Brasilien: Beispielloser Amnestie-Deal für korrupte Polit-Elite – Update

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Brasilien wird von einem gigantischen Korruptionsskandal erschüttert (Fotos: Archiv/Luis Macedo/ Câmara dos Deputados
Datum: 25. November 2016
Uhrzeit: 14:43 Uhr
Leserecho: 9 Kommentare
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Am 17. März 2014 starteten brasilianische Staatsanwälte der Bundesstaatsanwaltschaft (MPF) und Delegierte der Bundespolizei (PF) die Operation „Lava Jato“ (Waschmaschine). Innerhalb zahlreicher Ermittlungsphasen wurden Unregelmäßigkeiten bei der „Caixa Econômica Federal“ (Bank Brasiliens und ein staatlicher Finanzdienstleister Südamerikas), beim Ministerium für Gesundheit, bei Eletronuclear, einer Tochtergesellschaft der Eletrobrás im Kernenergiesektor und vor allem beim halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras aufgedeckt. Die Liste der inhaftierten ist beeindruckend: zwei ehemalige Minister, zwei ehemalige Gouverneure, der Präsident der brasilianischen Abgeordnetenkammer, mehrere CEOS von Baufirmen und zahlreiche leitende Angestellte. Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva erwartet zudem ein Prozess. Kein anderes Land der Welt hat so viele Elite-Politiker verhaftet und für Jahre hinter Gitter geschickt. Diese Praxis hat einen hohen Preis gefordert und zur politischen Instabilität beigetragen. Für die meisten Brasilianer war dies ein Preis, der sich lohnt. Die Untersuchungen/Ermittlungen erzeugten ein Gefühl von mehr Transparenz und Gerechtigkeit. Jetzt ist allerdings das gesamte Erbe der Petrobras-Ermittlungen bedroht. Mitglieder des Kongresses sind dabei eine Amnestie zu verabschieden, die Hunderte potenzielle korrupte Beamte und Politiker vom bereits ausgelegten Haken holen könnte.

Gute Beziehungen zur brasilianischen Regierung haben den familiengeführten Mischkonzern Odebrecht zu einem der größten nichtstaatlichen Unternehmen Lateinamerikas gemacht. Der einstige Vorzeigekonzern ist inzwischen zum Symbol der Korruption im größten Land Südamerikas geworden. In schon auffälliger Regelmäßigkeit hatte der Konzern unter anderem Ausschreibungen in der Dominikanischen Republik, Kuba, Angola, Venezuela und Peru „gewonnen“. Am Mittwoch (23.) teilten „Insider“ der Staatsanwaltschaft mit, dass der Konzern in Kürze eine Vereinbarung mit der ermittelnden Staatsanwaltschaft in Bezug auf Kronzeugenregelung unterzeichnen und eine Geldstrafe in Höhe von etwa sieben Milliarden Reais (2,1 Milliarden US-Dollar) zahlen wird. Es wurde gemunkelt, dass Dutzende, vielleicht sogar Hunderte von Politikern nun strafrechtlich verfolgt werden könnten, da die Konzernleitung wie ein Wasserfall geplaudert hatte.

Mitglieder des Kongresses haben schnell reagiert. Um sich von potenzieller Strafverfolgung zu retten, soll ein Artikel im Anti-Korruptions-Reformgesetz geändert werden. Seit Monaten wird darüber diskutiert, dass vor allem die Praxis der Schwarzgeldkonten, die so genannte zweite Kasse (Caixa Dois), zur Parteienfinanzierung als Verbrechen eingestuft und juristisch verfolgt werden kann. Die Abgeordneten haben nun vorgeschlagen, dass alle bisherigen Nutzer dieses Geheimfonds eine Amnestie erhalten. Darüber soll nächste Woche abgestimmt werden.

Die vorgeschlagene Amnestie hat etwas fast beispielloses im brasilianischen Kongress bewirkt. Nahezu alle politischen Parteien, die noch bitter gegeneinander während der Amtsenthebung von Dilma Rousseff gekämpft haben, sind vereint. Von den 26 Parteien sind nur zwei gegen die Amnestie, Präsident Michel Temer braucht für seine Wirtschaftsreform die Stimmen der Abgeordneten und will sich in die Debatte nicht einmischen.

Update, 28. November

Präsident Temer gab am Montag eine „institutionelle Anpassung“ bekannt. Dadurch soll die vom Kongress geplante Änderung im Anti-Korruptions-Reformgesetz verhindert werden. „Für mich als Präsident ist es unmöglich, einem solchen Verfahren auf Straffreiheit zuzustimmen“, so Temer in einem Interview.

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Kommentarbereich

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  1. 1
    VE-GE

    Immer wieder dasselbe…Geld regiert die Welt

  2. 2
    Rosa Webb

    Und…wird jetzt endlich klar warum Dilma abserviert werden müsste? :/

  3. 3
    Martin Bauer

    Es kann ja nicht angehen, das Verdächtigte oder gar Beschuldigte über ihre eigene Amnestie entscheiden dürfen. Das wäre ja fast wie in Deutschland, wo ein kompletter Berufsstand über seine Einstellungsbedingungen, Arbeitsbedingungen, Bezahlung, Ruhestandsregelung und Entlassungsbedingungen befindet, ohne Mitspracherecht von wem auch immer: die Politiker.

  4. 4
    Samuel

    Das offensichtliche bestätigt sich einmal mehr: Ein durchwegs korruptes Parlament hat unter fadenscheinigen Anschuldigungen einen Regierungscoup durchgeführt. Und nun absoluteren die Damen und Herren sich selber. Währenddessen genießt Temer schön seine Immunität und wäscht seine Hände in Unschuld.

    • 4.1
      Malte

      Da bestätigt sich gar nichts. Die Amstenthebung war verfassungsmäßig. Übrigens besitzt Temer keine Immunität, genau so wenig wie Rousseff eine besessen hat.Einfach brasilianische Verfassung lesen.und nicht abblubbern!

      • 4.1.1
        Samuel

        Naja, Amtsenthebung würde natürlich schon gehen, da haben Sie recht. Aber Temer fasst natürlich seine korrupten Königsmacher schön mit Samthandschuhen an. Von dieser Seite droht ihm nichts.

  5. 5
    Malte

    Haben Sie Probleme beim Lesen? Temer legt sein Veto ein, damit die angeblichen Königsmacher dieses Gesetz nicht verabschieden können!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!

    • 5.1
      Samuel

      Das ist eine Petarde, ein Feigenblatt, Glauben Sie keine Märchen. Er wird nicht drücken wo es wirklich weh tut.

  6. 6
    Malte

    DAS BRAUCHE ICH AUCH NICHT ZU GLAUBEN, ICH WEISS; DASS ER SEIN VETO EINLEGEN WIRD:

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