Langezeit ging es ohne. Ohne hohe Mauern, ohne Fenstergitter, ohne Stacheldraht. Seit zwanzig Jahren genoss ich ein offenes Haus. Zwanzig Jahre lang warnten mich Besucher, Familienmitglieder, Freunde. Denn wie in der Schweiz Bomben, so fürchtete man in Haiti Überfälle, Räuber und Diebe.
Ein Freund von mir, als pensionierter UNO-Offizier hatte er drei Pässe: nach seiner ursprünglichen Heimat sowie nach seinen einstigen Arbeitsorten USA und der Schweiz. Voll Stolz hatte er mir, wohl als einziges menschliches Wesen, seinen unterirdischen Luftschutzkeller gezeigt. Nicht gegen Bomben, sondern gegen Schiesswütige, Kidnapper und so. Nach Schweizer Manier lag hinter dicken Panzertüren ein Raum mit vorbereiteten Betten, Stromaggregat, Kühlschrank, und unter einem Teppich versteckt (besonders wichtig:) der Tresor. Auch Toilette und Wasserzisterne fehlten nicht. Hinter der zweiten Panzertüre führte ein betonierter Fluchtgang unter den Mauern und der Außenstraße durch auf ein Feld, wo die Anlage durch einen unscheinbaren Schachtdeckel verlassen werden konnte. Bravo, der Mann hatte vom Schweizer Zivilschutz mehr gelernt als ich!
Ich hatte „Vertrauen in Unbekannt“, wollte keine Festung. Zwanzig Jahre lang behielt ich recht. Nicht dass mir nichts gestohlen wurde, im Gegenteil. Aber es waren Angestellte, Handwerker, vielleicht sogar gelegentlich gewisse Besucher und „Freunde“ (natürlich nicht mit Schweizer oder deutschem Pass. Achtung Vorurteil.). Sie wollten bestimmt nur etwas leihen und wieder zurückgeben, vergaßen dies aber gar oft. Gelegentlich fand ich von meinen Werkzeugen oder Silbermessern auch Stücke irgendwo im Garten liegen. Sie kannten halt den Unterschied nicht zwischen Silber und Blech. Unachtsamkeit, mangelnde Disziplin, kein Ordnungswillen. Selbstbedienung wie in einem Supermarkt. Und wie dort, sind wohl das meiste Personaldiebstähle. Wenn man von „Dieben“ sprechen will, so waren das interne Diebe, bei denen die Festung nichts genützt hätte. Einbrüche gab es nie.
Vielleicht ein Eindringling, vor fünfzehn Jahren, der sich als Geistesgestörter erwies. Es war noch Bauzeit, da erlauschten wir auf dem Dach merkwürdige Geräusche. Ich war sicher, Schritte zu hören. Ich weckte meine Frau und einen Freund – die glaubten zuerst, mir hätte sich eine Schraube im Kopf gelöst. Dann vernahmen sie die Schritte auch. Unser damaliger Wächter war Azuli, der hatte fest geschlafen – wie immer die Wächter. Wir weckten ihn, holten eine Leiter und stiegen dachauf.
An den Wortlaut der folgenden Zurufe mag ich mich nicht mehr erinnern. Jedenfalls hatte mein Freund eine Pistole, Azuli eine Machete, und so stiegen sie aufs Dach. Bald fielen Schüsse. Zu Tode erschrocken raste ich mit dem Wagen zum nahen Polizeiposten – Telefon gab es noch keines – und holte das Überfallkommando. In ein paar Minuten waren sie alle auf dem Dach, mit gezückten Pistolen und mit Gewehren. Bald war der Störenfried entdeckt, in Handschellen, und unsanft wurde er vom Dach auf die Brücke meines Pick Ups transportiert. Ich führte die Ladung zurück auf den Posten, und die Polizisten verschwanden mit ihrem Opfer im Innern des Gebäudes, das gab wohl Schläge. Gestohlen war nichts, es stellte sich heraus, dass der Dachbesucher „nur“ ein Verrückter war. Er war der Polizei bereits als nächtlicher Nacktspazierer bekannt.
Seither war Ruhe, bis vor etwa einer Woche. Ich war auswärts, und mein Wächter schlief mit seiner Familie so fest, wie üblich, sodass er den Diebstahl erst am Morgen entdeckte. Diebe waren diesmal tatsächlich über eine Mauer eingedrungen, wieder aufs Dach gestiegen, und wollten das Kabel stehlen, das von der Satellitenantenne zu meinem Computer führte, dieser steht im Türmchen einige Meter entfernt. Die Vandalen glaubten offenbar, das Kabel verkaufen zu können; dass ihnen Glasfaser nichts nützt, ahnten sie kaum. Um das Diebesgut abzutrennen, zerrten sie beidseits so fest es ging – aber das Kabel hielt fester. So beschädigten sie auch die Halterungen auf beiden Seiten, und verstellten die Satellitenschüssel. Das Kabel selbst hackten sie mit Macheten beidseits lieblos ab und suchten das Weite.
Alson rief mich herbei, diesmal per Telefon, und ich holte wiederum die Polizei. Der Erkennungsdienst befasste sich eifrig mit der Spurensicherung und fand die Stelle, wo die Täterschaft über die Mauer vom Nachbarhaus her hereingestiegen war. Dort lagen noch verlorene Kabelreste. In der gleichen Nacht haben – wohl die gleichen Täter – einem anderen Nachbarn die Sromzuleitung und nochmals einem anderen mehrere Autobatterien gestohlen. Sie waren offenbar auf Elektro aus. Die diebischen „Stromfachleute“ wussten allerdings nicht, dass Glaskabel keinen Strom, nur Licht leiten… Die bestohlenen Nachbarn bemerkten nachher, das müsse ein „interner Dieb“ sei, das heißt jemand der mit den Örtlichkeiten vertraut sei. Sie bekräftigten wieder: „Diebe gibt es in Gressier nicht“. Und meinten damit fremde, externe.
Ich hatte ein paar Tage kein Internet. Und einen vierstelligen materiellen Schaden. Das Kabel musste ich ersetzen, Glaskabel kann auf dieser ganzen Insel keiner reparieren. Und da deshalb die beidseitigen Schuhe auch niemand befestigen kann, gibt es die Kabel nur in vorbestimmter Länge, natürlich eine mehrfache der benötigten. Und damit auch ein mehrfacher Preis. Die Hauptsache, ich hatte wieder Internet. Etwa gleich hoch wurden die Kosten für die Schutzmaßnahmen die jetzt folgten. Für mich war es an der Zeit, umzudenken und halt doch eine Festung zu bauen. Ich sage ja immer: „Wer nicht mehr lernt, der ist bereits gestorben“. Die Festung ist im Bau, fast fertig. Einen Luftschutzkeller brauche ich nicht, aber die Mauern wurden erhöht und mit Stacheldraht überzogen. Und in diesen Tagen kommt noch Ata, ein junger Deutscher Schäfer dazu, der auf dem Dach einquartiert werden soll. Darüber, und wie Ata von meinem Kätzchen Minouche aufgenommen wird, werde ich gesondert berichten.
Dann habe ich Zeit zu überlegen, ob zwanzig Jahre ungesiebter Meersicht die Kosten lohnten oder nicht – Ich finde die Aussicht hier ist unbezahlbar. Also hat es sich gelohnt!
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