Ist Demokratie die richtige Staatsform für Haiti?

Kabic

Datum: 11. Dezember 2009
Uhrzeit: 10:28 Uhr
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Autor: Otto Hegnauer
Sprachkurs Spanisch (Südamerika)

KabicSchon unsere Lehrer und Schulbücher haben uns falsch getrimmt, haben uns glauben machen, dass nur die eigene Kultur zivilisiert und hochstehend sei, aufbauend auf der griechisch-römisch-europäischen Linie.

Dass bereits im alten und nochmals im mittelalterlichen Ägypten ein anderer Kulturzug abdampfte, mit weiblichen, im Mittelalter gar islamischen Heer- und Staatsführerinnen, mit den ältesten Universitäten und Bibliotheken der Welt ( Kairo und Fes ) und mit den Erfindern unseres Zahlensystems und der Algebra hörte man kaum.

Islamische Führerinnen, die ein Weltreich aufbauten und führten, das mit dem römischen durchaus konkurrieren konnte, wurden als barbarische Mauren dargestellt, die im Westen und im Osten nach Europa einzudringen versuchten. Dass von den Barbaren immerhin Bauwerke wie eine Alhambra oder eine großartige Musik mit komplexen Tonleitersystemen übrig blieben, scheint nicht gerade von Kulturlosigkeit zu zeugen. Umso mehr wurden unsere eigenen kulturellen und philosophischen Traditionen empor gejubelt.

Und dann natürlich die Schlachten und die Siege, Morgarten voran. Die Schweiz war berühmt dafür, und dann für ihre Neutralität. Eine Neutralität, die sie über die letzten Kriege rettete. Eine Neutralität, die viel Geld kostete. Eine „Bewaffnete Neutralität“. Zuletzt wohl gegen Europa, seitdem alle Feindbilder aus der Nachbarschaft versickert waren.

Die Neutralität erstreckte sich auch auf die Religion. Dass dies in der Praxis anders aussah, hatte ich schon früher erfahren müssen. Als junger Filmfritze drehte ich einige total unpolitische und neutrale Dokumentarfilme in Marokko und der benachbarten Sahara, weil mich Land und Leute dort faszinierten. Darunter zwei abendfüllende Streifen, für die ich mich so verschuldet hatte, dass es ein Haus gegeben hätte. Abendfüllende Streifen werden eben teuer.

Kaum fertiggestellt, begann in Israel der Sechstagekrieg. Der war zwar schrecklich, hatte aber überhaupt nichts mit meinen Filmen zu tun. Die pro-israelische schweizerische Öffentlichkeit boykottierte augenblicklich, echt pro-israelisch-„neutral“, alle Filme mit „pro-islamischen Themen“, und als pro-islamisch wurden auch meine harmlosen Dokumentarfilme angesehen, obschon sie überhaupt nichts mit Islam oder Religion zu tun hatten. Aber die Kinobesitzer scheuten das Risiko und buchten die Streifen nicht. Einer der es trotzdem tat, dem wurde mit Tumult und Einäscherung gedroht, und er krebste zurück. Auch versprochene Herstellungsbeiträge wurden verweigert. Ich aber erlitt Totalverlust und war erschüttert ob der „Neutralität“ der Schweizer.

Nun „dasselbe in Grün“, pflegt man zu sagen. Ein Leser machte mich auf die Anti-Mina-Abstimmung aufmerksam, dafür vielen Dank!, und fragte mich um meine Meinung, aus der ich gleich eine Kolumne mache. Am 29.November wurde in der Schweiz über eine Volksinitiative abgestimmt, die den Bau neuer Minarette verbietet. Mit einer Mehrheit von 57,5 Prozent hat sich das Schweizer Volk dafür ausgesprochen, dass der Bau von Minaretten inskünftig verboten sei, und dass dies gleich in der Bundesverfassung verewigt werde.

Das ist doch mal volksnah, titelte eine Zeitung. Und eine andere fragt: Leben wir in einer Diktatur? Nein, in der Schweiz ! Die Schweizer Bundesverfassung wird damit die Religionsfreiheit einschränken. Die Religionsfreiheit gehört aber zu den allgemeinen Menschenrechten. Was tut es, die Juristen finden immer den Ausweg.

Der Islam wird von vielen Schweizern als militant empfunden – wieder einmal eine der berühmten Verallgemeinerungen. Natürlich werden jetzt wirtschaftliche Repressalien arabischer Staaten befürchtet. Die Schweiz aber verliert einmal mehr eine ihrer Vorbildrollen. Sie war einst Vorbild im Umgang mit Minderheiten, sie war Vorbild im Zusammenleben verschiedener Völker, sie wurde x-fach als Vermittlerin angerufen, sie war Vorbild in ihrer Neutralität, als eine der ältesten Demokratien der Welt diente sie werdenden Demokratien als Vorbild.

Ich habe mich immer wieder gefragt, ob eine so weit gehende Demokratie die richtige Staatsform sei für Haiti. Und ich frage mich heute dasselbe auch für die Schweiz. Ich frage mich auch, ob die Schweiz überhaupt reif sei für Europa. Ich jedenfalls habe meine Konsequenzen längst gezogen und fühle mich unter den Menschen hier wohler als unter einer Mehrheit, die Minarette verbietet.

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Die exklusive Haiti-Kolumne im latina press Nachrichtenportal von Otto ‚Swissfot‘ Hegnauer. Der ehemalige Lehrer lebt seit mehreren Jahrzehnten auf Haiti und berichtet exklusiv von seinem täglichen Leben auf der Insel Hispaniola.

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