Die TONTONMAKOUT in der Geschichte von Haiti

madame adolphe

Datum: 13. September 2010
Uhrzeit: 18:58 Uhr
Leserecho: 1 Kommentar
Autor: Otto Hegnauer
Sprachkurs Spanisch (Südamerika)

MAKOUT (djakout) nannte man schon seit Urzeiten einen großen Sack aus geflochtenen Palmblättern, wie ihn die Bauern brauchten um Vieh und Mensch Fressalien und andere Güter zu bringen. Sie trugen ihn dazu auf dem Rücken. TONTON wird ein Onkel oder alter Mann genannt, und der Tonton der regelmäßig mit einem riesigen MAKOUT unterwegs war wurde eben zum TONTONMAKOUT, so einfach ist das. Der Tonton war natürlich schon ohne Makout ein skurriler Buckelmann, über den man lachte und Witze erzählte. Der zahnlose Alte humpelte mit einem Stock auf der Schulter daher, an dessen Ende eben der Makout hing.

Normal dass man Gänsehaut bekam angesichts dieses Sonderlings, und die Eltern nutzten natürlich die Schreckfigur um ungehorsamen Kindern Angst einzujagen und ihnen vorzuflunkern, der Tonton fange solche Kinder ein und transportiere sie in dem großen Makout zerstückelt in seine Küche zum Verspeisen. Der Tontonmakout in dieser ursprünglichen Bedeutung ähnelt etwas unseren Schweizer Schmutzlis, die zur Chlausenzeit die Samichläuse (sd. St.Nikoläuse) begleiten, eigensinnige Kinder einfangen und zur Räson bringen. Auch sie tragen zu diesem Zweck weiträumige Säcke auf dem Rücken, und auf den Schultern Schlagstöcke, Schweineblasen und andere geeignete Instrumente.

Widerspenstige Jungen gibt es eben allenthalben, und Rabeneltern auch, die sie gerne den Spezialisten zum Gefügig machen übergeben, was ihnen meist problemlos gelingt. Wenn die Knirpse sich nicht frisieren ließen, nicht essen wollten was sie essen sollten, zu lärmig und geschwätzig oder sonst rebellisch waren, genügte der drohende Zauberspruch « tonton-makout » als Kinderschreck, und die Welt war wieder „intakt“.

Als sich 1958 PapaDoc durch Rebellen bedroht fühlte, erfand er die VSN – Volontaires de la Sécurité Nationale, eine Nationale Sicherheitsmiliz aus Freiwilligen, etwa den europäischen Bürgerwehren vergleichbar. Die hatten sich nie über mangelnden Zulauf zu beklagen, und die Auswahlkriterien waren noch primitiver als bei der späteren Wahl eines Staatspräsidenten. Das war eben noch 52 Jahre weit weg.

Diese VSN sollte nach Art des Kinderschrecks das Schreckgespenst für missliebige Erwachsene werden, und die Schergen der neuen Geheimpolizei wurden natürlich Tontonmakout genannt. Erst jetzt wurde das neue Unwort bekannt. Die Schergen agierten zivil und unerkannt verräterisch bis in den engsten Familienkreis als auch in ihren dunkelblauen „Uniformen“ mit rotem Halstuch und Zigarettenschachtel als „Kravattenring“. Die „Bewaffnung“ reichte je nach Dienstgrad und Menschen-Unwürdigkeit von Schlagstock und Klinge bis zu Handknarre und Ballermaschine. Die Schreckenstruppe diente Duvaliers Machtfimmel und agierte außerhalb der Gesetze. Wegen ihres martialischen Auftretens, der regelmäßigen Anwendung von brutalster Gewalt, ihrem außergesetzlichen Status und ihrem selbstgepflegten Image als mit Voodoo Verbündete waren ihre Mitglieder in der Bevölkerung gefürchteter als der leibhaftige Teufel.

Es waren Ausgeburten der Hölle, die als Ungeheuer Geschichte machten. Geschichte und Geschichten, die ihnen unversteckbar ins Gesicht geschrieben waren. Schreiben und Lesen können, mehr oder weniger, das war auch die Aufnahmebedingung. Und einmal aufgenommen, hatte man wenigstens einen ganz kleinen Sold. Und ganz große Ganovenmöglichkeiten. So kamen die MAKOUT bald zu Grund und Boden, Haus und Hof, oder mehr. Man wurde Schreiber, Gemeindeschreiber, durfte für die Kunden Briefe schreiben, 50 cts. das Stück. Was da stand, stand ja auf einem anderen Blatt, die Briefe kamen ohnehin nie an. – Wenn einmal doch etwas ankam, von weiß nicht wo, war es wieder nur der Tanton Makout, der lesen konnte, und er musste dem Empfänger vorlesen, was da stand. Wieder für 50 cts. das Stück, und wieder durfte man nur hoffen, dass auch vorgelesen wurde, was da drin stand. Er wusste es wohl selbst nicht, weil er gar nicht verstand, was er gelesen hatte. Wenigstens laut PISA-Studie. Dort wurde von den Schweizer Schülern dasselbe behauptet.

Aber die kleine Einkommensquelle versiegte aus einem anderen Grund. Die Ausländer hatten das Tonband erfunden, und niemand schrieb und las mehr Briefe. Jeder Analphabet, und wer war das nicht, ließ nur noch Tonkassetten zu seinen Freunden bringen, Post gab es ja auch keine und das ist heute noch so. Aber bei einem Tonband kannte man wenigstens die Stimme und war sicher, dass das Gehörte auch dem Gesprochenen entsprach. Der TONTONMAKOUT musste eigentlich gar nicht mehr lesen und schreiben können. Durch die Macht und das Ansehen, das er sich schon angeeignet hatte, konnte er jetzt Menschen verhaften, wofür wusste er meist selbst nicht, und abführen, wohin wusste er auch nicht. Aber es funktionierte, und die Karriere auch.

Auch der General hatte je seine Karriere bereits geschafft, und der konnte auch nicht lesen und schreiben. Aber als General muss man das ja auch nicht können. Man muss nur schreien und töten können. 1986 wurde Duvalier abgesetzt und floh ins Exil, da halfen auch die Tonton Macouts nichts mehr. Aber sie hatten sich doch zu einer solchen Machtposition empor geschafft, dass auf sie in der haitianischen Armee hohe Offiziersposten warteten. Offiziere die diesmal nicht lesen und schreiben, aber schießen und schreien können mussten. In einer Fernsehreportage durfte ich noch miterleben, wie die Soldaten dieser Armee den Umgang mit Schusswaffen lernten. Mit Ästen bewaffnet knieten sie hinter Büschen und Stämmen in Deckung und zielten auf den fiktiven Feind. Heute müsste man wohl zeitgemäßer sagen, einen virtuellen Feind, weil es die Armee ja gar nicht mehr gibt.

Die staatliche Armee und die zugehörigen TONTONMAKOUT hatten schon tausende eigener Leute ermordet, aber durch fremde Truppen und durch den Krieg kam kein einziger Mensch ums Leben. 1994 fand die unblutige Invasion Haitis durch amerikanische und befreundete Truppen und damit die endgültige Abschaffung der Armee statt. Durch den bauernschlauen Schachzug, der verarmten Soldateska Geld für den Verkauf ihrer Waffen und weitere Vorteile anzubieten, wurde das Land besetzt, die Armee wurde abgeschafft, es wurde keine einzige Waffe eingesetzt und niemand getötet. Die erwähnten weiteren Vorteile waren soziale: den jetzt arbeitslosen Offizieren und Soldaten wurden Auslandvisa, -Ausbildungen und -Stellen in geeigneten Berufen angeboten, von denen die „normalen“ Haitianer nur träumen konnten. Dies um die Wiedereingliederung der Kader in die normale Gesellschaft zu ermöglichen und ein Abgleiten in kriminelle Strukturen zu verhindern. Mir missfällt bei dieser Lösung allerdings, dass man zuerst zur Soldateska gehören musste, bevor man „eingegliedert“ wurde. Die nie in der Militärmaschinerie mit gedreht hatten, gingen leer aus und sind bis heute die Dummen geblieben.

frei von Otto Hegnauer, nach edwinflorexil und Paola Iten
( 13.9.2010 )

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Die exklusive Haiti-Kolumne im latina press Nachrichtenportal von Otto ‚Swissfot‘ Hegnauer. Der ehemalige Lehrer lebt seit mehreren Jahrzehnten auf Haiti und berichtet exklusiv von seinem täglichen Leben auf der Insel Hispaniola.

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