300.000 Erdbebentote, 2.500 Choleratote und 16.000 Cholerakranke in den Spitälern, Millionen eingestürzter Häuser, täglich neue Hiobsbotschaften und einiges mehr – erstaunlich, wenn in einer solchen Chaokratie nicht die Gerüchte aus dem Boden wuchern wie Unkraut. Man kann nichts mehr glauben, am wenigsten den Medien. Die Medien sprechen in der Regel nur noch von „zwei“. Unter „es gab mindestens zwei Tote“ kann man alles verstehen, je nach Bedarf … für Wahrheit ist auch keine Bedarf, Tote sind es eher gefragt, aber in Tausenden, oder dann Einschaltquoten. Am liebsten gleich millionenweise. Dass niemand die Wahrheit kennt, ändert ohnehin nichts.
So wird Wahrheit erfunden, von den Menschen in den Zelten, von den Medien. Beide haben ja auch keinen Ausgang mehr, keine Quellen. Wie beim Erdbeben unmenschliche Drahtzieher tektonischer Geheimwaffen die Jahrtausendkatastrophe ausgelöst haben sollen, sei in den letzten Tagen das Trinkwasser vergiftet worden und das Cholera-Pulver sei künstlich verblasen worden, um das ganze Volk auszulöschen, wofür wiederum hundert Begründungen und noch mehr Verursacher herhalten müssen, häufig mit diametral entgegengesetzten Interessen. Einerseits werden die Globalisierer, speziell die Amis, als exportgierige Wirtschaftshaie mit einzigem Interesse möglichst große Märkte zu generieren an die Wand gemalt, und anderseits die gleichen als Volkszerstörer dargestellt, die Krankheit, Armut und all die andern Probleme mitsamt den Menschen zerstören wollen.
Wie einfache Gemüter die Welt doch einfach sehen, aber vielleicht haben sie uns das gerade voraus. Vielleicht machen wir alles zu kompliziert. Wir müssen ja nicht mal großkotzig die weite Welt benörgeln, und hoffentlich verbessern, Es reicht an der kleinen, mindestens bei uns in Haiti, dem Nachbarstaat der Dominikanischen Republik. Hier gibt es heute Todesgegenden, vor denen jeder panische Angst hat, in die man nicht mehr fahren kann, die von Taptaps und Motos strikte gemieden werden, deren Einwohner bei auswärtigen Verwandten und Freunden Zuschlupf suchten.
Gestern sollte nach Fahrplan der Entschluss der Wahlkommission betreffend Präsidentenwahl bekannt gegeben werden, das ist immer noch nicht der Fall; stattdessen verkündete der Witzbold von Präsi, die Bekanntgabe werde auf nächstes Jahr verschoben, um den Einwohnern das Weihnachtsfest nicht zu vergällen. Sagt doch schon eine ganze Menge!
Ich sehe von mir aus auf den Flugplatz hinunter. Soeben ist eine weiße Riesen-Maschine gelandet, eine Herkules oder ein anderes doppelt so großes Ungetüm wie normal. Ob sich darin das Weihnachtsgeschenk versteckt? Oder das Christkind? Auch wenn in Haiti scheinbar der Weltuntergang geprobt wird, so wird auch mein nächstes Buch heißen, das in ein paar Monaten herauskommt, ich weiß nur eines: der Weltuntergang wird nicht stattfinden. Haiti wird wieder auferstehen.
Ich wünsche den Millionen von Menschen da unten in den Zelten und meinen lieben Lesern ein glückliches Fest, erst recht! Das Leben geht weiter, es wird wieder blühen!
Otto Hegnauer
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