Zugrundeliegendes schrieb ich am 1. November 2009, 2 Monate VOR dem Weltuntergang. Weltuntergang für hunderttausende. Millionen von Häusern stürzten zusammen – auch meines. Trotz dicker, teils doppelter Betonmauern. Ich weinte und zitterte auch, aber ich lebte (Dr. Arthur Brühlmeier schrieb im Geleitwort zu VON DER LESERATTE ZUM ERLEBNISDRACHEN „Ein einziges Mal habe ich ihn weinen sehen. … Doch nicht ihm und all den Schätzen galten seine Tränen. Nein, er weinte, als er von den Kindern erzählte, die verzweifelt nach ihren Müttern und Vätern suchten.“). Ich wusste: jetzt hilft nur noch Schmunzeln. Und ich schrieb zum Schmunzeln, gegen das Weinen. Und laviere zwischen Ehrfurcht und Respekt vor anderen Religionen und Denke und der eingetrichterten Alleswisserei.
Wieder ist der 1. November, der Tag der Toten, ausgelassen und lustig bei den Amerikanern, feierlich in sich gekehrt drüben in Eurolanden, lärmig-klamaukig hier, wobei niemand weiss, was sich hinter dem Spektakel verbirgt. Unter Verwendung älterer Pamphlete und wie immer unter Schmunzeln sei mir ein längerer Artikel erlaubt. Besonders, da im Übersee-Museum Bremen gerade die Ausstellung „Kunst und Kult aus Haïti“ mit „vaudouisanistischen“ Kultstätten und Artefakten, Göttern, Geistern und Geheimgesellschaften präsentiert wird – wär doch ein Grund zu einem Besuch in Bremen?
Natürlich auch, weil mein Buch „ALMA ZOMBIE“ erschienen ist und genau dazu passt. Für 12.90€ bietet es ergänzende Informationen, sodass ich rechtzeitig vor einem Ausstellungsbesuch dessen Kauf empfehle, damit auch noch Zeit zum Lesen bleibt. Der Buchdeckel, der oben nochmals abgebildet ist, zeigt gerade die Strassenmalerei eines Opferaltars von Baron Samedi, wie er am 1.November im ganzen Land von den Vaudouisants verwendet wird.
Es erscheinen zur Zeit auch Arbeiten in der deutschen und Schweizer Presse, so in www.lesefutter.ch. Baron Samedi ist nicht nur der Boss aller Götter, sondern der prominenteste Spitzbube in Haïti, ein schlüpfriger Sprücheklopfer, Zigarrenraucher und Rhumtrinker. Er ist zwar unsichtbar, wird aber auf gemalten Bildern als schwarz gekleideter Mann mit Zylinder, Spazierstock und weissem Bart oder als Skelett dargestellt. Er fehlt auch auf keiner Vévé-Darstellung. Vévé sind magische Streubilder aus allerhand Pulvern, von denen gelber Mais, weisser Zucker und schwarzer Kaffee die harmlosesten sind. Jeder Gott hat sein eigenes Vévé, das genauestens stimmen muss. Im Gegensatz zu gemalten Bildern, würde man mit einer künstlerischen Abzeichung den Zorn der Götter heraufbeschwören.
Baron Samedi ist der absolute Herrscher über alle Friedhöfe. Der dunkle Totenboss ist verheiratet mit der Göttin Maman Brigitte. Ihm gehört der Erstbegrabene jeder Nekropole. Seine normale Rolle ist es, die Seelen der Verstorbenen vom Grab in die Unterwelt zu begleiten. Er entscheidet über Krankheit und Gesundheit, über Leben und Tod.
Einmal im Jahr, am 31.Oktober, kommen die Gläubigen schon nach Sonnenuntergang auf den Friedhof und wecken ihn mit lautstarkem Getöse durch aufeinandergeschlagene Steine, Pfannendeckel, oder sie schlagen dreimal mit der stumpfen Seite einer Machete gegen ein Grabkreuz aus Stein. Wenn er ihnen, aufgeschreckt durch den Radau, erscheint, wenden sich die Frauen inständig an ihn mit ihren Bitten. Sie versprechen, sollte ihre Bitte erhört werden, später mit Kupfermünzen, Speisen und Genussmitteln als Opfergaben zurückzukehren. Sie werfen ihm Akazienblätter zu und skandieren „Dormi pa`fumé, Baron Samedi !“ was soviel wie „Schlafe in Wohlduft“ bedeutet.
Niemals darf ein Grab ohne seine Einwilligung geöffnet werden. Erlaubnis auf Bitten gibt er auf mystische Weise, das heisst sein Einverständnis wird von den Bittstellern subjektiv und intrinsisch interpretiert. Exhumierte Leichenteile dürfen jetzt für schwarzmagische Zwecke verwendet werden. Darauf begibt sich der Totenherrscher wieder für ein Jahr zurück in die Erde.
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