Brasilien sieht sich als kommende Weltmacht des globalen Südens. Der Anbau und der Export von Agrosprit sollen dem südamerikanischen Land schon bald Reichtum und Einfluss bescheren. Um den Energie- und Rohstoffhunger des Nordens zu befriedigen, werden natürliche Ökosysteme wie Cerrado und Regenwald rücksichtslos geopfert.
In der Aula der Freiburger Universität herrschte Feststimmung. Am 9. Mai wurde dort der brasilianische Bischof Luiz Cappio mit dem „Kant-Weltbürger-Preis“ ausgezeichnet. Geehrt wurde der 62-Jährige für seinen Einsatz für die Menschenrechte und für den Erhalt der Lebensgrundlagen am São Francisco Fluss in Brasilien. Nach seinen Dankesworten kritisierte Cappio die Energieverschwendung in Deutschland und der Europäischen Union (EU). Besonders sorgte ihn der Zuckerrohrboom in Brasilien für die Ethanol-Produktion und die Beimischungsquoten der EU. Europa will aus ökologischen Gründen bis 2020 allen Kraftstoffen zehn Prozent Ethanol beimischen. Weil die benötigten Mengen aber auf heimischen Äckern nicht produzierbar sind, wird der Anbau auf die Südhalbkugel abgewälzt – ohne Rücksicht auf die ökologischen Folgen dort.
Der 3.200 Kilometer lange São Francisco ist die Lebensader Nordostbrasiliens. Als einziger Fluss führt er das ganze Jahr über Wasser und durchquert die Trockengebiete des Landes. Für 14 Millionen Menschen und 32 indigene Völker ist das Flusstal Heimat und Lebensgrundlage zugleich.
Kostbares Trinkwasser für Agrosprit
Der Fluss spielt bei den neuen industriellen Großprojekten Brasiliens eine wichtige Rolle. Die brasilianische Regierung plant den São Francisco anzuzapfen und abzuleiten. Pumpstationen sollen das kostbare Nass über zwei Kanäle 800 Kilometer weit Richtung Norden lenken. Das Ziel sind die Soja- und Zuckerrohrmonokulturen, die für die Produktion von Agrokraftstoff benötigt werden. Die natürlichen Ökosysteme des Cerrado und Caatinga mitsamt ihrer einzigartigen Artenvielfalt werden für die Plantagen geopfert – und damit auch die Lebensgrundlagen der lokalen Bevölkerung.
2007 haben die Bauarbeiten für das Mammutprojekt begonnen. Die Regierung gibt vor, damit auch die Wasserversorgung der Bevölkerung zu verbessern, doch Wasserleitungen zu den Dörfern sind in den Plänen gar nicht vorgesehen. Das Recht aller Menschen auf Wasser und Nahrung dürfe nicht durch den Energieverbrauch anderer bedroht werden, klagt auch Bischof Cappio.
Widerstand beginnt sich zu formieren
Am Oberlauf des São Francisco haben bereits vor Jahren fünf große Staudämme den Wasserlauf verändert. Die Uferwälder wurden zugunsten von Soja-, Zuckerrohr- und Eukalyptus-Monokulturen abgeholzt. Die neuen Plantagen benötigen laufend große Mengen Wasser. Um einen Liter Ethanol herzustellen, werden dem Fluss bis zu 1.400 Liter Wasser entzogen. Viele Quellflüsse sind bereits ausgetrocknet, der Fluss versandet. Schädlingsbekämpfungsmittel und Abwässer vergiften das Wasser und bedrohen die Fische. Es setzt die scheinbar immer gleiche Spirale ein: Wenige Großgrundbesitzer teilen das Land unter sich auf, der Zugang zum Wasser ist monopolisiert und die Nahrungsmittelproduktion sowie die lokalen Märkte gehen zugrunde. Die einsetzende Landflucht vergrößert das Elend in den Städten. Mit der neuen Flussumleitung in den Norden drohen sich die Konflikte dramatisch zu verschärfen. Die betroffenen Flussanwohner haben gemeinsam mit Menschenrechts- und kirchlichen Gruppen sowie Universitäten die Kampagne „Indigene Völker verteidigen den São Francisco Fluss gegen die Ableitung“ organisiert.
Für die Ethanolindustrie ist Brasiliens Präsident Lula da Silva ein enger Verbündeter. Er sieht sein Land als „Saudi Arabien der grünen Energie“ und hat Agrosprit deshalb zur Staatsdoktrin erhoben. Brasilien will im Jahr 2025 zehn Prozent der globalen Benzinnachfrage decken. Damit löst da Silva nicht nur bei der heimischen Industrie Begeisterung aus, sondern erntet auch von Bundeskanzlerin Angela Merkel Beifall. Im Mai 2008 hatte sie feierlich in Brasilia das deutsch-brasilianische Energieabkommen unterzeichnet.
Das ökologische Gewissen wird mit neuen „Ökozertifikaten“ und „Siegeln“ beruhigt. Dazu hat das deutsche Landwirtschaftsministerium das ISCC-Projekt ins Leben gerufen. In dessen Rahmen entwickelte die Kölner Unternehmensberatung Meo-Consult ein Zertifizierungssystem, von dem bereits in Malaysia erste Palmöl-Dieselhersteller profitierten. Auch in Brasilien läuft ein Pilotprojekt mit der Ethanolfirma Bioenergia do Brasil. Dabei sind die technischen Regelwerke nicht nur unzureichend, der europäische Zertifizierungswahn wird in Ländern wie Brasilien oder Indonesien nichts nützen. Dort gibt es ausreichend Möglichkeiten, die Kontrollen und Vorgaben auszuhebeln.
Darauf setzt auch der Ölmulti BP. Der Konzern zapft nicht nur die letzten Erdölfelder an, sondern investiert seit einigen Jahren auch in Pflanzenenergie für Auto-tanks. „Gas geben mit Sprit vom Acker“ – dafür rührt der weltweit drittgrößte Ölkonzern kräftig die Werbetrommel und preist sich als Klimaschützer. Mitten im Herzen des Cerrado im Bundesstaat Goiás stampfte der Ölmulti die Ethanolfabrik Tropical Bioenergia aus dem Boden.
Im vergangenen Herbst hat der riesige Industriekomplex von BP mit einer Jahreskapazität von 435 Millionen Litern Ethanol die Produktion aufgenommen. Nun schießen die Zuckerrohrplantagen in der Gegend um Edeia wie Pilze aus dem Boden. Zur Versorgung von Tropical Bioenergia werden mindestens 60.000 Hektar Zuckerrohr benötigt, eine Fläche, doppelt so groß wie München.
BPs grünes Mäntelchen in Brasilien
Um Platz für den Zuckerrohranbau zu schaffen, ist man in Brasilien nicht zimperlich. 216 Hektar Wald wollte SantelisaVale, BPs Teilhaber an der Ethanolfabrik, im Dorf Laranjeiras im Norden des Bundesstaates São Paulo mit Genehmigung einer lokalen Richterin roden. Die Bewohner nahmen das Schicksal selbst in die Hand und verhinderten das Vorhaben mit einer Demonstration und Blockaden. Doch nicht selten sind Terror und Mord die Mittel der Wahl. 48 indigene Guaraní wurden 2007 im Bundesstaat Mato Grosso do Sul ermordet. Dort boomt der Anbau von Soja und Zuckerrohr besonders.
Mit Zuckerrohr und Ethanol verdienen Großgrundbesitzer noch mehr Geld als mit Soja. Elf Zuckerrohr- und Ethanoldestillerien sind bereits in Mato Grosso do Sul in Betrieb, weitere 30 im Bau. Für 84 liegen Pläne vor. Im Weg stehen die Ureinwohner, die nicht aufgeben und auf ihre in der Verfassung garantierten Landrechte pochen.
In der ärmsten Gegend Brasiliens, dem Nordosten, wurden in den letzten 15 Jahren wegen der Ausbreitung des Zuckerrohrs schätzungsweise 35.000 Familien von ihrem Land vertrieben, etwa 150.000 Menschen verloren dadurch ihre Existenzgrundlage, berichtet das kirchliche Hilfswerk Misereor.
Für „Sprit vom Acker“ muss der Anbau von Nahrungsmitteln weichen. Immer weiter werden die Rinderzüchter und Sojafarmer Richtung Norden getrieben – in die bisher noch einigermaßen intakten Savannen und Regenwälder. Die Nachhaltigkeitssiegel werden nicht verdecken können, dass Brasiliens Wälder weiter in Rauch aufgehen. Unaufhaltsam schwinden die Wälder am Amazonas. Und mit ihnen Indianervölker und unzählige Tier- und Pflanzenarten. Ein Ende des Verdrängungsprozesses ist nicht abzusehen. BP plant schon die nächste Ethanolfabrik.
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