Ja, vor Haiti und den Sauriern ist die Ur-Angst geblieben. Obschon es zur Zeit der Untiere weder die karibischen Inseln noch Menschen gab, und folglich noch niemand die Ungeheuer beäugen konnte. Wie Sagen von Drachen mit flammenden Doppelzungen entstehen konnten, obschon niemand je ein solches Tier lebend gesehen hatte, gehört zu den Wundern der Welt. Aber in heute „entwickelten“ Ländern waren sie Tatsache, die Untiere, das beweisen Museen und Saurierparks. Und um sich zu entwickeln, hatten die Zeit, viel Zeit. Mehr Zeit als Haïti. Die Drachen oder Saurier, im Gegensatz zu den später auftauchenden Menschen, sie machten die „Entwicklung“ bis heute nicht mit.
Also in Haiti, da gibt es noch Saurier in Büchern, Filmen und DVDs – wie weltweit. Hier entstanden die sogar, denn in Natur gab es sie nie, auf der Insel. Neue Medien haben nicht nur die Welt geöffnet, auch die Zeit. Virtuell, sagt man dem. Und es gibt Reptilien mit bizarren, saurierähnlichen Formen. Wie die Iguanas, die sich zwar in den Bergen Haitis und der Domrep noch der Freiheit erfreuen, den Kameras aber am sichersten im Garten des Aquariums von Santo Domingo und an den benachbarten Küsten, oder im Nationalpark der Ziegeninsel ( Isla Cabritos ) vor die Linse laufen. Die liegt ja auch an der Grenze zu Haiti.
Auf den ersten Blick scheinen die Mini-Saurier von garstigem Aussehen. Kein Wunder, dass sie unter den abergläubischen Menschen Ur-Angst und Panik verbreiten. Aber es lohnt sich, genauer hinzusehen – sie können ja so wenig für ihre Genetik wie missratene Zweibeiner ( das soll es auch geben ), und sie erweisen sich als überaus liebenswürdig und interessant, im Gegensatz zu vielen der Zweibeiner.
„Interessant“, das gilt auch für die benachbarten Krokodile. „Liebenswürdig“, das wage ich für sie nicht zu wiederholen. Ich hüte mich jedenfalls, ihre Angriffsdistanz auszutesten, und halte mich lieber an eine gutgeschätzte Fluchtdistanz.
Ur-Angst haben die Menschen, hier sogar fast alle, auch vor den Schlangen, den „Koulèv“. Die Riesenschlangen sind mit 4 m und mehr zwar recht imposant, sie tun jedoch höchstens Kleinsäugern etwas zuleide und kennen die Menschen ihrer Umgebung sehr wohl. Dass sich sogar welche in meinem Garten verstecken verrate ich natürlich nur hier und auf Deutsch – deutsch sprechende Besucher und Leser meiner Kolumnen und meines Paradieschens in Gressier denken „herpetologisch“ ohnehin wie ich.
Auch in Haiti existiert das Spieglein an der Wand, und wenn die zahllosen „Koulèv“ dieses beachten würden, wäre die Antwort eindeutig: die „Koulèv Madlenn“ ist zweifellos die Schönste im Land. So schön dass sie sogar respektiert wird ! In „Danbala Wedo“, verheiratet mit Göttin „Aida Wedo“ ( synonym für Regenbogen ), hat die Schönheit sogar einen eigenen Gott.
Abgesehen davon finde ich sämtliche der vielen haitianischen Schlangenarten, wovon keine einzige giftig ist, wundervolle, einmalige, grazile Gottesgeschöpfe, und eigentlich ist der Gedanke, auch unter den Schlangen Schönheitskonkurrenz zu betreiben absurd. In der Karibik ist Schönheit gottgegeben und überall. Fand doch dieses Frühjahr auf einer der reichsten Inseln im Süden eine Topveranstaltung für Modemäzene statt. Als die Inselregierung realisierte, dass keine schwarzen Mannequins vertreten waren, verbot sie die Veranstaltung kurzerhand, und die weißen Vorzeigegirls wurden noch rechtzeitig durch dunkelhäutige Schönheiten ersetzt, von denen es auf den Inseln Myriaden gibt. Mit ihren langen, schlangenartigen Beinen durften sie jetzt über die Laufstege tänzeln. Anti-Rassismus gewaltsam, mal etwas Anderes!
Zurück zu den echten Reptilien. Die possierlichen „Innocents“ ( Geckos ) mit ihren Saugnäpfchen an den Zehen habe ich schon beschrieben. Reptilien heißen ja zu Deutsch „Kriechtiere“, aber den meisten ist Kriechen fremd. Geckos zum Beispiel schlängeln elegant, huschen, tänzeln, springen kopfüber und schnellen in jedem Haus umher und sind überall gerne gesehen. Meint man. Denn auch hier habe ich eine Ausnahme erlebt: die Touristen in einem Hotelzimmer. Die kreischten sofort nach dem Zimmermädchen und ließen die nützlichen Mückenjäger totschlagen, aus Dummheit und Angst vor dem Unbekannten.
In jedem Garten huschen auch überaus elegante, tiefgrüne blaukehlige „Aandolits“ ( Anolis ), etwas wohlbeleibtere „Mabouyas“ ( Perleidechsen ) oder sogar koboldartige, den Anzug wechselnde „Aganmans“ ( Chamäleons ) umher, und für die „Tòtus“ ( Schildkröten ) trifft die Bezeichnung „Kriechtiere“ noch am ehesten zu, wenigstens für die auf dem Lande. Denn in Zeitlupe stapfen sie Schritt für Schritt durchs Gelände, sie haben ja auch ein schweres Haus mitzubuckeln, und das Gelände ist unwegsam.
Über die „Gounouy“ ( Frösche ) habe ich in schon erzählt, sie bevölkern massenweise Wiesen und Bäume, sind aber scheu und nur schwer zu entdecken am besten noch mit dem Ohr ( siehe unten ).
Die Insektenviecher und andere Gliederfüßler werden wegen ihres ungewohnten Körperbaus und ihrer unangenehmen Bewaffnung von uns meist garstiger empfunden, wie etwa die „Arenyens“ ( Spinnen ) und „Annipyes“ ( Hundert- und Tausendfüßler ), die sind allerdings völlig ungiftig und ernähren sich von Pflanzen und Insekten. Eher hüte man sich vor den giftigen Kinnhaken der „Zaryen krabs“ ( Vogelspinnen ) oder den fernbedienten, allseits beweglichen Schwanzgiftstacheln der „Tche kochi“ ( Skorpione ), die können sich recht unangenehm gebärden.
Die „Marengwens“ ( Moskitos ) werden gelegentlich zur Plage, nicht nur wegen der schmerzenden Stiche, der gelegentlichen Zubringerschaft von Malaria- und andern Krankheitskeimen, sondern auch wegen des aufdringlichen nächtlichen Gesurre um die Ohren, wie wenn der Tourenzähler außer Kontrolle geraten wäre. Da hilft, wohl oder übel, nur noch Chemie in anständigem Rahmen. Die Antwort der Natur auf die Plage gibt allerdinge nicht die Chemie, sondern die „Chòchòts“ ( Fledermäuse ), die fressen Mücken – hoffentlich vergiften sie sich nicht damit – und bestäuben nebenbei die Pflanzen.
All diese Flügler und Füssler können Angst einflössen, aber es gibt auch erfreuliche Vertreter. So sind die „Cùcùs“ Laternenträger, die nachts ihre grünen Lämpchen durchs Schlafzimmer und die Aussenlandschaft tragen – was wäre die ohne „Glühwürmchen“. Sie sind es ja, die mich seinerzeit motivierten, hier ein Haus zu bauen.
Und viele der Gliederfüssler sind, so wie die Menschen, musikalische Naturtalente, die zusammen mit Zanolis und Mabouyas um die Wette läuten, begleitet von quakenden Froschlurchen und Myriaden von zirpenden Grillen und Zikaden, die darunter den rhythmischen Teppich zirpen. Sie alle zusammen bilden ein faszinierendes Grossorchester der Natur, dessen feiner kristalliner Musik ich von meinem Türmli aus nächtelang lauschen könnte.
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