„Prinzenstadt“ nenne ich Haitis Hauptstadt, ist doch frei übersetzt und tönt viel schöner. Sie platzt aus allen Nähten und umfasste schon 2004 mehr als zwei Millionen Seelen. Die Straßen sind verstopft und lassen sich kaum mehr verbreitern, dafür wurden schon Tausende von Wohnhäusern abgerissen. Das schafft Preise!! Die Behörden versuchen die stattfindende Explosion mit aller Härte zu stoppen, zum Beispiel durch Streichung von Krediten für Projekte die das Cityleben attraktiv machen, leider auch Schulen.
Projekte von außen werden angeheizt, man versucht Verlockungen und Bevölkerung herauszuziehen und dort anzusiedeln, wo die Probleme nicht noch hochgeschraubt werden.
Eine solche Wachstumszone ist Gresye. Gresye, französisch Gressier, ist seit zwanzig Jahren mein Wohnort, aber auch eine Vorortgemeinde der Prinzenstadt. In der Zeit hat sich viel verändert. Als ich damals meinen Bauplatz wählte, wieherten noch halbwilde Pferde auf den Wiesen, nachts winkten Myriaden von Glühwürmchen mit ihren Lämpchen, und außer zwei-drei Ruinen gab es kein Haus weit und breit. Heute leben hier 26’000 Menschen, hinter mir und seitlich und auf den Hügeln ist alles verbaut und zersiedelt (vor mir schützt mich davor Sumpf und Meer), und die hundert Meter hinter mir durchziehende N2 pflegt schon verstopft zu werden bis hier raus, zwanzig Kilometer von der Hauptstadt.
Die Behörden geben sich Mühe, die Wasserversorgung und Abfallentsorgung vorzubereiten, die Probleme in den Griff zu bekommen, der Bauverwilderung Einhalt zu gebieten und den paar übriggebliebenen Bauern noch etwas Land zum Arbeiten zu lassen. Außer mehreren Schnapsmühlen, einer US-amerikanischen Zierpflanzenplantage und den unzähligen Bauplätzen gibt es kaum Arbeit. Es gibt seit ein paar Jahren eine Tankstelle, aber keinen Laden, auch kein Restaurant für Leute wie mich, die lieber internetten als kochen. Und für die großen Schulen und die paar kleinen Missionsschulen und Waisenhäuser bleibt schon gar nichts mehr übrig, weder an Mitteln noch an Motivation.
Schon vor Jahrzehnen sind die US-Amerikaner gekommen, wie so oft, und haben die Defizite erschnüffelt. In Gressier-Center haben sie eine große Schule erbaut, und eine riesige Mission im Aussenquartier Collines, fünf km nördlich von hier, auch mit Schul- und Spitalzentrum bis hin zur Universität. Aber auch das genügt nicht mehr, auch Collines schickt sich an, aus den Nähten zu platzen. Diesmal hat das die Schweiz erschnüffelt und ist mit einem Erste Hilfe-Angebot eingesprungen, einem Schulangebot nach Schweizer Manier.
Das Schweizer Bildungssystem gilt trotz der wenig fruchtbaren Reformhektik, welche die Lehrerschaft teilweise in unzumutbare Bedrängnis brachte, seit Pestalozzi als musterhaft. Kein Wunder, dass der Begriff „Schweizerschule“ als Marke herhalten muss. „Schweizerschulen“ sind öffentliche oder private Bildungseinrichtungen, eben Schulen, die in der Schweiz oder im Ausland betrieben werden. In der Regel durch Schweizer Erziehungsfachleute, nach Schweizer Lehrplänen, in mindestens einer Schweizer Unterrichtssprache und häufig für Kinder von Schweizer Bürgern, nur leider nicht immer im Sinne Pestalozzis…
Unter der Bezeichnung „Schweizer Schulen im Ausland“ versteht man von der Eidgenossenschaft offiziell anerkannte Schulen, die durch die Schweizerische Auslandschweizer-Organisation betreut werden, es sind derzeit 17 an der Zahl, die über die ganze Welt verstreut sind und rund 6700 Kindern Unterricht nach schweizerischen Grundsätzen und Lehrplänen vermitteln. Es sind private Einrichtungen der einzelnen Auslandschweizer-Gemeinschaften, aber vom Bund anerkannt. Die Schüler können jederzeit ohne Probleme ins Schweizer Schulsystem wechseln. Falls sie mit der Matur oder mit dem International Baccalaureate abschließen, können sie anschließend in der Schweiz studieren. Falls sie das noch attraktiv finden.
Daneben gibt es auch private, nicht anerkannte, sozusagen „wilde Schweizer Schulen im Ausland“, die nicht zu der erwähnten Organisation gehören. So gibt es in Jacmel/Haïti seit Jahrzehnten das „Collège Suisse“, das von einem ausgewanderten Schweizer Lehrer aus humanitären Gründen betrieben wird. Es beendet bald das vierte Jahrzehnt seines Bestehens, und 35 Lehrer unterrichten 900 Schüler. Schulen die „nur“ von Schweizer Lehrern gegründet wurden und geleitet werden oder von Schweizer Spenden leben, wie die benachbarte Schule von SOS Enfants-Haïti, ebenfalls mit 400 Schülern, werden deswegen noch nicht als „Schweizer Schulen“ bezeichnet. Sie sind gleichsam Eigenmarken.
Volkstümlich werden natürlich auch Schulen so genannt, die die Schweiz als Entwicklungshilfe gesponsert hat. Vorgesehen sind deren 20. Eine erste wurde, quasi als Pilotprojekt, am 7.Januar 2010 in Collines, einem Aussnquartier von Gressier, eröffnet. Das einfache Schulgebäude umfasst vorerst vier möblierte Klassenzimmer für 300 Kindergärtler und Primarschüler, Schulküche und Lagerräume sind im Bau, und zu gegebener Zeit wird wohl eine Oberstufe folgen. Die Schweiz ( DEZA ) stiftet Schulhäuser und Mobiliar, das World Food Programme ( WFP), die größte humanitäre Organisation der Welt), spendet die täglich vorgesehene warme Mahlzeit, und das Erziehungsministerium (MENFP) verspricht die Schulung der Kinder für das wirklich Brauchbare zu sichern und deren VERschulung zu verhindern.
Und wenn die Schulung gelungen ist ? Wer sorgt dann für eine entlöhnte Arbeit? Ohne Ansiedlung größerer Betriebe und Industrien bleibt der Jugend nur übrig, ( wohl vergeblich ) auszuwandern oder zu pendeln und die Straßen noch mehr zu verstopfen, viel Glück!