Eigentlich habe ich genügend von Pannen erzählt. Strompannen, Autopannen, und vielem mehr. Auch dass es in keinem Land der Welt so spannend ist, das wissen Sie längst. Noch suchen die meisten der Millionen ein Obdach (ich hab meines auch verloren, aber wieder eines zu suchen das fiele mir immer weniger ein, hab schon gar keine Zeit dazu), kaum habe ich die Hetzjagd auf Spendenklauer verkündet, und schon melden sich die ersten Abfall- und Trümmertouristen. Auch davon ein anderes mal, die Themen laufen mir davon.
Heute lief das Auto wieder einmal, lief auch fast davon, und die längst vorgesehene Reise mit der Sonne in den Westen war zu wagen. Von Pétion-Ville nach Miragoâne und natürlich zurück, denn übernachten kann man nirgendwo unterwegs – die wenigen stehen gebliebenen Hotels sind von „Hilfs-“ und ähnlichen Werken belegt, und auch zu essen gibt es höchstens aus der Kartonschachtel von einer fahrenden Köchin am Straßenrand, die versucht so ein paar Gourdes zu machen, aber meine Sauberkeits- und Qualitätsansprüche liegen da woanders.
Wir sind im Morgengrauen abgefahren, etwa um vier Uhr. Hier sagt man aber „Grand-Matin“, „Am Großen Morgen“ – tönt das nicht viel schöner? An tausenden von Hausruinen vorbei, durch schuttblockierte Quartiere die angeblich bis heute noch nicht nach Toten durchsucht wurden, das Grauen das uns bei der mühsamen Durchfahrt befällt hat mit dem Morgengrauen nichts mehr zu tun. Mir hat man einen ganzen Liter 70%igen Isopropyl Alcohol mitgegeben, mit dem ich immer wieder Hände und Gesicht wasche, und selbst die Kinder hantieren mit so verdächtig riechenden Stickern, Fläschchen und Tübchen herum. Wir sind froh, hier ohne Panne durchzukommen, und weiter geht’s an tausenden von Zeltstädten vorbei, in deren jeder wohl wieder tausende von Überlebenden wohnen.
Dass das größte Camp im größten Stadion liegt, haben Sie schon in Fressen für Paparazzi: Hier weinen die Herren der Welt ! gelesen. Auch dass die größten Spender und Betreiber, seien das Staaten, Rapper oder andere Stars, gerne ihren Namen geben für die jeweiligen Camps und Cities, ist ja irgendwie hinzunehmen, denn das Zeugs hat ja doch auch einige Milliönchen gekostet. Zudem braucht es Namen um sich zu orientieren, und die sind halt nach einem solchen Erdbeben häufig neu.
Die Route de Rail ist eine neue, autobahnähnlich richtungs- und mittelstreifengetrennte Straße oder war das, bis vor dem Beben. Heute ist der Mittelstreifen lückenlos von Zelten besetzt, darin schlafen tausende zentimeternah an den vorbeibrausenden Auspuffschleudern, und es gibt kaum einen einzigen Querdurchgang von der einen Fahrbahn zur anderen hinüber. An den Seiten der beiden Fahrbahnen sind zu hunderten behördliche Vorrichtungen aufgestellt, Latrinen, Waschanlagen und wenn es mal gut geht, sogar Wasserstellen. Aber um nachts mal zu einem Pipi zu kommen, muss man schon minutenlang eine Verkehrspause abwarten und versuchen, unter Lebensgefahr die Autobahn zu überqueren, und zurück.
Außerdem sind die Fahrbahnränder kilometerweit mit Trümmern besetzt, die die Bevölkerung hieher geschafft hat, um mehr Raum zum Leben zu finden. Auch findet sie, wohl zurecht, hier außerhalb der „Wohnzone“ sei das Wegschaffen der Trümmertonnen wohl Sache der Staaten mit ihren großen Maschinen. Hinter den hohen Mauern einstiger Industriezonen entstehen immer besser organisierte, gigantische Zeltlager, die wilden, improvisiert gewucherten sind allmählich verschwunden. Und gar draußen in den Regionen der ehemaligen Vororte sind zunehmend wohlgeordnete, fast militärisch organisierte und saubere Zeltstädte entstanden.
So wie wir es schon beim Camp Wyclef Jean gehört haben, tragen die Camps alle wohl klingende Namen. Sie sind aufgeräumt und blitzsauber, und machen mit ihren Straßen und Spazierwegen einen wohlgeordneten, städtischen Eindruck. Anstelle der verschwundenen Provinzhauptstadt Léogâne hunderte riesiger, sauberer Zeltlager, die fast zum Verweilen und Spazieren einladen. In Léogâne selbst muss man allerdinge nichts mehr suchen, was dort in ferner Zukunft einmal entstehen wird, wissen wohl nur wenige Auserwählte. Im Moment ist die frühere Naturlandschaft rundum verschwunden, und Zeltstädte mit einem individuellen Stadtbild beweisen, dass da tüchtige Leute am Werk waren, die sich einiges gedacht haben. Jedenfalls musste ich eine Überraschung nach der andern erleben, und meine einheimischen Begleiter begriffen gar nicht, was da überhaupt vorging. Sie werden das mal in einigen Jahren verstehen lernen.
Und die vielen Meckerer und Medien, die nichts als von Chaoten und Spendenklauern berichtet haben, müssten jetzt endlich mal auf die Welt kommen. Aber das kommen sie auch nicht, denn die erkennen weder, wie das einmal war, noch was die großen Planer überhaupt vorgesehen haben und was ihnen schon gelungen ist. Mir ist klar, dass die großen inneren Verschiebungen unseres Planeten immer noch anhalten, und alles scheint mir sehr geschickt als ein langandauerndes Provisorium geplant. So dass man auf diese Weise und im Notfall jahrzehntelang und in Sicherheit weiterleben könnte, aber auch so dass in jedem Ernstfall sofort reagiert werden kann und mit Sicherheit nicht mehr tausende von Menschen sterben müssen.
Ich war sehr erstaunt, dass in Haiti, das sich die Insel Hispaniola mit der Dominikanischen Republik teilt, ganze Dörfer und Städte aus Holzhäusern schon aufgebaut sind, andere sind eben im Bau- aber davon werde ich im zweiten Teil meines Berichtes schreiben.
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