Von meinen paar unvergesslichen Nächten beim Bergbauern oben in den Mornes über Anse-à-Veau habe ich eigentlich genügend erzählt. Trotzdem erinnere ich mich an ein Klang- und Schmunzelerlebnis, das mich in der letzten Nacht vor dem Abritt bewegte.
Am Abend pflegte man in der Runde zu sitzen und seine Sprüche zu klopfen, bei uns würde das etwa dem Lagerfeuer entsprechen. Hier ist das Holz zu kostbar um zum „Lagerfeuern“ verschwendet zu werden, man benötigt es zum „kochfeuern“. Das ist mir alleweil sympathischer als die sonst übliche Holzkohle. Jeder sucht sich einen ihm geeignet erscheinenden Felsblock und setzt sich so bequem wie möglich, man nennt das hier eine „Base“, was wohl so viel wie Lager bedeutet.
Die Menschen hier sind Meister im Witze erzählen, Geschichtenerzähler ist weiter unten im Tal sogar ein Beruf. Der Vortrag erfolgt unter hinreißender Mimik und Gestik, man würde glauben, in einer Schauspielschule zu weilen. Dies ist auch nicht weiter erstaunlich, in Ermangelung von Strom, Fernsehen, Filmkonserven und anderen Unterhaltungsmedien.
Plötzlich entdecken Anwesende ein wiesel artiges Tier, das wie der Blitz den glatten Stamm einer daneben stehenden Palme hochschießt und in deren Krone verschwindet. „Eine Ratte“, lautet unisono der Kommentar. Nach meinem Dafürhalten sind für die Kreolen einfach alle Nagetiere Ratten, dass es auch Hörnchen und Schläfer gibt, ist ihnen unbekannt. Mir kam unwillkürlich der Tiroler Baumschläfer in den Sinn, der auch in Schweizer Bäumen seine Nester anlegt und Vorratskammern für den Winter anlegt. Dass das Tier Nüsse sammelt und versteckt, manchmal nicht mehr findet und so zur Verbreitung von Bäumen beiträgt, war hier teilweise bekannt. Mir allerdings war unbekannt, dass dieses Verhalten auch auf Ratten zutreffen soll. Streitgespräche bringen nichts, also ließ ich es bleiben und taufte den kleinen Schläfer von mir aus „Lérotin Tiburién“, in Anlehnung an „Lérotin Tyrolién“.
Spätabends zog man sich zurück in die Schlafstellen, in meinem Fall also unter den Sarg mit den Papierblumen. Lange nach der Geisterstunde erwachte ich, weil es über meinem Kopf stundenlang polterte und kugelte, wie wenn die Zombies kegeln würden. Davon waren die Einheimischen auch felsenfest überzeugt. Für mich aber war auch dieses Klangerlebnis ein Aufsteller und eine Bestätigung, dass es sich nicht um Ratten, sondern um Schläfer aus der Familie der Bilche handelte. Mir war bekannt, dass die auch in Europa als nächtliche Lärmer und Kegler bekannt sind und auch bei uns für Gespenstergeschichten herhalten müssen. Das Blechdach dröhnte und polterte, wie wenn sich die Tierchen gegenseitig Kokosnüsse abjagen würden. Schließlich schlief ich trotzdem ein, bedauern könnte ich dies nurmehr im Traum. Aber im Traum zu bedauern, das muss ich noch lernen.
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