Der Grosse Ameisenbär (Myrmecophaga tridactyla) und das Riesengürteltier (Priodontes giganteus) scheinen zwar auf den ersten Blick sehr verschiedenartige Tierformen zu sein. Sie sind jedoch nah miteinander verwandt und werden vom Zoologen in der Ordnung der Zahnlosen (Edentata) zusammengefasst. Diese ursprüngliche Säugetier-Ordnung umfasst insgesamt vier Familien: die Ameisenbären (Myrmecophagidae) mit vier Arten, die Gürteltiere (Dasypodidae) mit etwa zwanzig Arten, die Zweifinger-Faultiere (Choloepidae) mit zwei Arten und die Dreifinger-Faultiere (Bradypodidae) mit drei Arten. Alle Vertreter der Ordnung leben in der Neuen Welt.
Die Bezeichnung «Zahnlose» ist etwas irreführend. Sie geht zurück auf fehlerhafte Vorstellungen über die Gliederung des Tierreichs aus dem 18. Jahrhundert. Tatsächlich sind nur die Ameisenbären völlig zahnlos. Das Riesengürteltier hingegen hat bis zu hundert Zähne und zählt zu den zahnreichsten Säugetieren überhaupt. Allerdings sind seine besonders kleinen Zähne wurzellos und zeigen ebenfalls deutliche Merkmale der Rückbildung.
Ausgestorbene Riesenformen
Die Ordnung der Zahnlosen hat sich vor etwa 60 Millionen Jahren in Südamerika entwickelt und war einst viel artenreicher als heute. Man kennt zehnmal mehr ausgestorbene Zahnlosen-Gattungen als lebende. Darunter befanden sich auch Tiere mit Riesenwuchs wie zum Beispiel die nashorngrossen Gürteltiere der Gattung Glyptodon. Der aussergewöhnlichste Riese war aber zweifellos das fast vier Meter grosse bodenlebende Faultier Mylodon listai, welches als Pflanzenesser die damaligen Strauchsavannen des südlichen Argentiniens bewohnte. Dieses elefantengrosse Faultier starb erst vor 10 000 bis 12 000 Jahren aus und war noch Zeitgenosse des Menschen. In einer von Menschen abgemauerten Höhle bei Ultima Esperanza in Patagonien fand man Knochen, Fellstücke und Dungreste der Tiere. Man vermutet deshalb, die Riesentiere seien von den südamerikanischen Indianern als Haustiere gehalten worden.
Der Rückgang der Zahnlosen-Vielfalt in der neueren Geschichte lässt sich aus den geografischen Verhältnissen ihres Heimatkontinents verstehen: Südamerika war während vieler Jahrmillionen von Mittelamerika – und damit vom Rest der Welt – getrennt. In dieser Abgeschiedenheit hatte sich die Ordnung der Zahnlosen prächtig entfaltet. Während der jüngsten Tertiärzeit – vor einer guten Million Jahren – bildete sich dann aber die Landbrücke von Panama und ermöglichte einen Austausch der Tierwelt zwischen Süd- und Nordamerika. Nun traten die «modernen», weltweit sehr erfolgreichen Raub- und Huftiere als Fressfeinde und Nahrungskonkurrenten im Lebensraum der Zahnlosen auf und drängten diese mehr und mehr zurück. Schliesslich überlebten lediglich ein paar Spezialisten unter den «Ureinwohnern» – zum Beispiel der Grosse Ameisenbär und das Riesengürteltier.
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