Haiti tappt im Dunklen

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Datum: 24. August 2010
Uhrzeit: 04:18 Uhr
Leserecho: 0 Kommentare
Autor: Otto Hegnauer
Sprachkurs Spanisch (Südamerika)

Ja, es stromt endlich aus den filigranen Drähten! Bei uns in den Schwarzen Bergen ohne Unterbruch, ein Wunder, das ich 20 Jahre lang erwartete, das man 20 Jahre lang versprach ! Das brauchte Geduld. Und Nerven. Niemand brachte die auf, man kaufte „Délcos“, Stromaggregate jeder Größe, die entliehen und nie zurückgegeben wurden, z.B von der Kirche. Die glaubt sie erhalte alles geschenkt. Oder die sonstwie gestohlen wurden. Oder die verrosteten oder von der Meerluft sonstwie zerfressen, mir geschah Derartiges mit dreien. Dazu waren die Betriebskosten und der Lärm gekommen. Ich hatte das alles satt,

Man stieß auf „Inverters“, teure Geräte, die bei Netzstrom diesen in 12V-Gleichstrom umwandelten, in noch teureren, pflegebedürftigen Batterien speicherten, zurück umwandelten und als 110V Wechselstrom die Verbraucher spiesen. Und wenn das Netz wieder einmal präsent war begann das Spiel von vorn. Die Computer hatten diese Wechsel im Netz gar nicht gern. Ein- und Ausschalten hintereinander, halbe und doppelte Spannungen und andere technische Teufel zerstörten Bildschirme und ganze Computer. Die waren anfangs nicht so billig wie heute. Man schaltete spannungsregelnde Anlagen wie UPS und dergleichen dazwischen, und schließlich rechnete sich die Anschaffung von Solarpanels, die waren auch nicht billig.

Solarpanels, Schüsselantennen, Glaskabel und mehr, eine nette attraktive Sammlung für Diebe und Wiederverkäufer. Schließlich mussten Hunde aufs Dach. Dann kam das Erdbeben, und begrub alles, alle Computer und anderen Geräte, und Strom brauchte es gar keinen mehr.

Die Venezolaner hatten indessen mit Nachbarstaaten ein riesiges Freiland-Kraftwerk gestiftet. Kaum war das fertig, bebte die Erde, und mit allem anderen war auch das brandneue Kraftwerk zerstört. Doch die Venezolaner ließen sich nicht lumpen und stifteten alles ein zweites Mal. Schliesslich schufen sie auch die Feinverteilung, und jetzt stromt und strömt es endlich, bei Tag und bei Nacht. Vorbei die Nostalgie mit dem Spinnennetz, die in Do-It-Yourself-Manier für die Feinverteilung sorgte.

Venezuela und dem Präsidenten sei’s gedankt, dass sie die Prioritäten gut einschätzten, denn wenn es nicht stromt, lässt sich nicht leben: keine Maschinen, keine Medizin, kein Wiederaufbau, keine Arbeit. Abgesehen von Computern und Internet. Andere Leute brauchen zwar weder Computer noch Internet, aber sie haben auch ihre Bedürfnisse: Handies aufladen, Fussballmatches fernsehen, Lautsprecher aufdrehen was der Strom hergibt und das Ohr aushält, und mehr. So kann man behaupten: Strom hilft, glücklich zu sein. Und das ist wichtig im Leben, besonders im Unglück.

Und so werfen wir einen letzten, nostalgischen Blick auf die filigranen Spinnenfäden der Vergangenheit und hoffen, dass uns die neuen Uhren nicht nur Kosten und Verdruss, sondern Zukunft und Fortschritt bringen.

Dachten wir, und glaubten dass das Wunder halte. Es hielt ein paar Wochen lang, dann war wieder fertig. Und es stromte nicht mehr, im ganzen Land, für weitere Wochen. Und jetzt sind auch sämtliche Solarpanels, Generatoren und was noch so Strom erzeugen könnte, defekt oder sonst im Eimer. Und die Batterien von Handys, Invertern, Computern & Co. sind leer, und es ist dunkel wie früher im Hölloch, besonders in der Nacht. Ich bin jetzt auswärts, wieder mal in einem der spärlichen Hotels. Zum Schreiben.

So tappt Haiti wieder im Dunkeln. Wenn es nicht gerade brennt. Wie auch schon.

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Die exklusive Haiti-Kolumne im latina press Nachrichtenportal von Otto ‚Swissfot‘ Hegnauer. Der ehemalige Lehrer lebt seit mehreren Jahrzehnten auf Haiti und berichtet exklusiv von seinem täglichen Leben auf der Insel Hispaniola.

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