Wir sind zum Schreckgespenst und zur Schreckensinsel geworden. Kahlschlag für Holzkohle, Transport- und Erosionskatastrophen, Kidnapping, Verbrechen und Schlendrian was das Zeug hält. Eine Katastrophe jagt die andere, doch alles läuft ab wie wenn nichts geschehen wäre. Man spricht von Naturereignissen, aber es gibt wenige Naturereignisse. Wenn man Gewissen und Sorgfalt der Schiffsleute im Lauf der Holzkohlenpassage untersucht, von Jérémie und la Gonâve bis nach Port-au-Prince, so ist der Törn selbstmörderisch von A bis Z.
Oftmals mussten die Passagiere ertrinken, nur weil sie ihr Frevelgut zu Markte bringen wollten und nicht schwimmen konnten. Sie ertranken nicht wegen eines Unwetters, sondern zahlten den Preis für das vergammelte Boot, überladen, ohne Rettungsmittel, so wie die verrosteten Straßenfahrzeuge ohne Bremsen. Man reagiert kaum, weder mit Flicken und Pflegen, noch mit Trauern und Weinen. Die einen existieren einfach nicht mehr, und die andern leben weiter. Wie wenn nichts geschehen wäre.
Mapou, Fonds Verrettes, Gonaïves, Cabaret sind klingende Namen. Niemand fragt nach den Katastrophen, die Gleichgültigkeit der Seefahrer ist jedem ebenso gleichgültig. Ziegen und Zicklein bleiben weiterhin aufgehängt an den Außengittern der Camions. Transportmittel sind da, aber Herz und Seele fehlen, um die Mittel menschenwürdig einzusetzen. Gleichgültigkeit beherrscht alles und jedes. Die Kenterung einer Fähre vor Gonaïves forderte 3000 Leben. Auch die Sintfluten in Gonaïves und Umgebung kosteten immer wieder Menschenleben in vierstelliger Zahl. Jahrzehntelang flohen die Anwohner der Gegend zu Tausenden gegen die Prinzenstadt, wo sie sich sicherer fühlten. Bis zum 12.Januar 2010, seither fliehen sie dorthin zurück, wo sie hergekommen sind. Hin und hergejagt wie gehetztes Jagdwild.
Die Großmäuler erläutern besserwisserisch, dass eben die Erosion schuld sei, so wie man uns auch erklärt, dass ohne Elektrizität keine Entwicklung möglich sei. So wie wenn wir das nicht schon lange selbst wüssten, und so wie wenn es Péligre nicht gäbe, seit mehr als 50 Jahren (Auch in Haïti gibt es Paradiese). Für Paradiese braucht es eben Wasser, Strom und Bäume. Die spenden nicht nur Schatten und eine lebenswerte Umwelt, sie verhindern auch Sintfluten und andere Katastrophen. Binsenwahrheiten, die alle zusammenhängen. Und trotzdem zeigen die Satellitenbilder, dass immer noch 2% unserer Bäume geblieben sind. Immerhin. Wir gehören in die Horde der Zerstörer und der Versager, vorsintflutliche Ungeheuer, Heuschrecken, blöd und unbewandert in der Bewirtschaftung von Wasser, Wind und Erde. Was es noch abzukratzen gab, das haben wir längst abgekratzt, gepflückt was es zu pflücken gab, verbrannt was es zu verbrennen gab.
Und die Segelboote mit ihren Kohlesäcken gleiten langsam zu den Märkten. Wir sind Bewohner eines Dorfes, das langsam dem Tod zugleitet. Woher diese Gleichgültigkeit ? Dieser Galgenhumor mit dem wir unser Nichtstun noch krönen ? Ist das die Sprache des Lebens, des Handelns, der Liebe, der Traurigkeit oder des Mitgefühls? Es ist die Sprache von Schimpf und Beschimpfung, für die wir uns entschieden haben, die langsame Verwesung im Dreck und Schlamm eines Sumpfes, den tödlichen Blick von Zynismus und abartigen Verhaltens.
Wir leiden nicht an Problemen die uns andere eingebrockt, Krankheiten die uns andere angesteckt haben. Es sind unsere eigenen Probleme und Krankheiten, die uns in den sicheren Selbstmord treiben. Aus unserem Tag ist eine lange Nacht geworden, mit der Unfähigkeit Morgengrauen und klares Wasser zu erkennen, Gut und Böse zu unterscheiden. Die Macht des Staates verbraucht sich in teuren und beschämenden Verhandlungen mit dem Bösen, in einem Durcheinander von Vorschriften und Verjährungen.
Hört sich biblisch an: Sintfluten, Hungersnöte, Tod und Verderben, Weltuntergang und Jüngstes Gericht. Pech nur für die Haiti-Menschen, dass wir nicht über eine ferne Zeit sprechen, sondern dass sich das hier und jetzt ereignet. Die Lebenskraft dieses starken Volkes wird einmal mehr auf die Probe gestellt.
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