In der Natur ist alles Wellenbewegung, so auch das Leben. Auf jedes Wellental folgt ein Wellenberg, auf jede Nacht folgt ein Tag, auf jeden Regenguss folgt Sonnenschein. Das Leben selbst ist eine Welle, sie beginnt bei der Geburt und „endet“ mit dem Tod, und wie im Meer entsteht aus jeder Welle eine neue, die Wellen fließen ineinander über, die Individualität verschmilzt.
Das große Beben ist noch nicht vorüber, aber am Ausklingen, unten in der Ebene. Auch die Erde bebt in Wellen. Wenn ein Haus über einem Wellenberg steht, kracht es zusammen. Schon das Haus des Nachbarn mag über einem Wellental stehen und schwankt vielleicht kaum, und es bleibt stehen. So funzt Natur.
Meines stand über einem Wellenberg. Und zudem in nächstem Umfeld des Epizentrums. Und zudem in einer Zone, die mehrdimensional wackelte: horizontal von Westen nach Osten, von Süden nach Norden, vertikal von unten nach oben, und erst noch rotierend linksrum und rechtsrum. So jedenfalls lernte ich von glaubhafter Quelle. Durch solche Drehbewegungen sei es sogar zu Explosionen gekommen, und einzelne Autos hätten fliegen gelernt, ohne Flügel. Da kam mir mein schönes Rattanbett in den Sinn, das mir ein Kunsthandwerker hergestellt hatte, und das oben in meinem Türmli gestanden war. Man hat seine Teile zerbrochen unten in der Küstenebene gefunden nach dem Beben, vierzig Meter weit weg und vierzig Meter tiefer unten. Es hatte auch fliegen gelernt. Unvorstellbar, wenn mich das Beben im Bett überrascht hätte.
Also freue ich mich, dass mich, ich sage mal, die Vorsehung, zeitig weit von Bett und Haus entfernt hatte. Und ich völlig unverletzt überlebte, einmal mehr, wie früher nach den Überlebensproben in den Wassereinbrüchen des Höllochs (10 Stunden auf Todesflucht vor dem Wasserteufel), bei den Flugzeugabstürzen (Fast gewassert) und anderswo. Meine Frau sagt oft in aufgebrachtem Tonfall, dass ich das Unglück anziehe. Tatsächlich habe ich Totalverluste immer wieder erlebt, die betrachten die Leute als „Unglück“. Ich jedoch kann nicht verstehen, warum ich jedesmal mit dem Leben davonkomme, sogar völlig unverletzt bleibe. Ich würde eher sagen, dass ich das Glück anziehe. Ich scheine unverletzlich, unglaublich! Aber muss man denn alles erklären können, Glück und Unglück immer mit Geld und Gut messen?
Sie haben bestimmt auch gelesen, wie wir dann in Paris auch noch überfallen und ausgeraubt wurden. Der dreiste Räuber ist mit unseren Passports, Bankbüchlein, Kreditkarten, dem restlichen Bargeld und anderen Mitteln abgehauen, unter den Augen der Sicherheitsleute und Überwachungskameras so routiniert über das Absperrgitter geflankt, dass es nicht das erstemal sein konnte. Da hatte ich Glück, ein Schweizer zu sein, so konnte ich all die Probleme rascher lösen als meine ebenfalls hängen gebliebene Mitarbeiterin, die haitianische Staatsbürgerin war. Nach der Katastrophe gab es eben keine haitianische Passmaschine mehr.
Ein Freund hatte sogar in Borneo vom Haiti-Beben gehört. Er mailte mir „Lieber Otti, der liebe Gott gab Dir ein schönes Leben, aber nahm Dir das Haus… er wird seine „Gründe“ haben?!“ Da kann ich nur sagen, ja danke lieber Gott, für das schöne Leben, das Du mir gabst in dem prächtigen Haus, fast 20 Jahre lang! Danke aber ganz mordsmäßig dass Du mir das Leben gelassen hast, da brauche ich ja nicht zu fragen warum! Also ich war schon ein Glückspilz, und ich werde es noch mehr:
Vom „Glückspilz zum Pechvogel“, so würdet ihr anderen meine Geschichte nennen, weit gefehlt! Es ist umgekehrt, der Titel muss heißen „Vom Pechvogel zum Glückspilz“, denn auf jedes Wellental folgt wieder ein Wellenberg, darauf kann man nur warten! Und wer Pech und Glück mit Geld und Gut misst, der muss mit Werten und Massen mal über die Bücher gehen. Und wer das nicht glaubt, der ist dann wirklich selber schuld.
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