Schon am Montag hatten die ausländischen Botschaften ihre Schäfchen gemahnt, es den Schildkröten gleichzutun und sich für ein paar Tage in ihre Häuschen zurückzuziehen. Denn „gewisse Präsidentschaftskandidaten hetzten ihre Fans auf, auf die Straße zu gehen um ihren Sieg zu feiern. Diese Manifestationen könnten in Gewalt ausarten, so wie es schon im Dezember der Fall war.“ Den hier wohnenden Ausländern wurde Vorsicht empfohlen und während der nächsten Tage, wie auch Ende März und am 16. April, dem Tag der Bekanntgabe der Wahlresultate, einige Tage zuhause zu bleiben.
Schildkröten, Blauhelme und Ammonshörner haben darauf ihre Köpfchen eingezogen, und auch die Normalschnecken verließen ihr Häuschen nicht. Die wichtigen Wahlen waren vorbei, die Schreiberlinge konnten sich nun wieder mit Schuhbändeln befassen. Oder mit dem Büsi, das in Argentinien von einem Traktor überfahren wurde.
Schon am Mittwoch blieben die Straßen menschenleer, fast gespenstisch. Das berichtete Melissa, die am Abend trotzdem zu ihrem Informatikkurs nach Pétion-Ville stiefelte, vorsichtshalber zu Fuß. Auf dem Hin- und auf dem Rückweg seien ihr tänzelnde bis gröhlende Kolonnen junger Männer aufgefallen, die abwärts pilgerten Richtung Stadt. Melissa glaubte, der Brief der Botschaft hätte recht – dies sei um den Sieg ihres Kahlkopfes zu feiern. Aber die Wahlen waren nicht mehr IN, das Idol hatte gewechselt. Sie seien unterwegs zum mehrere Stunden entfernten Flughafen Toussaint Louverture, dem Tor Haitis zur und von der Welt. Dort wollten sie biwakieren, um die auf Freitag vorgemunkelte Ankunft von Idol Aristide nicht zu verpassen … Die Idole wechseln.
Seine Kumpel von der Lavalas-Partei riefen denn auch auf Flugblättern für Freitagmorgen zu Kundgebungen am internationalen Flughafen von Port-au-Prince auf, um Aristide in Würden zu empfangen. Tausende kamen und blockierten stundenlang alle Straßen zum Airport. Der 57-jährige genießt unter den Ärmsten im Land immer noch große Beliebtheit. Er war im Jahr 2004 von amerikanischen und französischen Soldaten aus dem Amt gejagt worden. Seitdem lebte er in Südafrika im Exil. Er wurde erstmals im Jahr 1990 zum Präsidenten gewählt und acht Monate später durch einen Militärputsch gestürzt. 1994 kam er nach einer US-Militärintervention wieder an die Macht und überließ diese zwei Jahre später dem heutigen Präsidenten René Préval. Im Januar 2000 wurde Aristide erneut gewählt, vier Jahre darauf jedoch aus dem Nachbarland der Dominikanischen Republik entführt.
Er kam Freitagmorgen, so lange mussten die Fans ausharren. Mit einem Privatflugzeug, so konnte die Visa-Verweigerung der großen Machthaber umflogen werden. Noch am Dienstag habe Obama seinen südafrikanischen Kollegen Jacob Zuma angerufen und seine „Besorgnis“ über Aristides anstehende Rückkehr ausgedrückt, teilte das Weiße Haus am Donnerstag mit. Die USA baten Südafrika alles zu tun, um die Abreise des Lieblings der Massen zu verzögern. Sie fürchteten, dass Aristides Rückkehr zur Destabilisierung der Lage im Vorfeld der Wahlrunde am Sonntag beitragen könnte. Die USA hatten Aristide wiederholt aufgefordert, nicht vor der zweiten Wahlrunde am Sonntag nach Haiti zurückzukehren. Aber Titid hat einen eigenen Kopf.
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