Die Menschen in den „Entwicklungsländern“ sind wie Kinder. Sie haben noch keine Beziehung zu Raum, Zeit, Geld und ähnlichen Werten. Sie müssen die Werte der Welt zuerst kennen lernen, sie können noch nicht schätzen. Es beginnt bei den einfachen Werten: wie weit und wie spät ist es, und was kostet das?
Das habe ich schon in meiner Afrika-Zeit erlebt, jeden Tag. Ein Lokalführer in Südmarokko mochte behaupten, nach der Grenze gehe es durch Mauretanien, das hatte er vielleicht noch gehört, oder aus meiner ungeschickten Frageformulierung entnommen. Das geschickte Fragen musste gelernt werden, das Gegenteil konnte herauskommen. Ich habe das spielerisch provoziert. Es sei durchgängig eine asphaltierte Strasse, man sei in wenigen Stunden in der mauretanischen Hauptstadt. In Wahrheit konnte man das über die kaum befahrbare Piste nur in mehrtägiger Fahrt mit Spezialfahrzeugen leisten. Die Fantasieantworten gaben alles her, was sich die Frager wünschten.
Auch mit der Zeit muss man sehr vorsichtig sein. Als ich vor 20 Jahren Haïti beschnupperte, kamen mir meine Afrika-Erfahrungen zustatten. Eine Uhr hatte niemand, und wenn doch, vielleicht als Geschenk eines Touristen, so kannte er die Zeit nicht, oder ihre Konsequenzen. Man brauchte auch keine Zeit, ausser auf dem Flughafen. Dort sass ich mit Vorliebe im offenen Erststock-Restaurant und schaute auf das verrückte Treiben in der Airporthalle hinab. Da liessen sich jedesmal Dutzende schreiender Menschen beobachten, die ihr Flugzeug verpasst hatten, wohl zum Familienbesuch in Amerika. An der Strasse war das einfacher. Fahrplantransporte gab es nicht, man wartete einfach am Strassenrand, bis etwas kam und einen mitnahm.
Beim Geld ist das ähnlich. In Afrika hatte man einem Bergführer oder Träger gewöhnlich ein Paar Schuhe oder sonst etwas Brauchbares hinterlassen. Aber die waren nie zufrieden, mindestens ein Haus wurde als Geschenk gefordert. Der Wert des Geldes war so unbekannt wie bei den Klickmillionären in Amerika, oder den Politikern auch anderswo, die einfach Papiergeld drucken bis sie den Strom für den Betrieb der Druckerpressen oder die Reparatur der heissgelaufenen Maschinen nicht mehr bezahlen können.
Wen wundert es da, dass die Knirpse gleich 100 Dollars erbetteln und die Präsidenten Milliarden, sie haben die anfänglich sogar erhalten. Und sicher verschwendet, aber nein, gestohlen haben sie nicht (wenigstens die meisten). Es fehlt ihnen an einer Beziehung zu Sachwerten, sie haben das nie gelernt. Und das Weltgesicht hat alles eifrig mitgemacht im Glauben, sie täten etwas Gutes. Nun müssen die Knirpse lernen, wieder mit Gourdes zu spielen. Und dann gleich noch, dass auch Gourdes nicht zum Spielen sind. Etwas viel aufs Mal, wenn selbst die Erwachsenen das Spiel vormachen.
So lernen die Knirpse in Lakoumango mit Schätzübungen Masse und Gewichte kennen und wie man sie misst, denn Raum, Zeit, Geld sind messbar (Richtergrade und Becquerels mögen noch warten). Zum Messen braucht es Masse, Einheiten, die zum Messen verwendet werden. Dasselbe Wort bezeichnet aber auch ein Gegenteil, eine große, räumlich zusammenhängende Menge von Menschen, die ansteckt und wie ein Magnet immer weitere Einzelmenschen in ihren Bann zieht. Dagegen gilt es sich zu wehren.
Auch andere nicht messbare Grundwerte sind wichtig, dass man nicht lügt und stiehlt, dass man die Uhr kennt und pünktlich ist. dass man „Guten Tag“ und „Auf Wiedersehen“ sagt, und was sich sonst auch noch gehört,
Und dann die Scheinwerte. Etwas zu scheinen was man nicht ist. Vor allem reich zu sein, sich von den Normalen, Armen abzuheben. Einen Protzgeländewagen zu lenken, möglichst mit Klimaanlage und schwarzen Scheiben, das schürt die Begehrlichkeit. Da ist ein grösserer Einsatz der kriselnden Autoindustrie eben recht, um höhere Verkaufszahlen herzugaukeln. Eine ganze Armee mit einer Automarke ausrüsten, In einer derart bedrohlichen Wirtschaftslage. Da sind alle Mittel recht, die die Weltwirtschaft retten helfen. Denn gut ist, was der Wirtschaft hilft.
lieben Gruß
Antje