Ebenfalls in Jacmel, fast in Nachbarschaft zur Schule von SOS Enfants Haiti, besteht seit langem eine andere, rührige Schule, das Collège Suisse, gegründet und geführt von Gottfried Kräuchi, ebenfalls einem Schweizer Freund. Er schickte mir dieser Tage einen so aufschlussreichen und erschütternden Bericht, dass ich ihn hier publizieren möchte, mit der höflichen Bitte, seine Schulen ebenfalls zu unterstützen.
Lieber Fritz,
danke für Deinen erschütternden Bericht, habe ihn in meine Geschichten kopiert, unter Deinem Namen. Falls du nicht einverstanden bist, kann ja sein…., bitte mail back, dann nehm ich ihn wieder raus. Hatte mich beim Botschafter nach Dir erkundigt und gehört, dass Ihr zum Glück auch überlebt habt. Ich selbst bin immer noch unter Schock und Trauma – in Flums in der Schweiz – habe auch Haus und Auto und alles verloren. Komme am 8.Mai mal zurück, suche auch eine Bleibe und eine Überlebensquelle, vielleicht dort, vielleicht hier. Brauch ja auch wieder was zum Weiterleben, werden sehen.
Liebe Grüße, viel Mut und Glück, Otti
Liebe Freunde, Ich sende Euch hier meinen Reisebericht aus Haiti. Das Leben geht weiter, das gibt Hoffnung. Aber die Situation ist erschütternd. Unsere Schulen, 2 Primar-, und 2 Sekundarschulen brauchen dringend Hilfe. Viele Organisationen offerieren Material, aber das COLLEGE SUISSE muss die Materialien holen, Transporte bezahlen und Arbeitskräfte entschädigen. Diese Schule sollte wieder auftun, sie darf nicht einfach, nach 34 Jahren harter Arbeit, verschwinden. Sozialer Dienst, exzellente Resultate, gute Disziplin sind unsere besten Qualitäten.
Mit freundlichen Grüßen, weitere Dokumente sende ich Euch gerne.
Gottfried Kräuchi Administrator des COLLEGE SUISSE
Der Bericht
von Gottfried Kräuchi
Der erste Eindruck, in Haiti angekommen, ist voller Hoffnung. Das Leben geht weiter, alles ist in hektischer Bewegung. Kinder haben Freude und spielen, sie sind fröhlich und lachen wieder. Aber für viele Erwachsene bleibt es ein Kampf ums Überleben.
Die Stigmata des Erdbebens vom 12. Januar sind erschütternd, sie rühren zum Weinen. Der Palais National, Sitz der Regierung, des Präsidenten René Préval, Ministerien wie die Education Nationale, Kirchen und Kathedralen, Spitäler und Schulen sind zusammengebrochen, einige ganz einfach verschwunden.
Der Weg in den Süd-Osten Haiti’s, nach Jacmel, führt durch das stark betroffene Carrefour, nach Léogâne, schreckliche Bilder rechts und links der Straße. Betondecken am Boden sind Grabstätten für die Bewohner geworden. Das Epicenter des ersten Bebens befand sich irgendwo im zerklüfteten Bergland zwischen der Hauptstadt, Port-au-Prince, Léogâne und Jacmel. Überall sieht man Zelte, ganze Zeltstädte für die Überlebenden. Auf der Route du Rail ist der Mittelstreifen zum staubigen Zeltlager geworden. Kinder zwischen den beiden Fahrbahnen, im schmutzigen Slum, sind in großer Gefahr, absolut unglaublich.
Jacmel, der untere Teil der Stadt ist schwer beschädigt. Unser Wohnhaus in der Hauptstraße ist im ersten Stock unbewohnbar, halb eingestürzt. Hinten ist die ganze Wand abgebrochen, im Hof ist ein kleines Zelt mit Kartonwänden verstärkt. Das ist die Nachtstätte der „Directrice du Ministère à la Condition Féminine Régionale“ (Jacmel), ihr Haus und Office ist beschädigt. Wir finden ein Bett und wagen es im schwer beschädigten Haus zu schlafen. Die fast 50 Nachbeben haben unsere Nachbarn und andere Bewohner Jacmel’s so eingeschüchtert, dass sie nicht mehr in Betonhäusern schlafen wollen. Schulen mit offenen Pausenhöfen dienen ihnen und den Obdachlosen als Zeltlager. Diese Überlebenden können jetzt nicht weggewiesen werden. Der Wiederaufbau ihrer Häuser hat noch nicht begonnen. Die Schulen müssen aufs Land ausweichen.
Das COLLEGE SUISSE hat die Katastrophe ohne Menschenopfer überstanden. Wir danken es Gott, dem Allmächtigen. Aber 6 Schulen sind in Jacmel zu ewigen Grabstätten geworden. Unsere Schüler sind beim Erdbeben aus dem ersten Stock vom Balkon auf die Straße gesprungen. Ich wollte Willy (ein Schüler aus der 3.ten Sekundarklasse am Nachmittag) noch einmal zum Springen für den Film zur Dokumentation bewegen, vergebens.
Die Fragen nach Opfern müssen sehr diskret geführt werden. „Du hast das Beben überlebt?“ … „Ja, aber ich habe meine Schwester verloren.“ Ich werde noch vorsichtiger mit meinen Gesprächen.
Wer den ersten Schock am eigenen Leib erlebt hat, und noch fast 50 Nachbeben überstanden hat, heute noch im Zelt hinter dem Haus schläft, kann nicht mehr unter einer Betondecke in einem Schulhaus leben. Eltern, Lehrer und Schüler, Staff und Direktion kehren nicht ins alte Schulhaus des COLLEGE SUISSE zurück. Die Autoritäten, Direktion der „Education Nationale“ gaben die Order „Schüler dürfen nicht mehr unter Betondecken unterrichtet werden. Schulen mit genügend Land erstellen „Choucounes“ (Mittelpfosten mit Strohdächern), wie die französische Schule Alcibiade Pommayrac in Jacmel.
Das COLLEGE SUISSE hat vom Großvater und Vater von Schülerinnen Land erwerben können, 25 Centièmes als Geschenk, 75 auf Kredit mit kleiner Anzahlung gekauft. Das bedeutet für mein Lebenswerk einen totalen Wiederanfang, nach 34 Jahren, alles von Neuem beginnen. Der richtige Wiederaubau hat noch nicht begonnen. Nach der ersten Welle der großen humanitären Hilfe, in der die Schweiz so schnell und intelligent geholfen hat, – vielen herzlichen Dank an die schweizerische Bevölkerung, die an ersten Stelle mit über 10 Franken pro Bewohner in Europa steht -, ist es immer noch eine Phase der Dringlichkeit. Spitäler und Schulen müssen Hilfe zum Funktionieren finden. Dringlichkeit ist jetzt das Motiv. Unsere Schulzimmer werden provisorisch aufgestellt, etwa wie Stände an der Fasnacht mit vorfabrizierten Toiletten, mit Zeltblachen oder Wellblechdächern. Der nächste Hurrikan möge sie wegfegen! Wir brauchen finanzielle Hilfe, um die Transporte dieser Materialien zu bezahlen, um die Arbeiter der provisorischen Einrichtungen zu entschädigen.
Das alte Schulhaus des COLLEGE SUISSE ( Bild oben ) ist reparierbar, darf aber nicht mehr als Schule verwendet werden. Auch als Leihobjekt, um Bankkredite zu erhalten, ist es ohne Reparatur nicht viel wert. Unsere Direktion ist sehr aktiv, wir haben Vertrauen in eine Wiedereröffnung in kurzer Zeit, das Schuljahr darf unter keinen Umständen verloren gehen.
Gottfried Kräuchi, Administrator des COLLEGE SUISSE
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