Mir kommt es manchmal so vor, als würden wir in einer Welt leben, die uns aufzwingt hungriger zu werden, je mehr wir essen. Sehnsüchtiger zu werden, je mehr Sehnsüchte erfüllt werden, weg zu wollen, wenn wir es schön haben. Es ist verrückt.” Er nickt und sagt: “Ich will weg von Kuba. Ich gehe mit einem Touristen mit, mit einem Mann oder einer Frau, es ist mir egal. Vielleicht adoptiert mich jemand?” Er sieht mich verbindlich an und ich wende den Blick ab, schaue hinaus zu den Wellen, die von der Flut immer höher geworfen werden und mit zunehmender Wucht an den Strand rollen.
Ich lade ihn zum Essen nach Havanna ein und als wir am frühen Abend aufbrechen und zum Bus gehen, hat er Tränen in den Augen, lächelt mich an und nimmt ein paar Mal Anlauf, irgendetwas zu sagen. Im Bus, weit hinten, auf einer der letzten Sitzreihen, sucht seine Hand ständig meinen Oberschenkel und seine Augen ständig meinen Blick. Ich lasse ihn gewähren, bringe es nicht übers Herz ihn abzuweisen, obwohl er für mich viel zu jung ist; in jeder Hinsicht.
In Havanna angekommen setzen wir uns ins Cafe vor dem Hotel Inglaterra und trinken jeder einen Daiquiri – hier zu recht vernünftigen Preisen. Jetzt lächelt er öfter, wirkt entspannter, die Tränen sind getrocknet. Ihm scheint es hier zu gefallen. Im Sitzen zappelt er auf recht reizvolle Weise im Takt der Musik und schaltet wieder Vollgas auf Verführer. Er dringt nicht zu mir durch; aber seine Versuche, mich für ihn einzunehmen, berühren mich wie das tragische Schicksal einer Figur aus einem Roman von Tolstoi oder José Lezama Lima.
Ich komme mir etwas gefühlskalt vor als ich denke, dass mich sein Zerren und Wollen zu einer Novelle inspirieren könnte, über ein Volk von Menschen, deren gesamtes Denken und Tun darauf abzielt, den Ort zu verlassen, an dem sie sich gerade befinden. Unfähig, sesshaft zu werden, Nomaden ihrer eigenen Begierde wegen. Wir nehmen ein Taxi von Habana Vieja nach Vedado.
Was ist das denn für eine zweifelhafte „literarische Kostbarkeit“? Schwuler Sextourist sinniert über sein Techtelmechtel mit einem kleinen Stricher. Vor dem Duschen wird er sich wohl einen bl… lassen haben. Wofür sonst gabs denn die 30 CUC. Alles so offensichtlich. „mi cayito“ ist übrigens der einschlägig bekannte Standabschnitt für solche Typen.