Das Ergebnis der Präsidentenwahl löste einen landesweiten Aufstand mit Toten (offiziell 2 …) und ungezählten Verletzten aus. Die Partei Inite (Zusammenhalt) von Jude Célstin gegen Réponse-Paysan (Bauernantwort) von Michel Martelli lieferten sich während mehr als 10 Tagen erbitterte Schlägereien, bei denen keine ungepanzerte Scheibe übrig blieb. Auch Häuser wurden angezündet, und die nicht in Garagen befindlichen Autos wurden zu Barrikaden und Blechhaufen. Die Räder waren ihnen abgenommen worden und die Reifen hatten als Brennmaterial gedient. Die kläglichen Überbleibsel eigneten sich noch als Barrikaden. 10 Tage verließ niemand mehr sein Haus oder Zelt, wenn er nicht Freiwild werden wollte, und folglich gab es auch kein Brot.
Es gibt immer wieder „2 Tote“- seit langem. Auch zwischen Vorwahl-Geplänkeln zwischen Célestin- und Martelli-„Partisanen“. Denn so kann man sowohl das Wort „nur“ brauchen und herab spielen, als auch in der Mehrzahl reden, so merkt man die Lüge weniger. Bei den jüngsten Zwischenfällen, die es in allen Städten gab, haben Augenzeugen allein von der Rue Delmas erzählt, auf der Seite der „Autobahn“ lägen die „Leichen wie am 12. Januar“. Die offizielle Auskunft den Journalisten gegenüber wie immer: „2 Tote“. Jetzt frage ich mich, was man als Lebender sein musste, um als Toter zählwürdig zu sein. Die armen Obdachlosen werden sicher nicht gezählt, sie sind ja auch nirgends registriert, nur noch sie selbst kennen ihren Namen, solange sie „leben“.
Ende November war die erste Wahlrunde von schweren Korruptionsvorwürfen und Ausschreitungen überschattet worden. Zwölf der 18 Kandidaten hatten wegen Unregelmäßigkeiten eine Annullierung des Urnengangs gefordert, das wäre wohl richtig gewesen. Angeblich führte nach dem 1. Wahlgang die frühere First Lady Mirlande Manigat mit 31 Prozent der Stimmen vor dem militanten Jude Célestin, Schwiegersohn des Noch-Präsidenten Préval mit 22 Prozent, und an 3.Stelle folgte der populäre Karnevalsänger «Sweet Micky». Als Drittplatzierter musste er aus dem Rennen um die Präsidentschaft ausscheiden. Er lag den offiziellen Zahlen zufolge nur 6.800 Stimmen – weniger als ein Prozent – hinter Célestin. Er hatte schon vor Bekanntgabe des Wahlergebnisses erklärt, er werde keinen Platz in einer Stichwahl annehmen, in der Célestin dabei sei.
Endlich hat die Polizei den unsinnigen Hahnenkampf beendet. Der hatte längst nichts mehr mit Politik zu tun, sondern nur noch mit Zerstörungswut und Rüpelei. Dies hat mitnichten mit der Qualifikation der Kandidaten zu tun, auch wenn man hierzulande glaubt, Präsident könne einfach jeder spielen. Der meines Erachtens Ausbildungsmäßig und moralisch einzig mögliche Bewerber, der Rechtsprofessor Charles Céan, war weiter hinten ausgeschieden. So ist leider eine fragwürdige Zukunft für das gebeutelte Land vorgegeben, und keine internationalen Gremien vermochten die Fehler in dem maroden System zu erkennen und korrigieren. Und die Armee von Blauhelmen und Polizisten war unfähig, die bösen Ausschreitungen zu verhindern.
Am Vorabend hatte die Polizei, reichlich spät, ein „rücksichtsloses Vorgehen gegen alle Gesetzesbrecher“ angekündigt und schon mit Verhaftungen begonnen, allein in unserer Gemeinde seien 37 Jungs festgenommen worden. So wagten wir uns vorsichtig auf die Straße, das erste Mal seit 10 Tagen. Am Straßenrand lagen unzählige Autokadaver, deren Räder man als Barrikadenfutter angezündet hatte, oft waren die ehemaligen Fahrzeuge umgestürzt oder aufeinander geworfen und nur noch Blechhaufen. Solche wurden auf Zweiradkarren aufgeladen und von Altstoffsammlern mühsam weggeschoben. Die Straßen wurden gewaschen und gewischt und waren so sauber wie kaum zuvor. Vor allem in Pétion-Ville war die Polizeipräsenz übermächtig. Alle paar Meter standen sie und die Blauhelme schwer bewaffnet und sorgten auch wirkungsvoll für einen flüssigen Verkehr. Überall waren Bulldozer am Verfrachten von Barrikadenresten in Lastwagen.
Ich begreife nicht, wie sich das Wunder sauberer Straßen über Nacht realisieren konnte. Für mich ein Beweis, dass auch ungeheure positive Kräfte in dem Volk stecken, und sich mobilisieren lassen. Durch wen und wie weiß ich leider auch nicht, Haiti, der Nachbarstaat der Dominikanischen Republik, ist und bleibt ein Wunder. Vielleicht sind es die Prediger in den Kirchen, die noch rechtzeitig auf Weihnacht umstimmen wollen. Jedenfalls werden die Geschäfte wohl nachfolgen, dürften in wenigen Tagen notdürftig repariert und wieder offen sein.
Ebenso wenig weiß ich, was auf der Politbühne geschieht. UNO und Sicherheitsrat können das ja nicht alles auf sich sitzen lassen, und die Explosion der Cholera und die Beschuldigung der UNO-Truppen als Schwarze, oder Blaue Peter stehen immer noch im Raum. Und schon bald nach Weihnacht folgt der 16. Januar; dann läuft die 2. Runde, dann sollen die beiden Streithähne wieder gegeneinander antreten. Was dann läuft, liegt einmal mehr bei den Loa, den Voudou-Göttern.
Gestern sollte nach Fahrplan der Entschluss der Wahlkommission betreffend Präsidentenwahl bekannt gegeben werden; stattdessen verkündete der Witzbold von Präsi, die Bekanntgabe werde auf nächstes Jahr verschoben, um den Einwohnern das Weihnachtsfest nicht zu vergällen. Diese, echt haitianische Lösung sagt doch schon viel!
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