Vor der Präsidentenwahl in Venezuela am kommenden Sonntag (14. April) ruft Reporter ohne Grenzen die Kandidaten auf, den Wechsel an der Staatsspitze für einen Neuanfang in den Beziehungen zwischen Politik und Medien zu nutzen. Die Übergangssituation nach dem Tod des langjährigen Staatschefs Hugo Chávez bietet die Chance, eingefahrene Muster zu überwinden und zu einem sachlichen Umgang mit den Medien zu finden. „Venezuela muss endlich die Polarisierung und Feindseligkeit überwinden, die das Klima seiner Medien seit Jahren vergiften“, forderte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr in Berlin.
Venezuelas Verfassung von 1999 garantiert zwar auf dem Papier das Recht auf „körperliche, psychische und moralische Unversehrtheit“. Doch in der Praxis werden Journalisten, Kolumnisten und Blogger gerade in Wahlkampfzeiten immer wieder bedroht oder diffamiert, weil man ihre Medien dem einen oder anderen politischen Lager zuordnet. Im aktuellen Wahlkampf haben nicht nur Regierungskritiker über eine Hass- und Beleidigungskampagne in sozialen Netzwerken geklagt, auch Journalisten staatlicher Medien sahen sich ähnlichen Angriffen ausgesetzt. Durch diese Polarisierung hat sich die Sicherheitslage für Journalisten erheblich verschlechtert. ROG fordert deshalb, Medien und Internetportale nicht länger für einseitige politische Stimmungsmache zu instrumentalisieren und Verstöße gegen die Meinungs- und Pressefreiheit vor und während der Wahl juristisch zu verfolgen.
Besonders reformbedürftig ist in Venezuela die Praxis der sogenannten cadenas – Regierungsverlautbarungen, zu deren kurzfristiger Ausstrahlung in voller Länge alle Rundfunksender verpflichtet sind. Unter Hugo Chávez wurden sie tausendfach für ausufernde Reden des Präsidenten missbraucht, was auf eine Art von Zensur hinausläuft. Häufigkeit und Länge der cadenas müssen streng reguliert werden; in ihrer jetzigen Form sollte allenfalls der wichtigste staatliche Fernsehsender Venezolana de Televisión (VTV) verpflichtet sein, sie auszustrahlen.
Darüber hinaus müssen die unangemessenen und unfair angewandten Mediengesetze grundlegend reformiert werden. Das gilt vor allem für das 2004 beschlossene und 2010 auf das Internet ausgeweitete Gesetz über die Verantwortung in Hörfunk und Fernsehen („Ley Resorte“): Es macht Medien und Betreiber von Internetportalen auch für die Verbreitung fremder Inhalte wie Leserbriefe und Kommentare haftbar, die „zu Hass anstiften“, „Unruhe in der Bevölkerung verbreiten“ oder „Amtsträger herausfordern“. Mit solchen weit auslegbaren Kriterien begünstigt es Zensur und ist sehr selektiv gegen regierungskritische Medien wie den Fernsehsender Globovisión angewandt worden, der im vergangenen Juni zu einer Geldstrafe von mehr als zwei Millionen Dollar verurteilt wurde. Zudem sollten Beleidigung und Verleumdung entkriminalisiert werden, anstatt die Gefängnisstrafen für diese Vergehen zu erhöhen, wie es Venezuela 2005 getan hat.
Im Zuge einer Reform der Mediengesetzgebung muss auch die Vergabe der Rundfunklizenzen überprüft werden. In der Ära Chávez haben Dutzende lokale Radio- und Fernsehsender „aus technischen und administrativen Gründen“ ihre Lizenzen verloren; gleichzeitig trieben die Behörden den Aufbau eines staatlich kontrollierten Rundfunksystems voran. In der ersten Phase der Umstellung auf ein digitales Fernsehsignal zeichnet sich eine ähnliche Entwicklung ab: Wiederum ging unter anderem Globovisión leer aus. Ziel einer Reform muss es sein, gleichen Zugang zu Lizenzen für staatliche, private und Bürgersender zu garantieren und zugleich deren Unabhängigkeit zu gewährleisten.
Auf der ROG-Rangliste der Pressefreiheit steht Venezuela auf Platz 117 von 179 Ländern.
agência latina press verfolgt die Ereignisse rund um die Präsidentschaftswahl und wird am Sonntag (14.) mit einem Live-Ticker umfassend von der Wahl berichten.
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