist. Also bleibt nichts anderes, als genügend Schlangen, Mäuse und andere erdbebensensible Viecher anzusiedeln und die so gut zu beobachten, dass ein schrulliges Verhalten offenbar wird und man genügend rasch und richtig reagiert.

Was ist der siebte Sinn? Nichts mystisches Magisches, aber etwas Metaphysisches. Bestimmt etwas, was wir Menschenkinder verloren haben, in der Regel. Von Mäusen, Katzen, Schweinen, Hähnen, Hunden, Pferden, Gänsen, Kröten die meist Stunden vor großen Erdbeben und Vulkanausbrüchen ein auffälliges und ungewohntes Verhalten aufzeigten berichtet die Verhaltensforschung immer wieder.

Bereits seit der Antike wurde derartiges Verhalten von Tieren immer wieder bestaunt und überliefert. So zählte der griechische Naturforscher Plinius der Ältere vier „Erdbeben-Vorzeichen“ auf, darunter das unruhige Verhalten von Vögeln. Die Römer sprachen von »Unheil redenden Tieren«, wie sie sie nannten. Wenn sich Hunde, Pferde und Gänse besonders lautstark gebärdeten, wurden die Sitzungen des Senats vorsichtshalber ins Freie verlegt. Seit der Antike ist bekannt, dass Tiere Erdbeben im Voraus spüren. Aber bisher ist unklar, was sie dazu befähigt.

Japan gilt als erdbebenerfahrenstes Land. Es sind auch hier in Haiti, dem Nachbarstaat der Dominikanischen Republik, vorwiegend Japaner, die als Erdbebenspezialisten eingesetzt werden. Tierische Seismographen spielten da seit jeher eine große Rolle, sogar in den alten Sagen. So soll ein riesiger Wels in den Tiefen des Meeres durch das Schlagen seiner Schwanzflosse unseren Planeten so stark erschüttern, dass es zu schweren Erdbeben kommt. Und »Wenn der Fisch sich bewegt, dann bebt die Erde«, heißt es sogar im Sprichwort.

Mit Bestimmtheit verfügen viele Tiere über höchstempfindliche Sinnesapparate, Verstärker von Wahrnehmungen, wie wir sie kennen. In Kamele am Wasserloch habe ich erzählt, wie wir in der Wüste den Kamelen oft den Willen ließen. Wenn man sie nicht selber (ver-)leitete, trotteten sie mehr oder weniger geradlinig vorwärts und erreichten vor dem Abend mit Sicherheit eine Stelle, wo ganz nah der Oberfläche Wasser lag und mit wenig Grabarbeit in einem Sammelloch gewonnen werden konnte.

In China besteht in einigen Provinzen eine Meldepflicht für plötzlich auftretendes, auffälliges Verhalten von Tieren generell. Bei gehäuft auftretenden Meldungen wurden schon Erdbebenalarme ausgesprochen und Evakuationen angeordnet. So konnten die Menschen vor wirklich auftretenden Beben gerettet werden.

373 v. Chr. wurde die Stadt Helike am Golf von Korinth nach einem gewaltigen Erdbeben vom Meer verschlungen. Aber fünf Tage vor der Katastrophe seien laut dem griechischen Geschichtsschreiber Diodor Schlangen, Ratten und Käfer über eine Verbindungsstraße in das benachbarte Koria abgewandert sein, um sich tiefer im Landesinneren in Sicherheit zu bringen. Dass Schlangen Erdbeben schon Tage im Voraus spüren. wussten Griechen und Römer schon in der Antike. FOCUS Online behauptet, Schlangen seien die besten Frühwarnsysteme für Erdbeben. Das scheint mir glaubhaft, da sie ja auch die größte Auflagefläche ihres Körpers zur Unterlage aufweisen, und dass sie infolge schlechter anderer Sinne – sie sind fast blind und völlig taub – Erschütterungen besonders empfindlich spüren. Feinste Erschütterungen pflegen demnach schon lange vor einem Hauptstoß aufzutreten.

Der Direktor der Erdbebenwarte in Nanning, Jiang Weisong, behauptet, Schlangen spürten drei bis fünf Tage im Voraus und auf eine Entfernung von bis zu 120 Kilometern, wenn ein Erdbeben drohe. Andere Zoologen behaupten sogar ein Vorausspüren von Erdbeben durch Schlangen auf viele Tage. Die Tiere verhielten sich dann merkwürdig. Bei Fluchtversuchen seien sie sogar wie in Panik mit dem Kopf gegen Wände gestoßen. Von Kreaturen seien Schlangen die erdbebensensibelsten. Sie erwachten sogar aus dem Winterschlaf und kämen trotz Winterkälte aus ihren Schlupfwinkeln, wenn sie Erdstöße spürten. Jiang ist überzeugt, dass das Frühwarnsystem auch in anderen Teilen des Landes zum Einsatz kommen wird, damit die Vorhersagen von Erdbeben präziser werden. In China kommt es immer wieder zu Erdbeben. Als die Stadt Tangshan 1976 von einem Beben verwüstet wurde starben rund 250 000 Menschen.

Schon kurz vor dem starken Erdbeben in Südwestchina begannen Kröten plötzlich fluchtartig eine Brücke bei Taizhou in der Provinz Jiangsu zu überqueren. Zahlreiche Beobachter zeigten sich besorgt, jedoch reagierten die Behörden in keinster Weise. Auch Weihnachten 2004 flüchteten Elefanten auf Sri Lanka kurz vor dem Tsunami von den Küsten ins Landesinnere – nur wenige Menschen taten es ihnen gleich.

Leider sind Schlangen auch in Haiti stark verbreitet, wie schon geschrieben wohnte mindestens eine Riesenschlange sogar in meinem Garten. Leider werden diese nützlichen und stets ungiftigen Tiere wenn möglich allesamt totgeschlagen. Sie haben sich deshalb eine extrem versteckte Lebensweise angeeignet, entziehen sich unserer Beobachtung und konnten so den Tod der 300’000 Menschen und den Einsturz von Millionen von Häusern nicht verhindern.

Zwei Stunden vor dem Beben in Haiti, bei dem Hunderttausende Menschen ihr Leben verloren, hatte die kanadische Journalistin Chantal Guy auf ihrer Facebook-Seite berichtet, dass in Port-au-Prince alle Hähne verrückt spielten und zu jeder Tageszeit krähen würden. Kurze Zeit später fügte sie hinzu, dass auch „die Hunde heulen, dass es einem das Herz zerreißt“, zitieren die Lübecker Nachrichten, die Journalistin. Man sagt hier in Haiti, eine oder zwei Stunden vor einem Erdbeben verschwinden auch alle Vögel, wohl in ferne Quartiere. Ihre Gesänge und ihr Zwitschern hören auf, die Natur werde lautlos. Zwei Stunden später bebte die Erde, und ganz Haiti fiel in Schutt.

Auch ich habe leider persönlich eine sehr schmerzliche Erfahrung machen müssen. Meine bald jährige deutsche Schäferhündin Ata hatte das Haus gegen Diebe zu verteidigen. Deshalb wohnte sie auf dem riesigen Flachdach im 1.Stock, wo sie auch über einen geräumigen Zwinger und eine Trockenzone verfügte. Die Türen standen stets offen, um dem Tier freien Zutritt im ganzen Haus zu ermöglichen. Diesen benutzte Ata auch ausgiebig, und kam mich zum Beispiel im Türmli zu jeder Tages- und Nachtzeit „kontrollieren“ und mit ihrer feuchten Nase begrüßen. Sie raste wie eine Rakete von einem Punkt zum andern. Ich selber war ja während des Bebens zum Glück auswärts in den Schwarzen Bergen, wer weiß ob dies nicht auch mehr als ein Zufall war, denn sonst wär ich auch unter dem Schutt begraben, aber Ata sei nach Überlebenden Augenzeugen Sekunden vor dem Beben vom Dach herabgesprungen und in panischer Angst davongerannt, offenbar um mich zu suchen. Leider habe ich seither nichts mehr von ihr erfahren.

Das Spürvermögen für feinste Erschütterungen, vielleicht auch eine Ahnung – was ist das, habe ich möglicherweise im Hölloch an mir selber erlebt. Das Hölloch ist mit hunderten von Kilometern erforschten, menschengängiger Gänge, und wohl mit tausenden von Kilometern wasser- und windgängiger Ritzen und Röhren das wohl größte bekannte natürliche Entwässerungssystem des Planeten, es liegt im Muotatal in der Schweiz, und ich durfte jahrzehntelang an seiner Erforschung teilhaben. 1-2 Tage vor einem großen Wassereinbruch im hintersten Teil spürte ich ein Gefühl der Unsicherheit, möglicherweise feinste Fibrationen des Berges, und warnte meine Kameraden vor dem geplanten Aufbruch zur Forschung. Die lachten mich aus, aber der Wassereinbruch kam, und wir entwischten nur mühsam durch eine zehnstündige Flucht, die in Büchern beschrieben ist.

In der Welt der Höhlen gelten andere Regeln, denen sich die Entwicklung längst angepasst hat. So das Fehlen von Licht und anderer Strahlung. Die Natur hat deshalb farblose und durchsichtige Kreaturen hervorgebracht, vor allem Gliederfüßler, aber auch Fische und Amphibien. Was man nicht sehen kann, braucht es ja nicht. Dazu gehören auch Augen, da unten haben viele Tiere keine. Sie nehmen ihr Umfeld über Erschütterungen war. Um diese zu erfassen und zu interpretieren, haben sie hochsensible Organe entwickelt, wie Seitenlinien oder mehrfach körperlange Antennen, etwa bei Höhlenkrebsen.

Wie solche Tiere auf oder vor Erdbeben reagieren, wäre interessant zu wissen. Alle Sinneswahrnehmungen genügen aber nicht, um gewisse Vorgänge wie Erdbeben vorauszuspüren. WIE die Tiere ein Erdbeben vorausspüren? Ich weiß es auch nicht.

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Die exklusive Haiti-Kolumne im latina press Nachrichtenportal von Otto ‚Swissfot‘ Hegnauer. Der ehemalige Lehrer lebt seit mehreren Jahrzehnten auf Haiti und berichtet exklusiv von seinem täglichen Leben auf der Insel Hispaniola.

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