Chile: Geburtstag am 18. September► Seite 2

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Datum: 18. September 2011
Uhrzeit: 11:28 Uhr
Ressorts: Leserberichte
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Vor allem die studentische Jugend hatte die kurze Zeit der Unidad Popular Regierung Allendes mit großer Sympathie verfolgt. Dem Entsetzen über ihr gewaltsames Ende folgte eine groß angelegte und politisch wirksame Solidaritätsbewegung. Die DDR tat sich als eines der eifrigsten Exil-Länder der Welt hervor, in der Hunderte verfolgter Chilenen nicht nur Aufnahme, sondern auch alle Bedingungen für die Fortsetzung ihrer politischen Aktivitäten fanden. Zu ihnen gehörte auch Rodrigo, der auf wundersame Weise den Militärs entkommen war und im September 1974 in Barbaras Leben trat.

Mit einem Strauß Blumen, an denen noch die Wurzeln hingen, weil sie der verliebte Chilene im Dunkeln aus einer Parkanlage geklaut hatte. An ihrem Geburtstag und seinem Nationalfeiertag, dem 18. September. Am nächsten 18. September war Rodrigo bereits ihr Mann, aber die Cueca musste er mit einer anderen tanzen, denn sie erwarteten bald ihr erstes Kind. Es folgten Jahre eines jungen Glücks zwischen den Kulturen, in denen noch ein zweites Kind geboren wurde, allerdings nicht im September.

Aber für Beate war nun ihr Geburtstag ein Nationalfeiertag mit Cueca, Empanadas und Rotwein, wenn auch keinem chilenischen. Aber nach Jahren zerbrach das Glück, zerrieben im Alltag und von der Politik. An einem Tag im September, Barbara weiß nicht mehr an welchem, entschied sich Rodrigo gegen den Schutz des Exils in der DDR und für das Risiko der Illegalität in seiner Heimat. Und gegen seine Familie. Im September 1988 leiteten Massendemonstrationen die Rückkehr Chiles zur Demokratie ein, die Liebe war in den vielen Septembern dazwischen endgültig verloren gegangen. Erst vor einem Jahr, nach fast einem Vierteljahrhundert, sahen sie sich wieder. Im September hielt Rodrigo seine Enkeltochter im Arm, aber längst nicht mehr seine Frau.

Heute ist Barbaras Geburtstag. Die Einladung zu einer ‚Fiesta Nacional Chilena‘ hat sie ausgeschlagen. Es tut immer noch weh und wird vielleicht ewig weh tun. Rodrigo, der an einer Universität in Chiles Hauptstadt Santiago lehrt, geht heute mit seinen Studenten auf die Straße. Fiesta Nacional des zivilen Ungehorsams. Es ist September in Chile, und seit Wochen halten die Aktionen der chilenischen Studenten das Land in Atem und ermutigen die Jugend anderswo, sich für mehr Demokratie, Gerechtigkeit und bessere Bildungschancen zu engagieren.

Am 4. September wurden endlich die sterblichen Überreste Salvador Allendes würdig bestattet. In Chile hat ein neuer Frühling begonnen. Barbara nimmt die traditionellen Empanadas, Pasteten mit Käse und Fleisch, aus dem Backofen. Sie öffnet eine Flasche chilenischen Weins und versucht ein paar Cueca-Schritte. Aber die gelingen schlechter als die Pasteten. Rodrigo hat eine Glückwunsch-Mail geschickt, und gleich werden die Kinder kommen.

Es ist der 18. September, Barbaras Geburtstag und Chiles Nationalfeiertag.

 

Gabriele Wojtiniak
freie Journalistin

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