Meine Arche Noah ist Haus und Garten. Wohl den Tieren, die dieses „Paradies in der Hölle“ finden und hier Zuflucht suchen. Hier werden sie bestimmt nicht mehr totgeschlagen. Obschon ein Baby einmal auch hier totgetrampelt wurde, leider. Und einmal wurde in diesem Haus totgeschlagen, was schon seit Jahrmillionen tot war!
Wildtiere in Haiti sind heute Mangelware, doch innerhalb meiner Gemäuer durfte ich schon viele beobachten, was mir stets den Puls beschleunigte: Dutzende von Reptilien- und Amphibienarten, Fledermäuse, „Mungos“, Reiher, Kolibris, Schleiereulen und vielerlei Vögel.
Im Haus habe ich von Anfang an Höhlen und Nistgelegenheiten für Tiere eingebaut, die gerne benutzt werden. Man nennt solche Tiere, die ihre Nester in Häusern, unter Dächern, in Briefkästen oder anderen technischen Gerätschaften einrichten, „technophil“ (im Gegensatz zu den „Technophoben“, die unsere „Schöpfungen“ meiden).
Über meine Schleiereulen habe ich bereits eine eigene Kolumne geschrieben. Dass diese auch in der Schweiz und besonders hier in Haiti seltenen, eher technophoben Tiere mein Haus als Quartier auswählten, viele Jahre bewohnten und jährlich zweimal je doppelten Nachwuchs erzeugten, bereitete mir natürlich eine ganz besondere Freude. Leider sind sie vor einigen Jahren verschwunden, gelegentlich höre ich nachts immer noch ihren unverkennbaren Schrei, und die Hoffnung auf ein Wiederkommen flackert hoch.
Verschwunden sind auch die Kolibris, die ebenfalls viele Jahre lang im Garten lebten. Sie hatten ihr Nest an einem Strauch direkt vor meiner Haustür aufgehängt, und eine Zeitlang freute ich mich jeden Morgen, wenn sie ihr eigenes Spiegelbild im Außenspiegel meines Autos angriffen.
Reptilien und Amphibien bevölkern Haus und Garten in reicher Auswahl: bunte flinke Anolis, Perleidechsen, Gras- und Baumfrösche und selten auch ein elegantes Schlänglein. Über meine speziellen Schlafzimmerfreunde, die possierlichen Geckos, habe ich eine eigene Kolumne geschrieben.
Während der Bauzeit versteckten sich irgendwo in einer Höhle auch noch zwei mungoähnliche Geschöpfe, sehr flinke, katzenartige Raubtiere. Ich ließ ihnen in der großen, unteren Umfassungsmauer einen kleinen Durchschlupf, den sie als Ausgang auf die Küstenebene hinaus benutzten. Mein Freund Claus aus Deutschland war bei mir zu Gast und rief mir einmal frühmorgens, um mir die possierlichen Spiele der „Mungo“-Kinderstube zu zeigen. Ihre Sprünge und Purzelbäume übertrafen alles, was ich an spielenden Tierkindern schon gesehen hatte.
Ja die Küstenebene, die ist immer noch unbebautes Grünland. Es ist eine Art ungeregelter Allmend, in der die Bauern in primitiver Wechselwirtschaft Reis, Zuckerrohr, Mais, Bohnen, Erbsen, Kalalou und anderes anbauen. Auf den Brachflächen weiden einige Kühe und Ochsen, manchmal auch Ziegen und Pferde. Es gibt hier viele Vogelarten, von Kuhreihern bis zu Webervögeln und kolkrabenähnlichen „Madame Sarah“, die markdurchdringend schreien können. Wenn die Ähren bald reifen, werden die Felder vor Vogelfraß geschützt. Vor 50 Jahren habe ich in Marokko bereits phantasievolle Vorrichtungen zu diesem Zweck beobachtet und beschrieben, so automatische „Vogelkanonen“ und andere Geräuschmaschinen. Hier hat man kein Geld für solche Dinger, aber viel Phantasie beim Basteln schreckerregender Vogelscheuchen.
In Haiti gibt es lebende Vogelscheuchen. Vogelverscheucher ist da sogar ein Beruf, er heißt auf kreolisch „Mascaron“. Ich kann einem Mascaron zusehen von meinem Wohntürmchen aus, direkt unter meiner Terrasse. Da hat ein Vogelvertreiber neben einem Reisfeld die Blätterhütte aufgebaut und erzeugt mit einem alten Blech Tag und Nacht Knall- und Donnergeräusche (Bild), klatscht in die Hände und stößt stimmgewaltig erschreckende Gesänge und Schreie aus, manchmal sekundiert von der mitschreienden Jungmannschaft. Dabei verfügt er über ein erstaunliches Repertoire. Dadurch sollen die gierigen Schwärme vertrieben werden.
Vogelscheucher gibt es seit es Bauern gibt. Es ist einer der ältesten und zugleich einer der modernsten Berufe. Nach einer deutschen Zeitung haben nämlich auch Airports Vogel(ver)scheucher: Sie vertreiben die Vogelschwärme von Start- und Landebahnen mit Schreckschuss-Pistolen. Für Düsen-Jets können die gefiederten Freunde gefährlich werden, wenn Sie etwa beim Start in die Triebwerke gelangen. Die sollen allerdings, im Gegensatz zum Haiti-Vogelverscheucher, mit monatlich 2000 bis 4000 Euro recht gut bezahlt sein… Die Scheucher hier verdienen nichts. Sie sind eben auf dem falschen Fleck geboren.
Für mich ist die Zeit der heulenden Schakale, der brüllenden Löwen und der trompetenden Elefanten wohl für immer vorbei. Aber dank der Vogelscheucher kann ich mich keineswegs über eine mangelnde Hörwelt beklagen.
Leider kein Kommentar vorhanden!