Nachdem ich am letzten Samstag im deutschen Südwestfunk über die grauenvolle Katastrophe berichten musste, hat gestern auch das Schweizer Fernsehen in 10 vor 10 mit ergreifenden Bildern nachgedoppelt. Dass die Filmleute ausgerechnet Gressier als Zielscheibe wählten, ist rein zufällig und hat mit meinem dort ebenfalls verschwundenen Haus nichts zu tun. Sie können über dies untenstehenden Links beide Sendungen noch ansehen, wenigstens einige Tage lang. Meine Leute haben sich provisorisch überdacht und wohnen immer noch in den Ruinen, mir gelang heute eine Handy-Verbindung. So hörte ich, dass der Netzstrom wieder fließt, wenigstens zu bestehenden Häusern, denn zu Ruinen haben sie den Strom abgeschaltet.
Vor ein paar Tagen waren es nicht existierende Plurale wie „Diogenes’se“ die zu klein karierte Orthografenhirne in Wallung brächten. Aber solche sind ja nicht zu finden bei meinen Lesern. Heute ist es ein Plural der kaum im Singular existiert, aber doch existiert. Oder wissen Sie etwa, was ein Trumm ist? „Trümmer“ kennt jetzt jeder, leider. Die Einzahl ist aber weder „ein Trümmer“ noch „ein Trümmerstück“, sondern, eben, „ein Trumm“. Ein „Trumm ist ein nicht mehr zuzuordnender Rest eines zerstörten Werkes, das Menschen mit viel Aufwand geschaffen haben“. Das vergessene Wort ist eigentlich nur in der Mehrzahl üblich, da Trümmer einzeln kaum vorkommen. Sie liegen nach Erdbeben und Krieg tonnenweise übereinander und müssen abgeräumt werden, ein enormes Vorhaben, besonders wenn die Arbeiten von Hand erfolgen müssen. Bei meinem Haus würden 10’000 US Dollar nicht reichen für dieses Vorhaben, so ließ ich mir sagen.
Die Trümmer müssen zuerst mit Hämmern zu tragfähigen Brocken zerkleinert werden, dazu wurden tausende von diesen Werkzeugen benötigt, so viele gab es gar nicht. So wurden sie lastwagenweise aus der Dominikanischen Republik importiert und verteilt. Auch in der östlichen Ferienrepublik gab es nicht genug Hämmer für dieses Unterfangen, und die Werkzeuge mussten zuerst importiert werden. Unzählige Arbeitskräfte wurden für die mühsame Arbeit des Zerkleinerns gesucht, und es meldeten sich nicht genug. Die in Aussicht gestellte Bezahlung von 3.50 US$ pro Kopf und Tag entsprach zwar der Vorschrift, war jedoch den meisten zu wenig.
In Es geht wieder aufwärts mit der Meva-Schule konnten Sie lesen, wie sich Anwohner zu Menschenketten zusammenschlossen. Not macht erfinderisch. Besser wären Baumaschinen, die waren freilich anfangs Mangelware, für die meisten wie auch für mich zu teuer und vielfach wegen des Geländes gar nicht einsetzbar, wie hier am Steilhügel der MEVA. Gerne stellten sich die Familienangehörigen der Schüler für diese Arbeit zur Verfügung, denn so konnten sie ihre Schule retten, und erst noch ein wenig Geld verdienen für eine bessere Zukunft.
Unten in der Stadt aber müssen 2,3 Millionen Kubikmeter Schutt und Trümmer beseitigt werden. In gewissen Quartieren wird jede arbeitsfähige Kraft notverpflichtet. Die Trümmer werden zu Räumstellen verbracht, an denen wiederverwertbares und unbrauchbares Material getrennt wird. So auch bei meiner Hausruine in Gressier. Meine Frau hielt mit einigen Anwohnern telefonischen Kontakt und begann, Räumen zu tele-kommandieren. Die Arbeitsstunden mehrten sich so sehr, dass das Geld bald ausging, für den jetzt nötigen Einsatz von Baumaschinen und Containern reicht es erst recht nicht. In die Stadt liegen aber noch mehr Schuttmassen, und die Räumungsprobleme sind unvorstellbar.
Eine Räumstelle liegt beim Haus meines Schwagers in Collines, das unter dem Beben weniger gelitten hat. Trennen von wiederverwertbarem und unbrauchbarem Material tönt zwar gut, ist aber ganz schön theoretisch. Auch wenn einzelne Bauteile mehr oder weniger intakt sind und ausgeschieden werden, so passen sie doch nur in das Haus, wo sie einst gestanden haben, aber das existiert ja gar nicht mehr. Oder was soll man mit einer noch intakten, eisernen Wendeltreppe anfangen, wenn kein Haus mit Stockwerken mehr besteht, die die Wendeltreppe einst verbunden hat?
Ähnlich ist es mit Möbeln, wenn solche überhaupt noch als „wiederverwertbar“ eingestuft werden. Auch sie passen nur noch in das Haus, das nicht mehr besteht und selbst dann nicht mehr aufgebaut würde, wenn das Geld dazu vorhanden wäre. Denn es ist gewiss, dass Erdbeben wieder kommen wird, sodass heute in ganz anderer Weise gebaut werden müsste. Gerade dieser Tage hat die Erde schon wieder gebebt, diesmal mit 4.5 Punkten, in Cap Haitiern. und nur einige Tage später in Gressier, wieder im „gewohnten“ Epizentrum, diesmal mit 4,7. In so geringer Stärke würden der Geological Survey und damit auch die europäischen Medien nicht mehr berichten, es gab ja auch „nur“ einzelne Tote.
Dazu regnet und stürmt es seit Wochen, und es wird noch Wochen so weiterregnen. Alles ist unter Wasser. Ich kann mir die „Wiederverwertbarkeit“ meiner drei Bibliotheken vorstellen, in denen schon mein Vater alte Kostbarkeiten aus handgeschöpftem Papier, Bücher von Napoleon, solche von berühmten Forschern in 200jährigem Ledereinband und ähnlich gesammelt hatte. Tausende von Büchern lagen zuerst unter Tonnen von Staub und Schutt, gerieten dann unter Wasser und werden sich längst in Schlamm aufgelöst haben.
Tausende von noch mitgenommenen Diapositiven, Video-Filmen und Altertümern ebenfalls. Ich muss sie jetzt alle dort einstufen, wo auch meine Reisen, meine Erlebnisse und meine Abenteuer sind, bei den Erinnerungen. Und die haben einen Vorteil: DIE können nicht mehr gestohlen werden! Und nochmals stelle ich die Titelfrage: das Schutträumen ist so aufwändig, so teuer, ein neues Haus liegt ohnehin nicht mehr drin, also: Soll ich die letzten Franken auch noch ausgeben, um die Trümmer wegzuräumen???
Und doch kann der Traum von der Schutträumung Sinn machen : denn im Boden gibt es eine Infrastruktur, die wahrscheinlich intakt geblieben ist, nämlich eine Tiefbohrung zu gutem Wasser hinunter, mit Bohrloch und darin Pumpen die vielleicht noch funktionieren, Wasserleitungen von dort zum einstigen Haus, und eine Starkstromversorgung mit Transformator, die vielleicht auch noch funzt. Vorausgesetzt allerdings, der Netzstrom fließt wieder… – und davon sind wir noch weit entfernt, zuerst müsste wieder ein Haus bestehen, denn Ruinen werden nicht angeschlossen…. Es gibt auch die Drainage- und Abwasserentsorgung. Ohne passendes Haus nützen diese Dinge gleich viel wie eine ausgegrabene Wendeltreppe. Vielleicht bringt die Zeit neue Ideen, neue Problemlösungen, und eines Tages muss ich doch noch die letzten Franken investieren, um die Trümmer wegzuräumen.
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