Es geschah vor drei Jahren. Ich schreibe seither Bücher für die Strassenkinder. Mein zweites Buch war: „Von der Leseratte zum Erlebnisdrachen“; meine Autobiografie. Mein Freund Dr. Arthur Brühlmeier, Psychologe und ebenfalls Autor, schrieb mir das Vorwort. „Ein einziges Mal habe ich ihn weinen sehen, ihn, Otto Hegnauer, meinen Freund aus unseren Jugend- und frühen Mannesjahren. Es war im Juni 2010: Wir, seine Klassenkameraden aus der Zeit der Lehrerausbildung im Seminar Wettingen , zumeist begleitet von unseren Gattinnen, liessen uns von ihm erzählen, wie er das schreckliche Erdbeben vom 12. Januar 2010 erlebte. Sein einzigartiges, grosszügig und eigenwillig konzipiertes Haus war zu einem Haufen Schutt geworden und hatte auch sein Hab und Gut und all die Erinnerungs-Schätze seines ungewöhnlichen Lebens unter sich begraben. Doch nicht ihm und all den Schätzen galten seine Tränen. Nein, er weinte, als er von den Kindern erzählte, die verzweifelt nach ihren Müttern und Vätern suchten. Und wir spürten: Dieses Erdbeben hat auch ihn, hat auch seine Seele zutiefst erschüttert und Züge seines Wesens freigelegt, die bislang bloss schlummerten.“
Und eine Weile nach dem Schreckensereignis, vielleicht ein Monat nachher, suchten die Kinder immer noch nach ihren Eltern, Brüdern und Schwestern, und meist vergeblich. Viele Menschen sind nach Haïti gezogen, um den Kindern das Weinen zu nehmen, das Lachen wieder zubringen, wenigstens ein bisschen. Das ist doch ein wichtiges Erfordernis, trotz allem wieder lachen zu können. Die Menschen hier können aber nur noch weinen und beten. Das wird noch jahrelang so bleiben.
Im „Amitié“ in Cayes-Jacmel da geht der mehlfeine Küstensand bis an die Zimmertüren, und man kann direkt aus dem Bett barfuss seine Badetour beginnen. Wir hatten allerdings anderes zu tun. Und die Gäste, normalerweise Touristen, jetzt aber Weisse die alle Sprachen sprachen und mit uns zusammen gerade das kleine Hotel füllten. Die waren gekommen, um zu arbeiten. Um den Waisen hier das Lachen wieder zu bringen.
Schon in der Prinzen-, die jetzt zur Trümmerstadt geworden war, hatten wir ein ähnliches Projekt gesehen, von der Heilsarmee organisiert. Wie schade, dass man für so gute Projekte eine Armee braucht. Die arbeiten schon lange hier und führen Schulen, lehren die Kinder wie wir lesen und schreiben, lesen die Kokorat von der Strasse auf und kümmern sich um sie – sonst tut das ja (fast) niemand. Seit dem Desaster kümmern sie sich um die Waisen, für die sie Spezialistinnen kommen liessen: zum Zeichnen und Malen ihrer Welt, an der sie auch ein klein wenig herumtrimmen. Hut ab, auch wenn ich über militärische Hutsitten nicht mehr sehr Bescheid weiss.
Eigentlich mache ich ja dasselbe wie die Heilsarmee. Ich versuche das Weinen vergessen und etwas schmunzeln zu machen, ewig weinen ist ungesund. Und zudem ist das schwierig, auch damals in der Ausbildung habe ich mich vorwiegend mit Gemütern und Gefühlen befasst und versucht, die wenn nötig zu verändern. Auch da arbeitete ich mit richtigen Obersten aus ausländischen Armeen zusammen, natürlich nicht militärisch, sondern eher methodisch gemeint, man arbeitete an gemeinsamen, schwierigen Problemen. Es ist paradox, die „affektiven Probleme“ lassen sich eigentlich ganz ohne Armeen lösen, aber WIE man solche Ziele erreicht, das tüftelt man besser gemeinsam heraus! Das Erreichen „kognitiver Ziele“ ist da viel leichter, man muss einfach lernen bis es nicht mehr geht, aber das geht Tag und Nacht.
Aber wir waren ja im bezaubernden Mini-Hotel Amitié in Cayes Jacmel. Eine Gruppe von zusammengewürfelten Schauspielern, Clowns, Künstlern, Originalen und Gutmenschen hatte sich zusammengefunden und war einige Wochen lang auf selbstfinanzierter Tour durch das erdbebengeschädigte Haïti. Ihr Ziel war ebenfalls dasselbe, den Waisen und Kindern das Lächeln wieder zu bringen. Auch sie sprachen alle Sprachen, ausschliesslich Fremdsprachen. Aber im Gegensatz zu mir war ihre Zielgruppe nicht deutschsprachig, sondern sie wurden von allen verstanden. Auf dem Sandstrand organisierten sie Ballspiele und führten Akrobatik- und Kunststücke vor, und bald hatten alle Kinder aufblasbare knallrote Gumminasen, riesige Lappenschuhe oder wurstartige Dinge auf den Köpfen, und die aufblasbaren Scherzartikel wurden verteilt und brachten es wirklich fertig, die Allerärmsten wieder zum Lächeln zu bringen.
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