Eine besondere Friedhofgruft ist dem Gott Ghede gewidmet. Hier beten seine Gläubigen und feiern die Kulte. Weil er Herr über Tod, Leben und Fruchtbarkeit ist, findet man hier die Werkzeuge der Totengräber und das riesige Abbild eines Phallus. Ghede ist der Mitarbeiter Baron Samedis. Ähnlich seinem Chef malt man ihn als großen Mann mit schwarzem Zylinder, langem schwarzem Frack und dunkler Sonnenbrille. Er steht an der Kreuzung zur Ewigkeit, die die Seelen auf ihrem Weg in die Unterwelt passieren müssen, und sammelt hier seine Informationen. Er erweckt Tote und belebt Zombies, vor kurzem zu Grabe getragene Leichen, die von Zauberern gestohlen und zu neuen Sklaven gemacht wurden.
Seine Besucher haben ihre Gesichter mit Kalk geweisselt, wie aschfahle Masken des Todes. Bei manchen sind die Nasenlöcher mit Baumwolle zugestopft, wie es beim Präparieren eines Leichnams üblich ist, und sind in Purpur gekleidet. Ein mit Flecken bemalter Totenschädel ohne Unterkiefer grinst vom Giebel eines Mausoleums herunter, wie wenn er das Treiben da unten verlachen würde – aber da ist nur Schmunzeln erlaubt …
Die Grenze zwischen Leben und Tod ist im Vaudou verwischt. Vaudou ist nicht nur Religion, sondern Philosophie und Psychologie, Magie und Lebensstil. Houngans und Mambos sind Meister in all diesen Dingen, sie verfügen auch über ein ungeheures Repertoire von homöopathischen, pharmakologischen und chemischen Kenntnissen. So gewinnen sie aus Kugelfischen Tetrodotoxin und aus etwas anderem Atropin, gehen damit um, wissen Capsicum und Capsaicin einzusetzen, können heilen und vergiften, angeblich auch auf die Ferne. Sie gehen mit Hypnose und Ekstase um und erzeugen Besessenheit oder Abhängigkeit nach Wunsch. Auch sie sind mit ihrem Wissen über Blüten und Wurzeln, Gräser und Pulver Herren über Leben und Tod. Wie Baron Samedi und Ghede.
Haïti ist ein vorsintflutliches Zauberland geblieben. Von weitem erkennt man die Peristyle, wie die Kulthallen der Vaudou-Zauberer genannt werden. In diesen mit Schädeln und anderem Schreckenszeug dekorierten Opferstätten dominieren die weiblichen Priesterinnen, die Mambos, mit ihren Ghede-Zeremonien. Die Feiern in den Friedhöfen, besonders um Mitternacht, sind eher Sache der Houngans, also der männlichen Priester. Der Ritus im Totenacker richtet sich an Baron Samedi, den höchsten in der Götter-Hierarchie.
Nach Überzeugung richtiger Haïtianer sind Zombies eine Realität. die nicht mit wissenschaftlichen Mitteln erklärbar ist. Sogar die Sicherheitskräfte des Zentralfriedhofs in Port-au-Prince sind überzeugt dass sie hie und da Zombies beobachten können, so eins oder zwei alle paar Wochen. Man müsse sie aus einer Deckung beobachten; es sei wichtig, unentdeckt zu bleiben. Es seien schliesslich Menschen mit einem sehr schlechten Herzen gewesen, die von ihren Familien zu Zombies verwandelt wurden. Noch niemand ist einem echten Zombie von nahem begegnet und kann sagen, was dann passiert wäre.
Es scheint makaber, den Tod mit Rhum, Gelächter und Spiel zu feiern, besonders in Haïti, wo er so nah und vielfältig ist. Und doch gibt der Totentag im Herbst den Haïtianern Gelegenheit, wenigstens einmal im Jahr dem traurigen Alltag von Hunger und Elend zu entfliehen, einzutauchen in die spirituelle und magische Welt und zu fühlen, dass man trotz allem noch lebt.
Jede Religion, eine polytheistische wie Vaudou oder auch jede monotheistische, enthält als „Geschenk des Glaubens“ unerklärliche Elemente von Magie und Aberglauben. Für die Gläubigen werden sie Wirklichkeit und können helfen. Die Gemeinsamkeit aller Religionen ist, dass sie die Menschen konfrontieren mit Fragen der Herkunft und Entstehung, der Ewigkeit, des Geschehens nach dem Tod, dem Grund und Zweck unseres Lebens. Religion kann denen helfen, die eine haben, ganz gleich welche, kann Mut, Trost und Lebenskraft geben. In gewissen Situationen sogar vor dem Tod retten.
Ich schreibe zum Schmunzeln, gegen tierischen Ernst und tödliches Weinen, und zuweilen gerate ich in Verdacht, etwas von Zauber und Zombies zu verstehen. Besonders nach dem Titel meines Buches, ALMA ZOMBI. So haben mich Menschen aus einem anderen Erdteil, einer andern Kultur und einer anderen Denke angefragt, was Zombies überhaupt essen. Das könnte nur Lichtnahrung sein, und meine Lesereisen führten im Internet, nach Australien zu Ellen Greve alias Jasmuheen, und in die Tiefen der Wikipedia-Gefilde, ich habe jedenfalls viel gelernt. Doch lies dort selbst. Schreiben ist spannend. Ich „Zombie-Spezialist“ antwortete, ausschliessen könne man nichts, was man nicht kenne. Stimmt doch, oder?
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