Bolsonaro-Phänomen: Warum hat das Militär in Brasilien so viel Macht und Unterstützung?

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In Brasilien besitzt das Militär eine hohe Glaubwürdigkeit (Foto: Ministerio)
Datum: 20. Oktober 2018
Uhrzeit: 13:11 Uhr
Leserecho: 0 Kommentare
Autor: Redaktion
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Der große Gewinner der ersten Wahlrunde und Favorit für die Stichwahl am 28. Oktober ist ein ehemaliger Fallschirmjäger. Jair Messias Bolsonaro hat beste Chancen Präsident von Brasilien zu werden und wird auf seinem Weg von vielen Angehörigen der Streitkräfte begleitet. Trotz der Militärdiktatur (1964-1985) belegen sämtliche Umfragen, dass die Streitkräfte im größten Land Lateinamerikas ein hohes positives Image besitzen.

„Was für eine wundervolle Zeit! Du konntest sicher die Straße entlang gehen, deine Familie wurde respektiert und der Polizist war ein Polizist“ , beschrieb Jair Bolsonaro im Juli 2015 in einem Interview mit der Journalistin Mariana Godoy die damalige Epoche. Jedes Mal, wenn er gefragt wurde was er von den Morden, dem Verschwindenlassen und den Folterungen hielt, begründete Bolsonaro diese Aktion mit dem Argument, dass es einen Krieg gegen den bewaffneten Aufstand gegeben habe.

„Der Fehler der Diktatur war, zu foltern und nicht zu töten“, so Bolsonaro 2016 in der Sendung „Pánico“ (Radio Jovem Pan). Wenn der Kongressabgeordnete aus Rio de Janeiro bei den Wahlen vom 7. Oktober 46 Prozent der Stimmen erhalten hat und die wichtigsten Beratungsunternehmen 59 Prozent für die Stichwahl am 28. Oktober projizieren – 18 Punkte mehr als Fernando Haddad – dann deshalb, weil viele Bürger wie er denken, oder weil sie zumindest keine Angst vor diesen Aussagen haben.

Eine Umfrage der Getúlio Vargas Foundation und der São Paulo Law School aus dem Jahr 2017 ergab, dass die Armee die Institution ist, der die Brasilianer am meisten vertrauen. 56 Prozent bewerten das Militär als positiv. Der Unterschied zur Politik ist brutal: Kongress, politische Parteien und die Regierung überschreiten nicht mehr als sieben Prozent. Deshalb war es für die Brasilianer kein großer Schock, dass die Regierung von Michel Temer im Februar dieses Jahres beschlossen hat in die Sicherheit von Rio de Janeiro einzugreifen und sie in die Hände des Militärs zu legen. Aktivisten und Mitglieder sozialer Organisationen stellten die Maßnahme in Frage, aber ein Großteil der Bevölkerung unterstützte sie.

Noch beunruhigender ist das Ergebnis einer Meinungsumfrage, die Paraná Pesquisas im September letzten Jahres durchgeführt hat. Dreiundvierzig Prozent der Befragten gaben an, eine vorübergehende militärische Intervention im Land zu unterstützen. 51 Prozent waren dagegen, aber dass vier von zehn dafür waren, ist schockierend. Dies sind Daten, die die extreme Fragilität der brasilianischen Demokratie in Zahlen ausdrücken. Dazu kommt, dass die brasilianische Diktatur wichtige Unterschiede zu anderen Ländern des Südkegels aufweist. Es gab zwar systematische Menschenrechtsverletzungen, aber weit weniger blutig als bei den umliegenden Nachbarn. Laut einem Bericht der Nationalen Wahrheitskommission aus dem Jahr 2014 wurden 434 Opfer registriert (ermordet und verschwunden). In Argentinien und Chile, viel kleineren Ländern, gab es mehrere tausend Tote.

„In Brasilien hatten wir eine Diktatur. Allerdings nicht wie in Argentinien, wo Tausende von Menschen starben und verschwanden. Die argentinischen Streitkräfte beraubten den Staat, in Brasilien führten sie mehrere Infrastrukturarbeiten durch. Hinzu kam eine niedrige Arbeitslosenquote und eine geringere Gewalt als heute. Damit ist sie die Institution mit der höchsten Glaubwürdigkeit im Land und die Bevölkerung verleiht ihr politische Legitimität“, analysiert Jorge Zaverucha, Professor am Institut für Politikwissenschaft der Bundesuniversität Pernambuco.

Eine weitere Besonderheit des brasilianischen Prozesses ist, dass die Führung zwar zweifellos militärisch war, aber eine hohe zivile Komponente hatte. Der Kongress blieb offen und viele Kongressabgeordnete und Senatoren unterstützten die Putschisten. Tatsächlich wurde 1967 eine Verfassung verabschiedet, die eine Methode der indirekten Wahl des Präsidenten durch das Parlament festlegte. Wegen des Vertrauens in das Militär glaubt ein Großteil der Wähler deshalb fest daran, dass es Bolsonaro gelingen wird, die Politik zu moralisieren und die Kriminalität zu senken.

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