Haiti: Sprache braucht Hardware, Software und Geist► Seite 2

Datum: 17. Januar 2012
Uhrzeit: 12:07 Uhr
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Autor: Otto Hegnauer
Sprachkurs Spanisch (Südamerika)

Jetzt noch etwas zu nichttierischen Stimmen, die auch zu „Sprache“ werden. Nach den Stimmen der Nacht folgen die Freuden des Tages, auch die können zu Sprache werden, mit ihren Freudenkapriolen und Gesängen. Unter „Sprache“ verstehen wir nämlich sowohl Sprache zum Hören, wie auch geschriebene und andere Sprachen.

Zu den Stimmen der Nacht passt so herrlich der Nachtwächter, der mit seinem Megaphon morgens um 03.45 Uhr im Quartier Lakou-Mango umherspaziert und seine aufwühlenden, urafrikanischen Weisen oder Soldatenlieder aus alter Zeit in die Nacht hinaussingt und die Dörfler zum Aufstehen, zum Beten und zur Arbeit ermahnt. Ein alter Volksbrauch im Auftrag der kleinen Kirche unten in Lakou-Mango. Vielleicht anstelle der Kirchenlocken, die es bei uns in der Schweiz auch noch gibt.

Sprache ist nicht nur für die Ohren, Sprache gibt es auch für die Augen, und vielleicht sogar für alle Sinne. Zum Beispiel beim Kaminfeuergespräch gehört auch die Nase dazu. Und Sprache gibt es auch für die Gefühle. Wenn die Piraten einen Kopf abschlagen und an den Bugbaum des Seglers stecken, erzeugt das Schrecken. Das ist auch Sprache. Keinen Geist oder Mitteilungswert kann ich beim Schnattern der Gänse ausmachen. Und doch kommt mir das Palaver der Menschen da unten vor dem Haus verblüffend ähnlich vor. Vielleicht heisst hier die Mitteilung einfach „ich bin da, ich lebe“, vielleicht sogar „ich bin glücklich“. Wie bei allem Vogelgesang. Die Menschen hier die singen ja auch, fast den ganzen Tag, und sie schwabbeln und tanzen. Heisst doch nochmals das gleiche. Was braucht es denn mehr?

Musik überhaupt, ist zwar eine ganz andere Sprache, aber vielleicht ursprünglich dasselbe. In den Alpen Jodel, Alpsegen, Naturtöne aus Hörnern, hier doch auch, Hörner und Muscheln, und überall. Kriegerische Signale, Fanfaren, Zeichen zum Besammeln, zu Angriff oder Rückzug, ursprüngliche Magie veredelt zu Musik, der Geist kam dazu. Auch Vèvè, Kreuze, geometrische Formen, aber magische Bedeutung. Erste Fels- und Ritzzeichnungen, Beschiessung und Tötung der Ersatz-Jagdbeute, Beschwörung und Schutz vor reissenden Feinden, erste Töpferskulpturen dasselbe. Felsskulpturen der Ur-Indianer nochmals. Vielleicht sogar auch die reichbemalten Transportmittel in Haïti, die Taptaps (Sammeltaxis), Busse, Camions und Einbau-Kanus. Nur noch ein winziges Schrittchen zu den Kunstwerken, die in den Industrieländern Höchstpreise erzielen.

In den Alpen wälzen sich die kapitalen Platzhirsche, die Herren der Szene, im Schlammbad und färben sich schwarz, vielleicht um ihren Platzanspruch zu unterstreichen, sich unheimlich und unnahbar zu machen. Fast wie junge Krieger, die „Morane“ in Afrika und wohl füher hier auch, die sich mit Schreckfarben bemalen, oft auch weiss gestreift, man müsste doch sagen „Menschenmimikry“. Und die jungen Mädchen, die sich vom Scheitel bis zur Sohle bemalen, beflecken und beflechten, um jünger und begehrenswerter zu scheinen.

A propos Mystik und Magie, sind die so abwegig, wenn doch jeder moderne Arzt, auch in Industrielanden, um die Wirksamkeit von Placebo weiss und damit arbeitet? Glaube braucht es nicht nur für die Religion, die Mystik und Magie, zum Fröhlich und Glücklich sein, resistenter gegen Krebs und wohl alle Krankheiten und überhaupt leben zu können.

Glauben kann sogar zu Technik, Technik zu Glaube werden. Früher habe ich einmal von der Spiegelsprache der Chinesen gelesen, bei den Pfadern hat man seinerzeit die Sprache von Morse geübt. Wenn Software und Hardware stimmen, erreichen die Signale den Rezipienten und lösen was aus. Vielleicht Freude, eine Reaktion. Es gibt Moderneres als Spiegel und Morse, zum Beispiel das Internet. Das soll keine Schienen haben. Und doch sind die Kanäle wie Schienen, die führen irgendwohin , zum Ziel oder daran vorbei, oder zu überhaupt nichts. Denn linkische Links die führen ins Leere. Geister finden den Weg auch ohne Internet.

Soeben haben mir die lieben Einheimischen den Stecker ausgezogen und das Modem wegtransportiert. Zum Provider, der es nach ihrer Meinung reparieren müsse. Denn es funzte viiiiel zu langsam. Aber die Geschwindigkeit müssen die unten einstellen, an einem Computer. Sie haben den Knopf „gordisch“ gelöst …

Und meine Impression zum Schluss: Linkisch die Links, gordisch die Knoten, babylonisch das Geschnatter. Auf bald, und macht’s gut!

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Die exklusive Haiti-Kolumne im latina press Nachrichtenportal von Otto ‚Swissfot‘ Hegnauer. Der ehemalige Lehrer lebt seit mehreren Jahrzehnten auf Haiti und berichtet exklusiv von seinem täglichen Leben auf der Insel Hispaniola.

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