Von den hiesigen Teufeln hier habe ich schon genügend geschrieben, und die Gegensätze liegen stets eng beieinander. Wo sich Teufel tummeln, da gibt es auch Engel. Natürlich sind Engel und Teufel für mich mehr metaphorische als religiöse Begriffe, Sinnbilder für Gutes und Böses, dieses Paar ist bestimmt nicht zu leugnen. Und allgegenwärtig. Trotzdem finden halt einige meine Sprache verstaubt, auch wenn Altes wieder modern wird.
In Haiti bezaubern Schutzengel die Teufel und beschützen die Menschen, verwandeln Schuftengel die Schutt- und Abfallberge in eine lebenswerte Welt, singen und spielen Jubel- und Freudenengel sirensische Klänge und himmlische Harfen zum Frohmut der Menschen, das wär auch mein Wunsch. Aber ich bin kein Engel, und meine Stimme macht auch keinen guten Eindruck mehr. Und als ein bescheidenes Menschenkind muss ich mich mit dem Schreiben kurzer Geschichten begnügen, die auch zu Beglückung und Schmunzeln beitragen sollen. Denn nichts haben die Überlebenden nötiger als das. Schreibt da ein Kritikus (übrigens eine Kritika, aber das tut nichts zur Sache ) „ohne klare Ziele“ oder „Wer ist der Autor überhaupt? Hat er dies bewusst mit dieser Wirkung geschrieben oder kann er’s nicht besser? Die Grundhaltung im Text finde ich ambivalent. Ist es Bewunderung oder Ironie, Spott oder beides, oder auch Unbeholfenheit?“ Mitnichten für naseweise Gelehrte, die wohl dudeln oder im besten Fall sogar duden können (als VERB zu verstehen und deshalb klein geschrieben!!!) und nicht so schreiben können, dass sie auch einfache Menschen zu verstehen mögen aber vor Langeweile nicht lesen wollen oder Schluckauf bekommen.
Item, das Schmunzelwerk ist einmal mehr geschafft, und ich wende mich dem Hauptthema, den Schwestern zu. Solche gibt es vielerlei, hier in Haiti. Da sind zuerst die echten, die blutsverwandten, die aus den geborenen Familien, gemeinsam aufgewachsenen, manchmal in Kinderarbeit abgerichtet, manchmal von Eltern und „Eltern“ verprügelt oder geschützt, Alles.
Und da sind die falschen Familienschwestern, ich sage ihnen mal so. Denn weil die „Völkergemeinschaft“ in ihrer verwerflichen Scheinheiligkeit nur Visa für Schwerreiche ausstellt – ich kenne Fälle von 50’000 USD – beißen sich die Katzen immer wilder in den Wirbelschwanz um etwas rauszuholen. Vermeintlich. ins gleiche Horn tute ich, wenn ich von der Käuflichkeit sämtlicher Dokumente spreche, und von der Notwendigkeit sie zu kaufen. Zu hohem Preis, versteht sich. Ich hatte schon erzählt, dass die Schweiz bei der Adoption meiner Tochter eine „Vaterschafts-Verzichts-Erklärung“ verlangte. Was das ist und wie man die erhält, erzeugte nur laute Lacher. Zumal da damals die Väter gar nirgends registriert waren, und unbekannten Aufenhthaltes, da nach der Zeugung der „Vater“ gewöhnlich wieder verschwand. Also setzte die „Gemeindebehörde“ einen – wieder angemessenen – Preis fest, und man bezahlte. Das erfundene „Dokument“ ging auf die Botschaft, und so ging es weiter, bis zu Heirat und Schweizer Pass. Und die anderen Millionen haben einfach Pech gehabt.
Seit damals, es war vor 20 Jahren, kenne ich auch Schweizer und andere „Schwestern“, so nennt man sie alle, die hier selbstlos arbeiten, für die Armen, Hungernden, alle seit 40 Jahren und mehr. Sie arbeiten so selbstlos, dass sie mir selbst diesen Artikel verboten, sie wollen ihre Namen nicht nennen, ihre Fotos nicht zeigen, nicht einmal ihre Werke dürfen genannt werden. Sie sind wirklich selbstlos. Und sie haben GROSSE Werke geschaffen, vollkommen uneigennützig. Sie dürfen mir das wirklich glauben, die meisten kennen mich ja.
Heute vegetieren 1,7 Millionen Überlebende in Trümmern, Zelten, Gattern und Verliesen der einstigen Hauptstadt dahin, schätzen die Schutzengel, und weitere Millionen in den Vororten, in Spitälern, oft weit weg auf dem Lande, oder sogar außer Landes. Mehrere leben seit 40 Jahren im „Armenhaus Amerikas“, das ist ( zeitlich ) doppelt so lange als ich. Sie sind Haiti-Expertinnen geworden, für mich auch Schutzengel für die Armen, dort im Abendschatten Nordamerikas, der hinter der untergehenden Sonne länger und länger wird. Die ganze Zeitlang haben sie sich für die Menschen eingesetzt, die fast alle mit einem Dollar pro Tag leben müssen, damals war es noch weniger. Und die Marktpreise sind und waren etwa dieselben wie in Europa, auch die ganze Zeit über. Und die Welt war noch normal, das Erdbeben war noch nicht geschehen, 40 Jahre lang.
Vieles geschah in der Zwischenzeit. Die Schutzengel helfen und schuften wo sie können, und einige führen ihre eigene Stiftung, wenn auch manchmal noch ohne Buchhaltung und Bürokratie. Die Posten „Löhne“, „Spesen“, „Auto- und Reisekosten“ und Ähnliches sind so zwar verschlossen. Man kann trotzdem sehen, welche Werke über einen angeschriebenen, nigelnagelneuen Tête-Boeuf, wie die Luxus-Vier-mal-Vierer hier genannt werden, verfügen, und welche Helferinnen mit einem alten Klappervehikel ( wie ich – habe das übrigens selbst bezahlt, seinerzeit vor 10 Jahren ) verfügen.
Vor ein paar Tagen wollte ich sehen, was mit den Spenden der Welt in Gonaïves geschehen ist, nachdem dort mehrmals Wirbelstürme und Schlammlawinen zugeschlagen und tausende getötet hatten. Die Helferinnen baten um eine Fahrgelegenheit per Anhalter („Roue libre“ = Autostop), so sparen Schutzengel Spesengeld, jeden Rappen. Einiges haben mir die Schwestern vor Ort gezeigt, Brücken, Kanal- und Wasserbauten, Zelte, Holzhäuschen und mehr. Vor allem beeindruckten mich die erfolgreichen Anstrengungen, die Menschen dort mittels landwirtschaftlicher Ausbildung und Projekte zu befähigen sich selbst zu ernähren. Denn die nächste Katastrophe folgt bestimmt.
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