In Haïti da gibt es mehrere Landschaftstypen. Die Küsten mit den feinen Sandstränden und dem sauberen Meer, das hat sich erstaunlicherweise immer noch regeneriert. Und vor den Hotels wird es täglich gereinigt, wie das Bassin im Garten Eden. Von ferne scheint es blau und kristallklar. Die Touristen schwelgen und schwärmen, fast alle sind „Helfer“ aus Schlaraffenlanden. Sie helfen mit ihrem dicken Geldbeutel, wenigstens den Hotelbesitzern, die haben ihren Job im Auland gelernt. Gaukeln den Touris ein haïtisches Fehlbild vor, sie selbst haben nur Zerrbilder.
Vor Jahren und Jahrzehnten da bin ich noch getaucht. Habe die Wunderwelt noch Auge in Auge erlebt, manchmal die zutraulichen Wunderwesen sogar betastet und gestreichelt. Vor ein paar Jahren da war es aus. Nicht wegen des Alters oder wegen der überrissenen Preise habe ich aufgegeben, es gab auch nichts mehr zu betasten und zu streicheln, und die Lebewelt wurde langweilig. Vor dem Erdbeben gab es in meinem Garten noch ein riesiges Schwimmbecken. Das war aufgeräumt und auch kristallklar, und es war so gross, dass es Schwimmen und Tauchen erlaubte. Das war wenigstens gesund und angenehm, wenn auch Tiere und Pflanzen fehlten. Mit dem Schreckensbeben war das auch vorbei.
Dann die riesige Agglomeration, wo sich die Millionen tummelten. Mit einigen Grünflächen und Kinderspielplätzen, die zur Schonung meist abgesperrt waren, die Kinder mussten auf der Strasse spielen. Die sich alsbald mit Trümmern, die Grünflächen mit Zelten füllten, und spielen liess sich nirgends mehr. Die Grossstadt füllte sich mit Benzindämpfen und Zeltlagern, von denen wurden die meisten abgerissen, die Trümmer weggeräumt. Maschinen beherrschten das Bild, und das wird noch Jahre weiterdauern. Die Bevölkerung wurde grossflächig ausgesiedelt, „dezentralisiert“ und verbannt, in die glutheissen Einöden draussen im Cul-de-Sac, dem Verbindungstal zur Dominikanischen Grenze.
Gigantische Maschinen spannen ein riesiges, kariertes Strassennetz, und neue Siedlungen von Holzhäuschen sind bunt bemalt, numeriert und buchstabiert, damit man eine Orientierungshilfe hat. Namen gibt es nicht, oder sie sind neu erfunden und jedermann unbekannt. Schatten und Arbeit gibt es auch nicht, einige neue Fabriken bieten gelernten Arbeitskräften einen Job, aber gelernte die gibt es nicht. Schatten vor allem von Bäumen bleibt ein Wunschtraum. Und die Sonne brennt heiss, über 40 Grad sind keine Seltenheit.
In der Stadt wird auf den frei gewordenen Flächen fieberhaft gewerkt. Da entstehen Fabriken für Gelernte, Wohnblöcke für Reiche, Hotels für Betuchte und moderne Konferenzsäle für Schwätzer, mit allem was dazu gehört. Allem was man nur mit gefundenen Milliarden zahlen kann. Die Produkte der Fabriken können nur die Ausländer kaufen, die Wohnungen in den Blöcken auch, Essen und Schlafen in den Hotels weissen Managern angemessen, und in den Konferenzsälen die Hilfswerke, da streitet man sich den ganzen Tag und die halbe Nacht.
Eigentlich wollen sie Wirtschaft schaffen, Arbeit für die Druckmaschinen. Denn Geld ist mit grossen Zahlen bedrucktes Papier, die man nicht mehr versteht. Und für die, die schon zu viel verdienen, denn das bringe Geld. Sagen sie. NOCH mehr Geld. Inflation und Entwertung, Teuerung, Armut, und Hunger, Verkopfung. Entherzung. Erstickungstod.
Auf dam Lande, da herrschen noch ganz andere Landschaftstypen. Wenn die einer sieht, er würde nicht glauben, dass die auch zu Haïti gehören. Und je nachdem was er zufällig gesehen hat, wird drauflos verallgemeinert. Haïti ist … Haïti kann … Haïti wird … vor allem „niemals“.
Zum Beispiel oben in Lakou-mango. Da hüpfen und singen die Kinder noch, die Frauen tanzen und klatschen, manchmal singen selbst die Männer, und die Knochen klappern um die Wette. Es singt und klingt den ganzen Tag. Frohmut ist angesagt, Lebensfreude und Lust, Hoffnung und Zuversicht. Meckerer und Unzufriedene gibt es auch hier, aber sie gehen unter in Lachen und Heiterkeit, und ich glaube manchmal, die Ärmsten hier fühlen sich sogar glücklich. Denn Glück ist ein Gefühl, wie Missgunst und Hass unten in der Stadt.
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