Heute wird das Land spöttisch „Republik der NGOs“ genannt. Die Weltbank tituliert es „Friedhof der Hilfsprojekte“. Aber „Die Situation ist nicht hoffnungslos“, liest man von Kulturkoryphäen, drei Jahre nach der Katastrophe. Die grosse, haïtianische Kulturpreisträgerin Kettly Mars schreibt zu Recht, und das ist ganz meine Meinung: „Es wird mir immer klarer, dass wir selbst aktiv werden müssen. Wir müssen irgendwie helfen, denn es ist an uns, etwas für das Land zu tun, das wir unseren Kindern und Enkelkindern hinterlassen werden.“
„Der Wiederaufbau läuft nach wie vor schleppend, die Zahlungsmoral der Staatengemeinschaft ist katastrophal. Von den im März 2010 zugesicherten 9,8 Mrd USD davon 5,37 Mrd in den ersten drei Jahren, sind bis heute erst 3.01 Mrd Euro bezahlt worden.“ Vermutlich vorwiegend zum Füllen der Lohntüten nach europäischem Muster. Die Denke, auch die hätten sich anzupassen, ist nicht modisch, denn dann käme niemand mehr.
Nach grossen Katastrophen herrscht stets viel Aktionismus, dann drohen die Zusagen im Tagesgeschäft der Politik unterzugehen. 1,5 Mio wurden obdachlos, 0.4 sind es noch heute. In den Lagern herrschen katastrophale hygienische Zustände, Fachkräfte fehlen, Erfahrung fehlt. Die Menschen können nicht ewig in den Zelten wohnen, und so entstehen wieder Häuser wie vorher.
Was ich beifügen muss, Ausbildung in Ehren. Aber oft hab ich den Eindruck, niemand kenne die wirklichen Probleme so wenig wie die hergelaufenen „ausgebildeten“ Rückkehrer aus der Diaspora. Ihr Schulwissen geht weit daneben, oft sprechen sie nicht einmal die einheimische Sprache, die Sprache der wirklich Auszubildenden schon gar nicht. Und von der Kultur kennen sie nur, was den eigenen Marktwert erhöht, und was in den USA (und andernorts) für Millionenbeträge gehandelt wird. Und auch das ist nicht immer das Beste. Und mit Sicherheit bleiben die „echten“ Haïtianer ohne bezahlte Arbeit und weiterhin mausarm.
10 Schulen werden in x Jahren für 4.000 Kinder fertig sein, tausende braucht es. Wir haben mit Einheimischen, Gratis-Lehrern und Frondienstlern aus dem Nichts die ESMONO geschaffen. Politiker meinten, das sei nicht im Sinne der Planung, wir preschen vor. Sicherlich sind die Löhne „nicht im Sinne der Planung“. Wir haben jedoch 100 Kinder von Strasse und Verbrechen weggenommen, und ungezählte weitere möchten auch kommen aber haben nicht Platz. Denn Schulen sind ein Grundstein, um dem Land zu einer besseren Zukunft zu verhelfen. Und was man in der Schule lernt, kann man wiederum nur für die eigene beschliessen.
Die Haïtis müssen ihr Land selber führen. Ausländische Hilfswerke sollten noch viel mehr Selbsthilfegruppen unterstützen, von denen es unzählige schon gibt. Wir sind auch eine solche, erhalten nur Unterstützung von privaten Freunden aus der Schweiz und aus Haïti. In Selbsthilfegruppen lernen die Menschen zu leben und sich zu entwickeln, sich politisch zu engagieren, soziale und Gesundheitsprobleme zu lösen, kleine Geschäfte zu eröffnen, sich zu finanzieren, Kenntnisse und Erfahrungen auszutauschen. Man kann ihnen auch sagen Erfa-Gruppen, Interessengruppen, Diskussionsgruppen, oder eben „Selbsthilfegruppsn“. Die fressen nicht Milliarden, aber da entsteht Synergie. Und 1+1 werden plötzlich mehr als 2.
In den Blättern und Berichten schreit alles nach „Zivilgesellschaft“, die würde und könnte die Lösung bringen. Hatten wir doch schon einmal, man hätte das traditionelle Haïti nur nicht abwürgen sollen. Mit dem Lakou-System und den „Corvées“ (Frondienst-Gruppen, die zum Hausbau, Ackerbau, Pistenbau, Wasserbau, Katastrophenschutz und für andere Gemeinschaftsdienste eingesetzt wurden) gab es seit Jahrhunderten (heisst vorher schon in Afrika) schon so etwas wie eine „Zivilgesellschaft“! Modernisierung inkl. Regierung und Internationale Organisationen (unter anderem) haben sie kaputt gemacht. Das „Problem Haïti“ ist teilweise gerade durch (falsche) Ausbildung und Verkopfung entstanden. Die Lösung ist einfach: Wenn das Wunder gelingt, das Rad zurückzudrehen, wären „alle“ Probleme gelöst.
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