Haiti: Die Angst vor dem Norden

zitadelle

Datum: 22. September 2010
Uhrzeit: 00:25 Uhr
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Autor: Otto Hegnauer
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Die Richtungen am Himmel scheinen es in sich zu haben. Speziell der Norden. Der historische Nordhafen Haitis ist Cap Haïtien, immer noch wohlbehütet von der Citadelle. In der Nähe liegt auch die sagenumwobene Insel La Tortue, gefürchtetstes Piratenversteck vom Mittelalter bis kürzlich und Landeplatz des Amerika „Entdeckers“ Christoph Kolumbus. Von Norden bis Osten kamen und kommen noch heute nicht nur Seeräuber und Bermuda-Gespenster, sondern auch grimmige atlantische Winde und Wolken, wie gerade heute Igor und Julia.

Vor nördlichen Schreckgespenstern hatte man stets panische Angst, hier und andernorts. Schon vor 200 Jahren vor Napoleon, Nessy, Katla und heute selbst vor Tsunamis, See- und Erdbeben. Ein solches zerfetzte am 12.Januar fast ganz Haiti, die Trauerzahlen sind zu bekannt, um wiederholt werden zu müssen.

Vielleicht erinnern Sie sich, dass in Haiti zwei Verwerfungen Schuld an den Erdbeben sind, denen entlang sich in der Erdentiefe Kontinentalplatten verschieben. Das kürzlich durchgestandene Riesenbeben entlud sich an der südlichen Bruchlinie, die die Halbinsel Tiburon durchzieht und in unbekannter Zukunft einmal teilen wird. Viele glauben und hoffen, dass die entladenen Spannungen so gigantisch waren, dass der Wiederaufbau neuer ähnlicher Druckkräfte wieder Jahrzehnte oder Jahrhunderte benötigt.

Das ist natürlich frommes Wunschdenken, denn die Natur lässt sich nur ungern in die Karten blicken. Heute „weiß“ jedes Kind, dass auch noch die nördliche Bruchlinie kommen muss, denn die hat bisher noch nicht reagiert, seit 170 Jahren stillgehalten. Wann das der Fall sein wird, das wissen nicht einmal die Loas, die Voudou-Götter. Aber man nimmt an, dass dies viel heftiger sein wird als im Süden gehabt, und jedermann im Süden fürchtet, dass dieser mit betroffen sein wird, mehr oder weniger.

Zudem haben die Forscher neue Gräben aufgestöbert, herausbekommen dass die nun Enriquillo-Graben genannte Störung ein ganzes System von Verwerfungen umfasst. Natürlich mit der Folge, dass es fast nur noch ein einziges Gesprächsthema gibt, und dass jedermann in Angst und Panik lebt. Ich selber keineswegs ausgenommen. Ich habe nur den „Vorteil“ zu denken, dass ich ja gelebt habe, bald 80 Jahre lang, und das Optimum herausgeholt habe aus meinem Leben, das können leider nicht alle sagen. Besonders nicht die Kinder, von denen es ja auch einige Millionen gibt.

Was man da machen kann, möchten alle gern wissen. Wenn ich noch „im Geschäft“ wäre, würde ich schleunigst Seminare veranstalten in Szenario-Technik. Aber das bin ich nicht mehr, und so würde ich sagen, „akzeptieren, dass man nicht alles machen kann, für alles etwas machen solle, müsse, könne, dürfe“. Erkennen, dass es finale Grenzen gibt, das wir vielleicht nicht die Krone der Schöpfung sind, dass die Natur mächtiger ist als wir. Trotzdem muss jeder seinen Kopf und Geist brauchen, um sich zu erhalten, so lange es geht. Mit fröhlichem Singen und Schmunzeln ist das Unabänderliche besser zu ertragen als mit panischem Schreien und Weinen. So viel haben wir von den letzten Erdbebenopfern gelernt.

Aber IGOR und JULIA haben sich soeben nach dem Norden verzogen, und das ist eine sehr, sehr gute Nachricht. Ich glaube, die Evakuierten können nun in die Zelte zurück. Nur wenn Igor und Julia nochmals zurückkommen, diesmal aus dem Norden, wird es schlecht sein. Aber das ist unwahrscheinlich.

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Die exklusive Haiti-Kolumne im latina press Nachrichtenportal von Otto ‚Swissfot‘ Hegnauer. Der ehemalige Lehrer lebt seit mehreren Jahrzehnten auf Haiti und berichtet exklusiv von seinem täglichen Leben auf der Insel Hispaniola.

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