Gestern fuhren wir zur Bank in Truitier, ganz ohne Geld, das notwendige Übel, geht es ja nicht. Das Hochwasser hat sich einigermaßen verzogen, so dass sich die Reisedauer für die kaum zwanzig Kilometer auf etwa zwei Stunden halbiert hat. Unterwegs bittet uns ein netter Jüngling, seine schwerkranke Mutter in ein Krankenhaus zu bringen, sie kann nicht mehr stehen noch gehen. Sie lächeln, endlich einen Transport zu finden, denn alle andern sind vorbeigefahren. Dass sie Glück im Unglück hatten, wissen sie noch nicht; denn die Spitäler nehmen keine Kranken mehr, sondern nur noch Choleraverdächtige auf, zum Teil stehen die Betten im Freien an der Straße, so überfüllt sind die Krankenhäuser und -Zelte. Wir wünschen den beiden alles Gute, mehr können wir nicht für sie tun.
Wir befragen einige Menschen in den Zelten, der Wissensstand ist unbeschreiblich. Zum Wasser kaufen, haben sie kein Geld – die Preise explodieren auch infolge der plötzlichen Nachfrage. Ein richtiger Impfstoff besteht auch nicht, aber wenigstens könnten sie wissen, dass man sich waschen muss, vor allem die Hände, aber sie wissen nicht einmal das. Und schon wieder steht das Wasserproblem an, in Tümpelwasser die Hände waschen bringt nicht viel.
Diphtherie und Typhus sind durchgeseucht, es folgt die dritte im Ku-Kux-Clan der Seuchen, die Cholera. Am 21.September ist diese im Artibonite-Tal eingekehrt, dort trinken viele das Wasser aus Tümpeln und Fluss. Zwei Tage später war sie schon unten in der Hauptstadt Saint-Marc und am 24. in der Prinzenstadt.
Bis heute gab es schon fast 4.000 Einlieferungen in die Spitäler und knapp 300 Tote, gestern erreichte die Seuche bereits die Prinzenstadt und die Dominikanische Republik schloss ihre Grenze. Ein richtiger Impfstoff besteht nicht, dass man sich waschen muss, vor allem die Hände, das wissen sie auch nicht.
Die Situation ist unbeschreiblich, doch positiv ist immerhin dass die Wasser- und Hygiene-Lektion, die so intensiv gepredigt wurde, so lange hingehalten hat und die schlimmste der drei im Ku-Kux -Clan erst heute ausbricht, man hat sie schon lange erwartet. Dies gehört zu den Früchten der Lernfähigkeit der Menschen hier, doch es gibt eben immer unbeirrte Dummköpfe, die erst hören können, wenn sie fühlen mussten, und bei einer so rasch zuschlagenden Todeskrankheit wie Cholera ist das todbringend. Wir haben ein paar Menschen da drunten in den Lagern gefragt, sie wussten tatsächlich nicht, dass man sich waschen muss, vor allem die Hände, und dass man das Wasser unbedingt abkochen soll, und dass da in den Pfützen kein Trinkwasser ist. Sie waren allesamt dankbar für die Hinweise.
Dass die Information heikel ist, wo man keine Medien kennt, weiß auch die Regierung, wissen auch die Kaziken und die Gang-Chefs. Vermutlich sind sie es, die vereinzelte Megaphonisten mobilisiert haben, die mit ihrem „Instrument“ die „Neuigkeit“ verbreiten: Hände waschen und Wasser kochen. Auch die Wassercamions sind mit Lautsprechern und Verstärkern ausgerüstet und setzen diese Errungenschaften teilweise zur Aufklärung ein. Aber eben, die Flächendeckung hinkt. Am schlimmsten sind einige private Nachrichtenbloggs. Diese Schmierfinken verbreiten nur Vermutungen und kopieren inzwischen veraltete Meldungen.
Und wie bei jeder Katastrophe, so grassieren im Volk die Gerüchte wie die Seuche selbst. So sollen es diesmal Blauhelme und Hygiene-Tüftler gewesen sein, die im Quellgebiet des Artibonite Versuche zur Verbesserung der Hygiene gestartet hätten, aber die Kontrolle über die Mikroben sei ihnen entglitten. Tatsächlich ist die Cholera im oberen Artibonite-Tal ausgebrochen, hat aber schon in den ersten Tagen das untere Tal und die Stadt St-Marc erobert. Die Gegend wurde gesperrt und Polizei und Blauhelme wurden hingeschickt, um Gaffern und anderen Unqualifizierten den Zutritt zu vergällen. Sie sollen auch dafür sorgen, dass diese Sperrung hermetisch bleibt. Nun ist die gierige Krankheit in der Hauptstadt eingetroffen, die Reise dauerte nur Stunden, alle Ratschläge kamen zu spät. Und wie es weiter geht, wissen wir nicht.
Jetzt will das jedermann gewusst und geträumt haben. Ein berühmter Träumer und Hellseher versucht aus der Situation sogar Kapital zu schlagen, er sei beim noch amtierenden Präsidenten gewesen und hätte ihn auf den bevorstehenden Ausbruch einer Superpandemie aufmerksam gemacht, aber der hätte den Herold mit einer wegwischenden Handbewegung erledigt, wie üblich. Er hätte das sogar am Fernsehen und in der Kirche gebracht. Die hätten wenigstens gebetet. Wenn das nicht positiv ist, auch wieder. Genützt hat es allerdings auch nichts.
Da kommt mir ein anderes Unsinn-Erlebnis aus meiner Afrika-Zeit in den Sinn. Ich war gerade in Tansania, das damals mit Uganda im Kriegszustand steckte. In jener Zeit war Uganda Hochburg des Acquired Immune Deficiency Syndrome AIDS, an dem dort die meisten Menschen starben, in jener Zeit. Im Feindland Tansania war schon jedes Kind überzeugt, dass der amerikanische Geheimdienst das tödliche Teufelszeug absichtlich eingeschmuggelt hätte, um die verhassten Ugander durch ein Genozid auszulöschen. Die Kinder wussten ja ohnehin noch nichts über die Vorgänge bei der AIDS-Infektion, und den Tansaniern konnte ein allfälliger Völkermord an ihren Feinden nur recht sein.
Die Krankheit des Palmensterbens soll ebenfalls durch den Geheimdienst Onkel Sams absichtlich importiert worden sein, während der seit 1914 ablaufenden Invasionen. Die amerikanische Einflussnahme auf Haiti war nicht zu stoppen und soll heute noch andauern. Die Blauhelme werden hier denn auch allgemein als US-Amerikaner angesehen und bezeichnet, obschon es sich fast ausschließlich um schwarze Südamerikaner, Afrikaner und Asiaten handelt.
Auch am jüngsten Erdbeben soll ein US-amerikanischer Genozidversuch, oder mindestens entglittene Kontrolle über den Versuch mit einer Geheimwaffe Schuld sein. Auch die Terroristen – wer ist das eigentlich? – sollen Großversuche pflegen, die das Klima ändern, Erdbeben auslösen und Vulkane aus der Ferne ausbrechen lassen können, durch den Gebrauch elektromagnetischer Wellen..
Wir bewegen uns bereits in der Nachbarschaft eines Jules Verne, James Bond oder Sciencefiction, und werden für immer mehr Zweifler unglaubwürdig, das ist nicht vermeidbar. Und mitten in diese Para-Welt der Unsicherheit und Schrecken platzt dieser Tage die Mitteilung. Und Haitis Ticker tickt weiter, in einem fort.
Er tickt weitere Schreckensmeldungen, noch am gleichen Tag, kommt aus dem Ticken nicht heraus. Als Auslöser für das titanische Erdbeben war zunächst eine bekannte, aber wenig erforschte Bruchlinie namens Enriquillo-Plantain-Garden-Zone EPGZ vermutet worden. Daran waren schon 1751 und 1770 Beben derselben Stärke aufgetreten. Die Linie ist 270 Kilometer lang und verläuft entlang der Halbinsel Tiburon bis zu deren Westspitze. Untersuchungen des kalifornischen Menlo Park ergaben nun, dass das Beben gar nicht von dieser Bruchlinie ausging wie angenommen.
Bei einer neuen Untersuchung der Erdoberfläche mit Hilfe von Satellitenbildern, Luftaufnahmen und Bodenerkundungen seien entlang der Linie zwar viele Risse und Verschiebungen gefunden worden, die aber von den Beben im 18. Jahrhundert stammen sollen, heißt es in der im Fachmagazin «Nature Geoscience» veröffentlichten Studie. Demnach muss das Beben vom 12.Januar einen anderen Ursprung haben. Die Spannungen in besagter Bruchlinie sind nach wie vor unverändert vorhanden. Trotz des verheerenden Erdbebens vom Januar sei die unterirdische Spannung an der berüchtigten geologischen Bruchstelle nicht freigesetzt worden, begründete das US-Forscherteam seine These zum aktuellen Erdbeben-Risiko in der Region. Das Erdbeben vom 12.Januar hätte nach Meinung der Auguren ähnliche Spuren hinterlassen müssen. Die diesmaligen Erdverschiebungen, von denen man keine Spuren gefunden hätte, hätten daher entweder in großer Tiefe oder an einer unbekannten Stelle der Erdkrusten stattfinden müssen, schreiben die Wissenschaftler. Die Bruchlinie bleibe daher nach wie vor eine «ernsthafte Gefahr» für Haiti. Ein weiteres schweres Erdbeben sei wahrscheinlich.
Aber wenigstens hat die WG, wir nehmen die Abkürzung mal als „Weltgemeinschaft“, obschon sie drüben für „Wohngemeinschaft“ steht, ist ja das Gleiche in anderen Dimensionen, also die WG hat in ein paar Tagen ihren Papierpräsidenten, und die Papierdemokratie nach ihrem Muster und Willen. Und damit wären ihre Ziele ja erreicht, und sie kann abtreten. WG hat ihre Schuldigkeit getan (?), WG kann abtreten.
Der Papierkampf ist voll im Gange, die Papierlöwen werden in ein paar Tagen ihr Papieramt antreten, für fünf Jahre. Dann können auch sie wieder gehen. Aber das Wegräumen von Schutt und Ruinen soll fünfzehn Jahre dauern, nach ihrer eigenen Schätzung, dann haben die Papiertiger schon dreimal gewechselt. Und die Tausende sterben und sterben, hoffentlich immer noch lächelnd.
Wenn ich all die Berichte über den Ausbruch der Cholera in Haiti lese ist das sehr traurig, aber auf der anderen Seite packt mich die Wut, über die Schlampigkeit und Korruption der „Nochregierung“ in Haiti auf der einen Seite und die unkoordinierte Vorgehensweise der Helferstaaten und so mancher Hilfsorganisation auf der anderen Seite. Das alles mache ich mitverantwortlich für den Ausbruch der erneuten Katastrophe.
Ich lebe und arbeite seit 14 Jahren auf der Insel Hispaniola in der Dominikanischen Republik und bekomme hautnah, durch meine haitianischen Mitarbeiter und andere Quellen die Situation in Haiti mit.
Da werden Hilfsgüter und Bauteile für eine neue Siedlung im Zoll fest gehalten, nur um horrende „Gebühren“ zu erpressen.
Eine hier, in der Dom. Rep. spontan gegründete holländisch-dominikanische Hilfsorganisation hat Geld gesammelt um eine kleine Wasserversorgung auf zu bauen. Man ist mit dem technischen Equipment nach Port-au-Prince gefahren und hat die Dienste bei den Hilfsorganisationen angeboten. Das war nicht möglich. Die Helfer sind tagelang herum gefahren, ohne Erfolg. Daraufhin hat man im Randgebiet von Port-au-Prince eigenständig, erfolgreich eine Wasserversorgung aufgebaut. Als sich die Lage wieder normalisiert hat und die haitianische Wasserversorgung wieder funktionierte, hat man zusammengepackt und wollte wieder in die Dominikanische Republik. Nun der Schock. Die haitianischen Behörden lassen das Equipment (Tanklastwagen und technische Ausrüstung) nur gegen eine Zahlung von US$ 100.000,– wieder zurück reisen. Man muss das verstehen. Der Besitzer der Ausrüstung hat das Material kostenfrei zur Verfügung gestellt und jetzt kann es ihm passieren, dass er sein ganzes Material verliert.
Nach dem verheerenden Erdbeben haben wir, ein hoch qualifiziertes Ingenieur- und Organisationsteam aus Deutschland, spezialisiert auf den Aufbau neuer Infrastrukturen mit Schwerpunkt der Wasserwirtschaft mit besten Referenzen auch der UN, unser Hilfskonzept über die Deutsche Botschaft an den Präsidenten von Haiti und Herrn Clinton übergeben.
Die Reaktion, keine.
Ich kann sehr gut verstehen, wenn Initiativen zur Hilfe in Haiti, sei es durch die Hilfsorganisationen oder auch der Geberländer verblassen, da die Motivation durch die geschilderten Vorfälle (es sind keine Einzelfälle) stark nachlassen.
Ich bin auch der Meinung, dass angesichts der zur Wahl stehenden Parteien und Präsidentschaftskandidaten, wegen fehlender Erfahrung, Inkompetenz und Korruptionsanfälligkeit, sich nach den Wahlen im November nichts ändert.
Mit dem Wissens dieser desolaten Situation bei den Geberländern, allen voran die USA, ist es nicht nachvollziehbar warum nicht ultimativ der haitianischen Regierung klar gemacht wird, dass es so nicht geht und sie damit rechnen müssen entmündigt zu werden. Natürlich nur so lang bis sie endlich gelernt haben das Schicksal ihres Landes verantwortungsbewusst und zum Wohle Haitis zu regieren.
Nur dann kann das unendliche Leiden Haitis nachhaltig beendet werden.
Unsere Meinungen sind deckungsgleich. Nur, wie erreichen ? Der Teufelskreisel dreht sich ja durch Nutzung der Erkenntnis, dass die Welt der Starken die Schwachen nicht einfach krepieren lässt. Der Kreisel wird neu angestossen, wenn er an Schwung verliert. Und zentrifugal spritzen dauernd grosse Quanten weg und werden von den Starken absorbiert. Der Preis der Hilfe ist hoch. Das ist bei unseren Systemen ähnlich. Vielleicht hat Ihnen deshalb Monsieur Clinton nicht geantwortet…
Otto Hegnauer